Marcus Goldman ist ein Schriftsteller, der gleich mit seinem Debütroman überaus erfolgreich und berühmt wurde. Doch dieser erste Erfolg währt nicht für ewig und so muss Goldman nun ein weiteres Buch schreiben, wenn er weiterhin auf der Erfolgswelle reiten möchte. Allerdings befällt Goldman die Schriftstellerkrankheit und er bekommt nicht einen einzigen sinnvollen Satz, geschweige denn einen ganzen Roman, zustande. Hilfesuchend wendet er sich an seinen alten Freund und Mentor, Harry Quebert, welcher selbst ein weltbekannter Schriftsteller ist.
Doch dann geschieht etwas völlig Unerwartetes: Harry Quebert wird verhaftet und des zweifachen Mordes sowie der Entführung eines 15-jährigen Mädchens im beschuldet, welches seit nunmehr 33 Jahren vermisst und deren Skelett nun geborgen wurde. In Harrys Garten, zusammen mit dem handgeschriebenen Manuskript von Queberts ersten Roman. Goldman ist jedoch von der Unschuld seines Freundes überzeugt und macht sich daran, das über 33 Jahren gehütete Geheimnis von Aurora aufzudecken.
»Worte sind schön und gut, Marcus. Aber schreiben Sie nicht, um gelesen zu werden. Schreiben Sie, um sich Gehör zu verschaffen.« – Seite 501
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, in welcher dieser Roman überall besprochen und gelobt wurde. Es gab kaum einen Leser, der diese Geschichte nicht gelesen hat und nicht völlig begeistert war. Doch wie es so mit den hochgelobten Büchern ist, wecken sie auch viel zu hohe Erwartungen und ich muss ehrlich sagen, dass mich die Inhaltsangabe zum damaligen Zeitpunkt schlichtweg nicht neugierig genug gemacht hat, um mich der über 700 Seiten anzunehmen. Jetzt – gut drei Jahre später – bin ich dann aber doch neugierig geworden und muss gestehen: den Hype und Bestseller-Status hat dieser Roman absolut verdient.
Allerdings ist es ein wenig schwerer zu beschreiben, was diesen Roman so besonders macht. Sicherlich die Tatsache, dass die Geschichte von der ersten bis zur allerletzten Seite spannend ist. Und das ist bei so vielen Seiten, so viel Input, schon ein wahres Kunststück. Dicker weiß zu erzählen, zu fesseln und zu überraschen. Mehrmals dachte ich, er könne mich nicht mehr überraschen und dann tut er doch genau das.
Dadurch, dass Dicker mehrere Geschichten zu verschiedenen Zeiten beschreibt, hat man nicht nur einen einzigen Handlungsstrang und eine Erzählperspektive, sondern gleich mehrere. Das Grundgerüst des Romans besteht aus drei Teilen, die sich darum drehen, dass Marcus Goldmann an seinem zweiten Roman schreibt, nämlich einem Buch über den Fall Harry Quebert, in dem er all das beschreibt, was er in seinen eigenen Ermittlungen erfährt. So möchte er die Unschuld seines Freundes beweisen. Darüber hinaus beschreibt der Autor die Handlung um das Leben des Marcus Goldman. Wie er zum Ruhm gelangte, was ihn ausmacht; seine Vergangenheit genauso wie seine Gegenwart. Und während Goldman nach und nach die verschiedensten Geheimnisse der Kleinstadt Aurora entdeckt, so erfährt auch der Leser mit Hilfe von Rückblenden, Briefen, Erzählungen diverser Personen und Auszügen aus Queberts und Goldmans Romanen die Wahrheit. Die Wahrheit hinter dem plötzlichen Verschwinden der 15-jährigen Nola im Jahr 1975 und den Geheimnissen, die über dreißig Jahre lang verborgen geblieben sind.
»Nach den Menschen kommen andere Menschen. Nach den Büchern kommen andere Bücher. Nach dem Ruhm kommt anderer Ruhm. Nach dem Geld kommt anderes Geld. Aber nach der Liebe, Marcus, nach der Liebe bleibt nur das Salz der Tränen.« – Seite 559
Man merkt: dieser Roman ist eine vielfältige und abwechslungsreiche Mischung an Stilmitteln, Erzählweisen und -Perspektiven und Charakteren. Und genau macht das Lesen dieser gewaltigen Geschichte so interessant. „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ ist nicht nur eine tolle Erzählung, sondern auch ein spannender und überaus fesselnder Kriminalroman. Zudem ist er wie ein gigantisches Puzzle, welches man nach und nach zusammen setzen muss. Dafür muss man allerdings erst die einzelnen Teilchen finden, drehen und wenden sowie diese dann richtig zusammensetzen, damit sie in dieses Puzzle passen.
Eine weitere Besonderheit ist dieses Buch-in-Buch-Format, welches ich persönlich unheimlich mag. Es ist alles andere als schlicht oder einfach und das macht das Lesen so aufregend und interessant. Es macht schlichtweg unfassbar viel Spaß, dieses Buch zu lesen. Und zu allerletzt sind die insgesamt 31 Ratschläge Queberts über das Schreiben eines Buchs, die vor jedem Kapitel beschrieben sind, das Tüpfelchen auf dem i, genauso wie die vielen kleinen Einblicke in das Verlagswesen, die hin und wieder auch einen etwas satirischen Klang haben. Kurzum: als Vielleser wird man sich damit sehr wohl fühlen.
Bei diesem Roman würde ich tatsächlich wieder einmal so weit gehen und sagen: dies ist ein perfekter Roman, bei welchem es eine pure Freude ist, ihn zu lesen. Eine fesselnde wie unterhaltsame Geschichte, ein wunderbarer Schreibstil und Charaktere, deren Geheimnisse und Handlungen man erst selbst nach und nach entdecken und entschlüsseln muss. Es tut mir ein wenig leid, dass ich dieses Buch erst jetzt so richtig bemerkt habe, aber vielleicht war das auch der genau richtige Zeitpunkt – drei Jahre nachdem es erstmals auf deutsch erschienen ist. Zeigt es schließlich, dass es sich durchaus lohnt, auch „ältere“ Bücher neu zu entdecken. Wer es also auch noch nicht gelesen hat: bitte nachholen!
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Bibliografie:
ISBN: 978-3-492-30754-3 / Verlag: Piper / Übersetzerin: Carina von Enzenberg
Seiten: 736 / ET: 02.05.2016 / Originaltitel: „La Vérité sur l’affaire Harry Quebert“