Rezension: Flattermann von Hansjörg Schneider

Von Fba @dtliteratur

"Flattermann", so der Titel des zweiten Falls des Basler Kriminalkomissärs Hunkeler. Autor Hansjörg Schneider lässt den Leser sehr stark am Leben und den Probleme seines kauzigen Hauptcharakters teilhaben, der Kriminalfall gerät verkommt dabei eher zur Randnotiz - was jedoch überhaupt nicht stört.


Kriminalkomissär Hunkeler hat Urlaub und verbringt viel Zeit am Rhein, wo er regelmässig schwimmen geht. An einem schönen Sommertag hört er plötzlich einen Schrei und sieht, wie ein älterer Mann von der Brücke in den Rhein stürzt. Hunkeler reagiert nicht, er ist wie gelähmt. Ein Holländischer Bootsfahrer zieht den alten Mann aus dem Wasser und dieser wird ins Spital gebracht. Hunkeler, der sich grosse Vorwürfe macht, dass er den Mann nicht gerettet hatte, bringt bald in Erfahrung, dass Freddy Lerch seinen Verletzungen im Spital erlegen ist. Hunkelers Kollegen von der Basler Polizei beginnen zu ermitteln und stossen bald auf den Grossneffen Silvan Lerch, der mit einer grossen Menge Kokain am Flughafen erwischt wurde. Dieser gibt an, er hätte ein Luxusauto nach Kuwait bringen und es dort gewinnbringend verkaufen wollen. In Istanbul sei ihm jedoch alles geklaut worden und sein einziger Ausweg sei gewesen, den Koffer an sich zu nehmen. Das Geld, um das Auto zu kaufen, hatte er von Freddy Lerch erhalten. Hunkeler kann sich trotz seinem Urlaub nicht von dem Fall lösen und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Er bricht sogar in Lerchs Wohnung ein, wo er dessen Memoiren findet. Diese beginnt er zu lesen und findet dabei immer mehr Hinweise auf sich und sein eigenes Leben. 
Krimi wird zum SelbstfindungsromanHansjörg Schneiders Serie mit Kriminalkomissär Hunkeler in der Hauptrolle befasst sich normalerweise mit Aufklärungen von Verbrechen, doch das ist in diesem Werk anders. Für den Leser ist schnell klar, dass sich Freddy Lerch willentlich von der Brücke gestürzt hat, um sein Leben zu beenden. Die Frage nach der Lösung des Kriminalfalls, der in diesem Fall gar kein Verbrechen beinhaltet, ist also schnell geklärt. Die Spannung geht deswegen aber trotzdem nicht verloren, was an der Erzählung von Freddy Lerchs Leben liegt. Seine Geschichte ist der rote Faden in diesem Werk. Episodenweise liest Hunkeler darin und dabei werden ihm die Augen geöffnet, was bei ihm und rund um ihn herum alles falsch läuft.
Sozialkritisches Werk
Hunkeler hatte grosse Differenzen mit seinem Vater und er konnte sich daher nie richtig von ihm verabschieden. Er hat dessen Leiche auch nie angeschaut im Spital. Als er Freddy, der bereits über 80 Jahre alt war - als etwa im Alter seines Vaters -, von der Brücke stürzen sah, erinnerte ihn dies an seinen Vater. Hunkeler bestand darauf, Lerchs Leiche im Spital zu sehen, um von ihm und damit stellvertretend auch von seinem Vater Abschied zu nehmen.
Als er dann in der Folge die Erzählung von Freddy Lerchs Leben liest, berührt ihn diese tief. Sie erinnert ihn daran, worum es im Leben eigentlich geht. Darum, zu kämpfen, für seine Prinzipien einzustehen und auch darum, sich von der Liebe leiten zu lassen. Lerch, der beinahe zwei Jahrzehnte als Matrose in der Karibik verbrachte, übt auch viel Sozialkritik an den Schweizern aus. Als er wieder zurück in seine Heimat kam, musste er feststellen, dass die Schweizer, obwohl es ihnen materiell gesehen viel besser geht als den Karibikbewohnern, unglücklich und unzufrieden sind. Sie lachen kaum, strahlen keine Lebensfreude aus. Lerch versteht auch die heutige Jugend nicht, die sich gehen lässt, die Drogen konsumiert und die nicht gelernt hat, was es heisst, für das Erreiche seiner Ziele zu kämpfen.
Hunkeler fühlt sich Lerch sehr nah und ertappt sich vermehrt dabei, die Welt durch Lerchs Augen zu betrachten. Er beginnt sich ab engstirnigen und ignoranten Menschen in seinem Umfeld zu nerven. Dabei fasst er einen Entschluss und verreist für einige Tage nach Paris. Dort, in der Stadt der Liebe, in der auch Lerch öfters war, findet er im Afrikanischen Viertel die Lebensfreude wieder.
Starke Beschreibungen, viele Motive
Der Reiz dieses Werks von Hansjörg Schneider steckt nicht in der Handlung, der Action, sondern in den ausdrucksstarken und realitätsnahen Beschreibungen. Sowohl die Szenerie der Stadt Basel, wie auch diejenige am Ende des Werks des lebensfrohen Pariser Viertels sind extrem gelungen. Die Sozialkritik, die Schneider durch Lerchs Erzählung ausübt, mag ein wenig überzeichnet und klischiert sein, doch in ihrem Kern trifft sie die Wahrheit ziemlich genau.
Auch beinhaltet das Werk viele Motive, die öfters wiederkehren. So beispielsweise dasjenige des Geruchs von Hunkeler. Zu Beginn der Geschichte befürchtet Hunkeler, er habe seinen eigenen Geruch verloren, er wisse nicht mehr wer er sei. Durch das Lesen von Lerchs Geschichte, den Erkenntnissen, die er daraus gewinnt, und der Reise nach Paris findet er wieder zu sich und hat am Ende auch seinen Geruch wieder.
Alles in allem ist "Flattermann" ein sehr empfehlenswertes Werk, allerdings nur dann, wenn man nicht mit der Erwartung eines packenden Krimis an das Buch herangeht. (fba)


Bibliografische Angabe:


Titel: Flattermann
Autor: Hansjörg Schneider
Seiten: 176
Erschienen: 1995
Verlag: Bastei Lübbe
ISBN-10: 3404147332
ISBN-13: 978-3404147335
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