Denn es ist nicht nur die Protagonistin, an die man sich hier gewöhnen muss, es ist beinahe jede einzelne Figur, so eigenständig und plastisch sie auch sein mögen - schwierig sind sie doch alle. Jede Figur hat von Anfang an sein Päckchen zu tragen und so wiegt der fünfhundert seitenlange Roman manchmal doppelt so schwer in meinen Händen. Neben unrealistischen und zeitweise doch so verständlichen Reaktionen jeder einzelnen Figur, bietet "Linna singt" vor allen Dingen eins: eine subtile Spannung, die Belitz gekonnt und so rar ins Geschehen einwebt, das man teilweise kaum merkt, wie sich das Netz aus Geheimnissen langsam enger um den Leser zieht, sich bereits um den Hals geschlungen hat. Es ist ein verqueres Psychospiel, dem man kaum entrinnen kann und das nach einem langsamen Start schließlich derart eskaliert, dass man jedem Einzelnen misstraut und ständig so gefangen von dem eigenen Rätselraten um den Täter ist, dass man ganz abgelenkt vom wahren "Bösewicht" ist (und ich hatte tatsächlich wildeste Theorien, die ich immer weiter ausbaute!). Die Situation der Freunde tut dann sein Letztes: eine eingeschneite Hütte mit der lauernden Gefahr leerer Handyakkus und Lawinen - Gänsehaut pur!
Normalerweise mag ich Romane nicht, in denen ich wenig bis gar nichts mit der Hauptfigur anzufangen weiß, ja, zeitweise (wie in diesem Fall) sogar Antipathie empfinde, doch gleichzeitig muss ich diese Tatsache hier irgendwie anerkennen und loben, denn das Linna eine ziemlich anstrengende Protagonistin ist, ist gleichermaßen Fluch und Segen. Ist sie doch in ihrer Härte so zerbrechlich und in ihrer Andersartigkeit ein Paradebeispiel dafür, dass Jugendbücher auch Figuren jenseits erschaffen können, die nicht wie Bella Swan sind. Doch es ist nicht alles Gold was glänzt und so kann sicherlich nicht jeder etwas mit der äußerlich so perfekten Linna anfangen, die entgegen ihrer eigenen Behauptungen definitiv ein "Supergirl" ist. Hier wäre weniger sicherlich mehr gewesen, denn Linna kann irgendwie wirklich alles: Mike Oldfield beim Vornamen nennen, Boxen, Singen, Zeichnen... und für all das möchte sie noch nicht einmal die verdiente Aufmerksamkeit. Für ein Mädchen, das diese Aufmerksamkeit nicht einmal von ihrer eigenen Mutter erhalten hat, ist das schon relativ ungewöhnlich, teils fast schon unrealistisch. Aber irgendwie komme ich auch nicht umhin, sie dafür zu bewundern. Die anderen Figuren bleiben da eher blass, weil man außerhalb ihres persönlichen "Geheimnisses" eher weniger über ihr Leben erfährt und fast alle Eigenschaften haben, mit denen ich ziemlich wenig anfangen konnte.
Trotz dieser Kritik hat mich dieser Roman auf hohem Niveau berühren können und wenn eine Geschichte das trotz eines so relevanten unerfüllten Kriterium schafft, kann man ihm im Grunde genommen nur wenig vorwerfen. Es sind wohl gerade diese im Endeffekt doch so negativen menschlichen Eigenschaften, die das Buch ausmachen. Schließlich ist "Linna singt" zwischen den Zeilen mehr als Linna und das war das, was mich so an die Seiten fesselte, was mich bis spät in die Nacht lesen und was meine Hände schwitzig und meinen Herzschlag schneller werden ließ - die Gedanken und Werte, auch die Musik (und die tolle Playlist), die das Buch so besonders machten. Durch eine kitschlose Liebe erfüllt "Linna singt" auch die obligatorische Liebesbeziehung, die nebenbei erzählt und ganz natürlich in das Geschehen eingewebt wurde - besonders positiv anzumerken ist hierbei, das ganz natürlich mit dem Thema Sex und Körperlichkeiten umgegangen wird - erfrischend, wenn man bereits völlig entnervt von den keuschen amerikanischen Teeniegeschichten ist! Die Auflösung am Ende war im Übrigen weit weniger spektakulär als erhofft, hielt sich aber im Rahmen - auch wenn Linnas Geheimnis bezüglich des Singens ein wenig untergegangen ist.
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