Es ist doch die klassische Geschichte: junge Frau trifft jungen Mann, junge Frau und junger Mann heiraten, junger Mann entpuppt sich als machthabender Prinz eines südostasiatischen Bergvolkes… Die Autobiographie der gebürtigen Österreicherin Inge Sargent beginnt märchenhaft und endet in der Katastrophe. Das Zeugnis einer grossen Liebe und einer reichhaltigen Kultur, vor allem aber das Zeugnis eines zerstörten Landes.
Die Österreicherin Inge Sargent kommt nach dem Zweiten Weltkrieg als Fulbright-Stipendiatin ans Colorado Women’s College der Universität Denver. Sie lernt den jungen Sao Kya Seng kennen, der sich hier zum Bergbauingenieur ausbilden lässt. Die beiden verlieben sich, heiraten 1953. Als Inge zum ersten Mal mit ihrem Mann dessen Heimat besucht, um die Familie kennenzulernen, staunt sie nicht schlecht ob des gewaltigen Empfangs, der ihnen bereitet wird. Eins hat Sao seiner Frau verschwiegen: Er ist der machthabende Prinz (Saopha) des kleinen halbautonomen Shan-Staates Hsipaw in den nordbirmanischen Bergen.
Inge, obschon zunächst in ihrem Vertrauen erschüttert, akzeptiert die neue Rolle schnell und ist begeistert von Land und Leuten ihrer zukünftigen Heimat. Es ist eine friedliche Phase, unter Premierminister U Nu besteht zum ersten Mal ein demokratisches System. Sao Kya Seng bezieht mit seiner Frau, der neuen Mahadevi (Prinzessin) von Hsipaw, den Landsitz East Haw und beginnt, die während des Studiums in den USA erworbenen Kenntnisse zum Wohle seines Volkes anzuwenden. Er fördert die Landwirtschaft, modernisiert den Bergbau, um den ungenutzten Bodenreichtum zu schöpfen, bekämpft das Glücksspiel und die Korruption. Inge selbst, die sich nun Thusandi nennt, beginnt, nachdem sie Birmanisch und Shan sprechen gelernt hat, sich einzubringen, gründet Krankenhäuser und Schulen. Das Paar hat gemeinsam zwei Kinder, Mayari und Kennari.
Der Weg zu besseren Zeiten aber wird bald wieder jäh unterbrochen. Die hochkomplexe, von unterschiedlichsten Interessengruppen verwirrte birmanische Politik scheint keine Dauerhaftigkeit zu erlauben. 1959 hebt General Ne Win, der bestrebt ist die Macht im Lande ans Militär zu übergeben, die Macht der Shan-Prinzen auf, mit Sao Kya Seng, der ihm ein Treffen verweigert, legt er sich persönlich an. Als es letztlich 1962 zum Staatsstreich kommt und Birma zur Militärdiktatur wird, wird Sao Kya Seng gefangen genommen und vermutlich getötet. Inge steht zwei Jahre unter Hausarrest, wird abgehört und ausspioniert, ehe ihr und ihren Töchtern 1964 schliesslich die Flucht nach Österreich gelingt.
Wer angesichts des Titels “Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin” triefenden märchenhaften Kitsch erwartet, wird von Inge Sargents Autobiographie enttäuscht sein. Die ersten Jahre – die aufblühende Liebe, das neue Land, die neue Kultur, der Beginn einer gemeinsamen Familie und das Arbeiten am Wohl des Hsipaw-Volkes – sind zwar durchaus in einem feierlich-pathetischen Ton beschrieben, der keinen Halt davor macht, die erhabene Grösse aller Gefühle zu betonen. Weil die Autorin aber Saos Ausharren in der Arrestzelle als zweite Erzählebene immer wieder einschiebt, ist von der ersten Zeile (“Thusandi erkannte an den seltsamen Geräuschen, welche die Stille des tropischen Morgens störten, dass ihr Traum vorüber war..”) an klar: Das birmanische Märchen der Inge Sargent endet nicht im glücklichen Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind, sondern in einer Arrestzelle im Militärgefängnis Ba Htoo Myo respektive auf einem eilig bestiegenen Pan-Am-Flug in Richtung Westen.
In einer einfachen, klaren Sprache schreibt Inge Sargent – in der dritten Person – über die elf birmanischen Jahre, die ihr vergönnt waren. Es entsteht das Porträt einer Frau, die sich, hineingeworfen in eine ihr vollkommen fremde Kultur und soziale Stellung, mit Courage den guten wie den schlechten Herausforderungen stellt, die das neue Leben ihr anträgt.
“Dämmerung über Birma” ist das berührende Zeugnis einer Liebe, die in der Katastrophe endete. Es ist das Zeugnis einer einzigartigen Kultur mit bunten Farben, schillernden Festen, astrologischen Weissagungen und grossmütigen Menschen. Vor allem aber ist es das erschreckende Zeugnis der Zerstörung eines Landes durch eine militärische Diktatur, deren Nachwirkungen noch heute deutlich spürbar sind.
Die Autorin selbst darf nicht mehr ins Land einreisen, auf den Besitz ihres Buches, das erstmals 1994 veröffentlicht wurde, stehen angeblich 17 Jahre Gefängnisstrafe. Von Boulder, Colorado, aus, wo Inge mit ihrem zweiten Mann Tad Sargent heute lebt, gründete sie die wohltätige Organisation Burma Lifeline, um weiterhin Einfluss zu nehmen auf die Leute, die sie noch immer als die ihren betrachtet.*
Die Geschichte, die gerade auch verfilmt wird, erschien im Original auf Englisch 1994. Deutsche Ausgaben liegen seit 1997 (zunächst Bastei-Lübbe) vor. Zum vierzigjährigen Verlagsjubiläum legt der Unionsverlag (hier erstmals 2006) das Werk nun als edles kleines Taschenbuch mit Landkarten und einem erhellenden Vorwort von Bertil Lintner, der die politische Geschichte Birmas gut verständlich nachzeichnet, erneut vor.
Weiterführend: Inge Sargent: The Last Mahadevi. Ein Interview aus 2009.
*(Es ist mir allerdings nicht bekannt, ob die Organisation “Burma Lifeline” nach wie vor aktiv ist. Die Website existiert nicht mehr, auch sonst konnte ich keine Hinweise auf momentane Aktivitäten finden.)