Rezension: Marching Church – Telling It Like It Is (Sacred Bones Records, 2016)

Der dänische Musiker Elias Bender Rønnenfelt hat ein stilistisch vielseitiges Repertoire. Mit seiner Band Iceage veröffentlichte er zwischen 2010 und 2013 zunächst zwei rüpelhafte, unzähmbare Biester von Punkalben: „New Brigade“ (2010) und „You’re Nothing“ (2013) sind intensive Krachmacher mit unzähligen genretypischen Kurz- und Kürzestsongs im Eineinhalbminutenbereich. Etwas gesetzter dann „Plowing Into The Field Of Love“ (2014), das bislang letzt Iceage-Album, auf dem das Tempo gedrosselt und Rønnenfelt als Sänger und Lyriker apokalyptischer Parolen ins Zentrum gerückt wird. Eine Art Übergang zu Marching Church.

Rezension: Marching Church – Telling It Like It Is (Sacred Bones Records, 2016)
Auf dem Erstling „This World Is Not Enough“ (2015) war Marching Church noch ein reines Soloprojekt. Rønnenfelt orientierte sich an klassischem Soul, drehte ihn durch den Postpunk-Fleischwolf: dabei entstanden sowohl herzzerreissende Klagegesänge wie das grossartige „King of Song“, aber auch Unfälle wie das grenzpeinliche Cover von „The Dark End of the Street“. Im April 2016 – Marching Church war inzwischen ein vollwertiges Bandprojekt – erschien „Coming Down“, eine Veröffentlichung mit zwei Tracks, simplistisch „Coming Down“ und „Coming Down, Pt. II“ betitelt: ein insgesamt dreissigminütiger Exkurs in post-apokalyptische Free-Jazz-Landschaften, ruhig, dunkel, unberechenbar.

Und nun also das zweite Studioalbum, „Telling It Like It Is“. Zehn Titel, die Songlänge im Durchschnitt deutlich kürzer als auf dem Erstling, wo es bis zu neunminütige Tracks gab. Eröffnet wird mit „Let It Come Down“, einer dreiminütigen Elegie, Gesang und Musik scheinbar immer kurz vor dem Stillstand, feierliche Begräbnistrompeten, ein unerwarteter Chor. Die Stimmung ist gesetzt: fröhlich wird es auch auf diesem Werk nicht zu und her gehen. Zeremonienmeister Rønnenfelt pflegt die wohlgestaltete Finsternis, den Abgrund, die düstere Leidenschaft. Sein meist tiefer, lallender Gesang, der gerne abdriftet ins Stammeln und ins Stottern, ins lüsterne Geifern und ins brünstige Röhren passt dazu wie die Faust aufs Auge.

„Up For Days“ erinnert mit seiner rhythmischen Akustikgitarre stellenweise an die frühen U2 aus der „War“-Ära, macht aber da, wo die Iren dem Pop den Vorzug geben, einen Schritt weiter hinab in die Dunkelheit. Perlende tiefe Klaviertöne, ein summender Bass und vor allem einen seltsames, konstantes Heulen, das aus undenkbaren Tiefen an die Oberfläche zu dringen scheint, verleihen diesem Song seinen Glanz. Ein Stück Musik mit der Kraft, einen bis in seine ahnungsvollsten Träume zu verfolgen.

Elias Bender Rønnenfelt – der Mittelname mag wie eine Vorahnung klingen – beweist sich auf diesem Album als begnadeter Collagist, der all seine Einflüsse, scheinbar mühelos zu einem grandiosen Klanguniversum zusammenfügt. Funkgitarren („Heart of Life“) finden da genauso Eingang wie lasziver Soul („Inner City Pigeon“ – die Anspielung ist nicht zu übersehen, das Gestöhne zu Beginn des Songs adäquat) und, man höre und staune, eine unerwartete Rolling-Stones-Gitarre, trocken wie die heisse Erde unter den Kokospalmen von Fidschi („2016“).

Ja, Freunde der Inszenierung, was dieser junge Däne da geschaffen hat, ist ein Meisterwerk. Die Ästhetik des Klangs setzt sich auch in den dazugehörigen Bildern fort. Eindrücklich: „Lion’s Den“, ein Song wie ein Drogenrausch, Horrortrip und Glückssensation ganz nahe beieinander, der Bass tonnenschwer, das Harmonium aus einer anderen Welt, dazu die Bilder: Hermann Hesses „Steppenwolf“ im Videoformat (oder so ähnlich).

Das Vorgängeralbum „This World Is Not Enough“ war ein stellenweise noch nicht ganz ausgereifter Versuch, den Zwängen des Punkrock-Images zu entrinnen, mit dem Rønnenfelt mit Iceage bereits im Alter von 18 Jahre Bekanntheit erlangte; noch nicht ganz ausgereift, aber bereits mit Anklängen dessen, was folgen könnte, wenn er denn, wie der Albumtitel andeutet, dieser ungenügenden Welt endgültig entflohen ist. „Telling It Like It Is“ nun – nur ein Jahr später – ist der nächste Schritt in höhere Sphären. Hier ist ein Künstler mit dem Potential eine neue Art der Musik zu erschaffen, eine Musik zwischen der Zwanglosigkeit des Freejazz, dem Weltschmerz des Soul, den Endzeitvisionen des Postpunk und der besoffenen Schwermut Brecht-Weillschen Theaters. Ausserirdisch.


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