"Was für ein verrücktes Land, in dem man sich drinnen freier fühlt als draußen an der frischen Luft."
Als der neunzehnjährige Jurastudent Kai, die hübsche Iranerin Halva Mansouri sieht, weiß er eins genau: Halva ist anders. Ihre geheimnisvolle und warme Art verdrehen ihm sofort den Kopf, doch dann ist da noch ihr Bruder Mudi, der sie auf Schritt und Tritt zu kontrollieren scheint - und überhaupt, warum kann Halva nicht einmal ihren Orangensaft selber bestellen? Kultureller Unterschiede zum Trotz verlieben sich die beiden ineinander, nichts ahnend, dass ihnen ein Hindernis bevorsteht, welches sie kaum überwinden können: Als Halvas Vater 2004 mit Hilfe von Glück und einem Freund aus dem Gefängnis im Iran fliehen konnte, ist er auf einen Handel eingegangen, um das Visum für seine Familie nach Deutschland zu bekommen. Bald schon muss Halva erkennen, dass der Preis für die Freiheit ihrer Familie definitiv zu hoch ist...
Mit Ellen Alpstens Schreibstil verhält es sich in etwa so wie mit Schokolader - man liebt sie, ganz klar, aber nach ein oder zwei Stücken reicht es dann auch schon wieder. Alpstens Stil ist da nicht anders; er ist eine so widersprüchliche Mischung aus Poesie und Plumpheit, dass man manche Stellen verschlingt und andere nur mit einem missbilligenden Seufzer bedenken kann. Besonders was Dialoge und Jugendsprache angeht, wirkt "Halva" sehr unrealistisch und unglaubwürdig, die Sprache liest sich hölzern und aufgesetzt und da können die schön geschriebenen Passagen leider auch nicht mehr viel dran ändern. Insgesamt liest sich das Buch aber dennoch recht flüssig und die kleinen Stolpersteine interessieren den Leser am Ende sowieso nicht mehr. Daher: Gute Ansätze, aber keine Glanzleistung.
Manche Bücher möchte man zeitweise gegen die Wand werfen, einfach, weil sie einen emotional so aufwühlen. Gut, manche nerven auch einfach nur und ich muss zugeben, dass auch "Halva, meine Süße" da nicht unbedingt ein unschuldiges Exemplar ist, aber prinzipiell gehört diese Geschichte eher in die erste Kategorie: Emotional aufwühlend. Denn wenn "Halva, meine Süße" (im folgenden immer nur "Halva") eines ist, dann das - und das nicht nur wegen der unzähligen Schwächen, die dieses Buch aufzuweisen hat. Nein, auch die Geschichte entwickelt sich gegen Ende zu einer unglaublichen (und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes) Aneinanderreihung aus Verständnislosigkeit,
Unglauben und Hass, die man zwischendrin kaum noch aushalten kann. Ich wollte diesem Buch wehtun, ich wollte es aus dem Fenster werfen und ich wollte es nicht weiterlesen, denn man kann sagen was man will, "Halva" ist definitiv kein durchweg gutes Buch, aber es ist eines, das in mir etwas bewegen konnte - und das spricht doch im Grunde nur dafür.
Fangen wir bei den Dingen an, die mich gestört haben - und das immens. "Halva" deutscht extrem herum, wenn ihr versteht, was ich meine. Es hat diese Art und Weise, an der man direkt merkt, dass dieses Buch von einer deutschen Autorin geschrieben wurde und das gerade im Hinblick auf das Verhalten Jugendlicher. Unauthentischer kann man die Jugend von heute eigentlich kaum darstellen, gerade was die Sprache betrifft. Ich kenne niemanden, weder Student, noch Schüler, noch Kind, der derart altmodisch und slanglos redet, wie es in diesem Buch der Fall ist. So verliert die Geschichte öfters mal an Glaubwürdigkeit und wirkte, als wäre es aus der Sicht eines achtzigjährigen geschrieben, wo wir auch direkt bei Protagonist Kai wären, der so ziemlich der aalglatteste und unglaubwürdigste Mensch ist, der mir literarisch je über den Weg gelaufen ist. Warum? Weil er unmenschlich, beinahe aufgesetzt und gekünstelt wirkt. Er verhält sich wie ein Jugendlicher und redet wie ein alter Mann, der schon alles vom Leben gesehen hat und auf seine letzten Tage noch einmal ein Abenteuer in Sachen Liebe erleben will.
