Rezension: Jeff VanderMeer – Autorität (Kunstmann 2015)

Im zweiten Band seiner Southern-Reach-Trilogie verschiebt Jeff Vandermeer die Perspektive: Die Innensicht auf das mysteriöse, unkontrollierbare Sperrgebiet ‘Area X’ wird nun durch eine Aussensicht ergänzt. Sie folgt mehrheitlich John Rodriguez, dem Interims-Direktor der Organisation Southern Reach, in seinen Versuchen, die Hindernisse zu überwinden, die ihm auf der Suche nach der Wahrheit über Area X den Weg versperren. 

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Der erste Band der Trilogie – “Auslöschung” – folgte der zwölften Expedition in die Area X, einer Gruppe von vier namenlosen Frauen, die von der Organisation Southern Reach damit beauftragt waren, das unkontrollierbare, durch ungeklärte Umstände entstandene Sperrgebiet zu erforschen. Sie trafen auf eine makellose, aber unheilvolle Wildnis, die sich als eine einzige Gefahr erwies… (Hier geht’s zur Rezension von “Auslöschung”)

Während der erste Band innerhalb von Area X spielte, behandelt “Autorität” die Lüftung der Geheimnisse des Sperrgebiets – ohne dieses  ein einziges Mal betreten. Die Geschichte spielt vornehmlich in den merkwürdig faulig riechenden Fluren und Räumen des Hauptsitzes von Southern Reach, wo alles “von einem Gefühl des Niedergangs durchdrungen” ist.  Protagonist des Buches ist John Rodriguez, der nach dem Verschwinden der Direktorin, die sich unerkannt der zwölften Expedition angeschlossen hatte, als Interims-Direktor von Southern Reach eingesetzt wird. Er lässt sich selbst “Control” nennen, ermangelt aber von Beginn an jeglicher Kontrolle. Schon die erste, feindschaftliche Begegnung mit der stellvertretenden Direktorin Grace zeigt an, dass John nur dem Rang nach neuer Leiter von Southern Reach ist, de facto aber Spielball höherer bürokratischer Gewalten ist. Seine Suche nach dem wahren Wissensstand, den man über Area X hat, wird erschwert durch mannigfaltige Hindernisse: Informationen werden ihm vorenthalten, Steine in den Weg gelegt, jeder seiner Schritte von unsichtbaren Augen mitverfolgt.

Der Biologin, Protagonistin des ersten Bandes, kommt auch in “Autorität” wieder eine bedeutsame Rolle zu. Unter ungeklärten Umständen ist sie aus Area X zurückgekehrt, wird nun in Southern Reach gefangen gehalten und von Control regelmässig verhört. Trotz ihres störrischen Unwillens zur Kooperation und der Behauptung, sie sei nicht mehr die Biologin, entwickelt Control ein merkwürdiges, beinahe zärtliches Verhältnis zu ihr, das von immer grösserer Bedeutung für die Geschichte wird. In ihr erkennt John einen Schlüssel zu den Geheimnissen der Area X und eine Waffe im Machtkampf mit Grace.

Zu Biologin und stellvertretender Direktorin gesellen sich zwei weitere starke Frauenfiguren, die Controls Aktionsradius bestimmen. Einerseits ist da seine Mutter, die als Beauftragte für mysteriöse, geheime Regierungsgeschäfte direkten Einfluss auf die Arbeit ihres Sohnes nimmt, andererseits ist da die in Area X verschollene ehemalige Direktorin, deren Arbeitsplatz Control übernommen hat. In diesem unermesslichen Chaos sucht er nach Indizien und Wahrheiten über Area X und stösst dabei nicht nur auf aufschlussreiche Notizen, Akten und Fotografien, sondern auch auf beunruhigende Schriften an der Wand und eine Pflanze, die sich nicht umbringen lässt…

In diesem zweiten Band der Trilogie, der gute 120 Seiten länger ist als der erste, führt Jeff VanderMeer seinen packenden Öko-Horror auf durchgehend hohem erzählerischem Niveau fort. Die Stärke von “Autorität” liegt einerseits in den undurchsichtigen, ambivalenten Figuren und der steten Ungewissheit, inwiefern sie kontaminiert sind, sei es von der düsteren Regierungsbehörde Central oder vom noch weitaus schrecklicheren natürlichen Feind, der Area X beherrscht. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht die geisterhafte Gestalt des Whitby, eines unscheinbaren langjährigen Angestellten von Southern Reach, der zunehmend bedrohliche Züge anzunehmen scheint, und diejenige Cheneys, eines Wissenschaftlers, dessen “vagabundierender Intellekt” angesichts der Hoffnungslosigkeit seiner Aufgabe nicht mehr produktiv ist. Andererseits ist der grosse Trumpf des Buches die Beschaffenheit des Feindes selbst: ein Feind, der kein Wesen ist, sondern ein allumfassendes, unfassbares Etwas, quasi die Natur selbst, die sich ihre grenzenlosen Territorien zurückerobert.

In seiner Spirale des Gruselns führt uns VanderMeer Figuren vor Augen, die höheren – natürlichen oder bürokratischen – Gewalten auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, von unsichtbaren Mächten getrieben sind. Obschon (oder gerade weil?) sprachlich eher einfach gestaltet und mit seinen abgehackten Satzstrukturen bisweilen etwas irritierend, vermag auch “Autorität” einen dem ersten Band in nichts nachstehenden, schauerlichen Sog zu entwickeln, der die vielleicht jedem Menschen innewohnende Angst vor dem Unfassbaren und dem Unverstehbaren zum Leben erweckt.

Vandermeer, Jeff. Autorität. Southern Reach Trilogie. Aus dem Englischen von Michael Kellner. München: Antje Kunstmann 2015. 368 S., 978-3-88897-995-8


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