Rezension: Flucht aus Lager 14 von Blaine Harden


"Flucht aus Lager 14" ist ein kein Buch für zart besaitete Gemüter. Brutal und ohne zu beschönigen werden die Lebensumstände von Shin Dong-hyuk im nordkoreanischen Arbeiterlager geschildert. Ein gelungenes Werk über eine Thematik, die von der Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt wird. 

Shin Dong-hyuk wurde in einem der berüchtigten Arbeiterlager in Nordkorea - dem Lager 14 - geboren. Abgeschnitten von der Aussenwelt, ohne Kenntnisse vom Weltgeschehen, aber auch ohne Idee davon, was Liebe, Familie und Freundschaft bedeutet, wächst Shin in einer Umgebung auf, die von Gewalt, Willkür und Hunger geprägt ist. Genug zu essen bekommt er nie, Liebe erfährt er nicht. Seine Mutter ist für ihn lediglich eine Konkurrentin im Kampf ums Überleben. Seinen Bruder und seinen Vater kennt er kaum. Zudem wird das Lager von den Wärtern mit harter Hand geführt und die Gefangenen werden stets angehalten, ihre Mitgefangenen zu denunzieren, sollten sie sich nicht an die Regeln halten. Genau das tut Shin, als er seine Mutter und seinen Bruder verrät, die eine Flucht geplant haben. Die beiden werden vor seinen Augen hingerichtet. Als Shin über 20 Jahre alt ist und noch immer nichts von der Welt ausserhalb des Lagers erfahren hat, kommt ein neuer Gefangener ins Lager. Dieser weckt mit seinen Erzählungen von der grossen, weiten Welt Shins Fluchtgelüste und die beiden beschliessen, gemeinsam die Flucht zu wagen.
Gelungene Dokumentation
Autor Blaine Harden, ein renommierter Journalist, legt mit "Flucht aus Lager 14" eine gelungene Mischung aus Biografie und Sachbuch vor. Die Verknüpfung zwischen der schier unglaublichen und für die Leser teils nur schwer zu ertragende Lebensgeschichte von Shin Dong-hyuk und den Hintergrundinformationen über Nordkorea, ein Land, über das im West kaum etwas bekannt ist, gelingt Blaine hervorragend. Ich muss zwar gestehen, dass mich das Schicksal von Shin deutlich mehr interessiert hat, als die Informationen über Nordkorea, doch das zusätzliche Wissen hilft zu verstehen, was in dieser Diktatur abgeht - vieles davon ist haarsträubend und für die westliche Welt nicht zu verstehen.
Was ich sehr interessant gefunden habe, ist die Art und Weise wie das Buch zustande gekommen ist und wie die zahlreichen Gespräche zwischen Harden und Dong-hyuk dessen Lebensgeschichte widerspiegeln. Dong-hyuk hat grosse Probleme, sich in einer zivilisierten Welt zu Recht zu finden und Vertrauen zu seinen Mitmenschen zu fassen. Das Lager prägt ihn auch Jahre nach der Flucht noch immer und hat sein Leben im Griff. Das zeigt sich auch bei den Arbeiten am Buch. Mehrmals revidierte Dong-hyuk seine Aussagen zu bestimmten Ereignissen (beispielsweise zu seiner Rolle beim Tod seiner Mutter und seines Bruders). Zudem fällt es ihm teilweise leicht über die Ereignisse zu sprechen und dann tut er sich wieder sehr schwer damit. Dies passt zu den psychischen Auf und Abs die Dong-hyuk nach seiner Flucht plagten. Dass Harden diese Schwierigkeiten beim Verfassen seines Werks offenlegt, finde ich gelungen. Auch der Hinweis, dass er keine Möglichkeit hatte, die Aussagen von Dong-hyuk zu überprüfen, sondern sich nur auf die Meinung von anderen Experten und seine eigene Einschätzungsgabe verlassen konnte, ist wichtig.
Schlussendlich ist es jedoch irrelevant, ob die Biografie von Dong-hyuk bis ins letzte Detail stimmt oder nicht. Viel wichtiger ist, dass seine Geschichte erzählt und einer breiten Öffentlichkeit die Missstände in Nordkorea aufgezeigt werden. (fba)


Bibliografische Angaben:

Titel: Flucht aus Lager 14
Autor: Blaine Harden
Seiten: 256
Verlag: Deutsche Verlangsanstalt
Erschienen: 2012
ISBN-10: 3421045704
ISBN-13: 978-3421045706
Bewertung: Rezension: Flucht aus Lager 14 von Blaine Harden
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