Dabei fällt öfters mal auf, wie wenig man auf die Worte der Autorin vertrauen kann. Erst noch wird die Beziehung zwischen Kai und seinem Vater als schwierig dargestellt und plötzlich kommt der neunzehnjährige Kai mit Worten wie "Papa [...] Wenn du jemanden magst... ich meine, so richtig [so wie du Mama geliebt hast] magst. Soll man das gleich sagen?" (S. 116). Bitte? Welcher neunzehnjährige Student fragt denn so was seinen Vater, wenn er geistig auf der Höhe sein soll? Die zweite Protagonistin Halva jedenfalls ist in dieser Hinsicht ein wenig realistischer gezeichnet. Gerade ihren iranischen Hintergrund und generell die kulturellen Wissenseinschübe, die hier oft in den Text eingebaut werden, haben mir sehr gut gefallen und mich extrem interessiert. Die Autorin führt die Figuren auch sehr schnell zusammen - und lässt sie sich so schnell ineinander verlieben, das die Magie, dieser besondere Zauber einfach völlig wegfällt. Das ist natürlich sehr schade, da die Geschichte enorm dramatisch und pathetisch ist und dem Leser einiges an Unverständnis und Mitleid abverlangt, was er für die blassen Figuren oft gar nicht übrig hat.
Und jetzt kommt das große ABER, denn die Geschichte hat mich ja doch berühren können, mich rasend gemacht und verdammt sauer, denn die familiäre Situation Halvas ist doch zu schockierend, als dass sie einen kalt lassen könnte. Es ist verblüffend, wie schnell Figuren, die man anfangs mochte, plötzlich zu jemand ganz anderem werden und man jegliche Sympathie für sie verlieren kann, aber Alpsten hat das definitiv geschafft. Geschickt und glaubwürdig präsentiert sie die kulturellen, wie moralischen Unterschiede zwischen dem Iran und Deutschland und hat mich damit so manches Mal sehr wütend gemacht. Die letzten hundertfünfzig Seiten des Buches bohrten sich in mein Herz und konnten so leicht nicht mehr herausgezogen werden; tausend kleine Widerhaken stecken noch immer dort fest und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dies auch noch eine Weile so bleiben wird. Die vielen Thematiken und Probleme, die Alpsten in das Zentrum der Geschichte stellt, sind einfach zu faszinierend und gerade in der kurzen Zeitspanne kaum zu lösen. So bleibt auch das Ende sehr unbefriedigend und schreit der Offenheit wegen gerade zu nach einer Fortsetzung, die aber wohl ausbleiben wird.
Zugegeben: Sonderlich lesenswert und positiv tönt das alles nicht und ich bin auch absolut nicht überzeugt von dem Buch, aber im Gesamtbild und gerade zum Ende hin betrachtet, hat dieses Buch etwas geschafft, was nur wenige Geschichte wirklich zu erreichen vermögen: Es hat mich aufgewühlt. In jeder Hinsicht. Es hat mich mehrmals fest geschüttelt, mich gegen die Wand geworfen und dort gehalten, denn die Geschichte um Halva, ihre Familie und Kai ist eine sehr trauriger und emotionaler Art, die mich mehr als einmal den Kopf hat schütteln lassen. Zwar ist die Charakterzeichnung und die Authentizität im Hinblick auf das Verhalten und die Sprechweise Jugendlicher ziemlich schwach und überzeugt nur wenig, dafür sind es die Details, die die Geschichte besonders machen. Aufwühlend, anders und dramatisch - das ist Halvas Geschichte und sie ist trotz der vielen Kritikpunkte meiner Meinung nach lesenswert, gerade die letzten hundert Seiten.
Ellen Alpsten wurde 1971 als Tochter eines deutschen Tierarztes in Kenia geboren und studierte nach ihrem Abitur zwei Jahre Jura in Köln, ehe sie an das französische "Institut d'Etudes Politiques de Paris" wechselte. Nach ihrem Diplom arbeitete sie in London bei den Wirtschaftssendern Bloomberg TV und N24 als Produzentin und Moderatorin und veröffentlichte 2002 ihr Debüt "Die Zarin" bei Eichborn. Seit 2004, nach der Geburt ihres ersten Sohnes, ist sie als freie Journalistin und Schriftstellerin tätig, u. a. für die FAZ, Spiegel Online und Madame. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in London. [via Coppenrath]
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Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich sehr herzlich bei