|Rezension| "Ficken sag ich selten - Mein Leben mit Tourette" von Olaf Blumberg

Von Paperdreams @xGoldmarie


Der Tag, an dem mein bisheriges Leben zu Ende ging, war ein wunderschöner Sonntag im Spätsommer.
Als Olaf Blumberg eines Tages zum Joggen rausgeht, trifft es ihn völlig unvermittelt. Einfach so aus dem Nichts beginnt er zu bellen und weiß selbst nicht, was mit ihm nicht stimmt. Der innere Zwang diese Laute herauszulassen ist so stark, dass er sein Studium hängen lässt und sich völlig isoliert bis er sich schließlich traut und einen Arzt auf sucht. Olaf,Anfang zwanzig, hat das Tourette Syndrom und mit dieser Diagnose krempelt sich sein Leben völlig um. Von nun an zweifelt er immer mehr an sich und seinem Leben und muss einige Kliniken aufsuchen und die verschiedensten Menschen treffen, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Olaf Blumberg schreibt, als würde er sich bis tief in die Nacht mit einem guten Freund unterhalten und dabei neben einigen Erinnerungen auch über Gott und die Welt reden. Dabei ist sein Schreibstil nicht anspruchslos oder allzu simpel gehalten - vielmehr würde ich ihn als ehrlich, echt und bewegend beschreiben. Blumberg schafft es sein Leben in Worte zu verpacken, die für jeden Menschen verständlich sein dürfte, ganz egal, wie es ihm im Leben getroffen hat und so ist das Verhältnis zwischen Erzähler und Leser schon von Anfang an sehr locker und verständnisvoll. Mit viel Charme und Witz, aber auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Tiefe erzählt Blumberg von seinem Leben und gewährt uns einen Blick in seine andersartige Welt.
Wie kann man überhaupt ein Buch bewerten, dass die Lebensgeschichte eines Menschen erzählt? Im Grunde doch gar nicht. Was sollte man auch sagen? "Die Hauptfigur war mir unsympathisch und der Inhalt pathetisch?" Wohl kaum. Und nicht nur, weil man so etwas einfach nicht schreibt/sagt, sondern einfach, weil es nicht der Fall ist. Olaf Blumberg wurde auf knapp zweihundert Seiten zu einem guten Freund, dessen Geschichte man erzählt bekommt, der erst vielleicht ein wenig befremdlich sein mag, mit der Zeit aber völlig normal wird. Oder anders gesagt: Olaf Blumbergs Geschichte hat mich beeindruckt und mir seine Krankheit und den Umgang damit um einiges näher gebracht. Daher bewerte ich hier auf keinen Fall den Inhalt, sondern mehr das, was Blumberg mit dieser Biographie an den Leser bringt und wie er es bewerkstelligt, ein authentisch wirkendes Bild auf so kurzen Seiten zu erschaffen.
Denn kurz ist das Buch wirklich, gerade für ein Thema, das sicherlich an noch viel mehr Stellen aneckt, als man es in "Ficken sag ich selten" mitbekommt. Das bleibt auch mein einziger Kritikpunkt - einige Dinge werden nicht angeschnitten. Einerseits verständlich, weil es irgendwann ja doch sehr privat werden würde, andererseits hätte ich aber so gerne noch viel länger und mehr gelesen, weil es mich einfach berühren konnte. Was mich beispielsweise noch interessiert hätte, wäre das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, die Frage, wie die Krankheit in der Familie "wirkt" und noch ein wenig mehr Blicke hinter die Kulissen. Vielleicht ist es aber auch gerade dieser kurze Einblick in Blumbergs Leben, der das Buch so authentisch macht - schließlich ist sein Leben nicht vorbei, es geht weiter und es kommt noch viel mehr. Das Buch vermittelt einfach zu jeder Zeit Lebensfreude und Lebenslust trotz "Stolpersteine" und berührt den Leser tief, sodass man nicht umhin kommt Olaf Blumberg zu bewundern.

Ich habe oben geschrieben, dass ich Blumbergs Geschichte beeindruckend finde, aber ich finde auch ihn als Menschen sehr faszinierend - nicht, dass ich ihn kennen würde, aber seine Worte haben mir das Gefühl gegeben, ich würde ihn eben doch kennen. Die Entwicklung die er durchmacht, all das, was sich verändert und was er über das Leben herausfindet, ist einfach beeindruckend und lässt einen trotz der schweren Thematik lächeln, denn Blumberg hat eine ganz besondere Art mit sich selbst und seinem Leben umzugehen, die ihn sehr stark wirken lässt. Er porträtiert das Leben in all seinen Facetten und schafft es auch schlimme, rührende und bewegende Momente aufzulockern und eingängig zu gestalten, sodass einen oft das Gefühl bekommt, Blumberg würde das Leben viel intensiver wahrnehmen, als man selbst - zumindest hatte ich einfach oft den Gedanken, dass er das Leben viel deutlicher beschreiben und erklären kann, viel mehr aus einer Situation mitnehmen kann.
"Ficken sag ich selten" ist ein Einblick in eine Krankheit, die mir zuvor immer sehr befremdlich erschien und von der ich auch nicht mehr wusste, als man aus Medien und co. mitbekommt. Mit Olaf Blumbergs Geschichte wurde sie etwas greifbares, etwas, dass nicht meilenweit entfernt ist und dass jedem passieren kann. Dennoch geht es nicht nur um Tourette selbst, sondern auch darum mit einer Krankheit umzugehen, es geht um Toleranz, Freundschaft, Menschen, Schicksale und einfach das Leben selbst. Verpackt in humorvolle und dennoch eindringliche Worte, ist "Ficken sag ich selten" ein Buch, dass man auf jeden Fall lesen sollte, wenn man einen tieferen Einblick in die Thematik bekommen oder einfach nur einen unglaublich charismatischen Menschen für ein kurzes Stück in seinem Leben begleiten will. Ein Buch, das mich unterhalten hat, wie ein Roman, mitgerissen hat, wie ein Thriller und gleichzeitig traurig und glücklich gemacht - wie das Leben selbst eben. Eine absolut lesenswerte Biographie.
Ficken sagt Olaf Blumberg tatsächlich selten (in seiner Biographie kommt das Wort fast gar nicht vor!), dafür gewährt er uns einen Einblick in das Krankheitsbild des Tourette Syndroms und schildert auf komische, witzige, rührende und sympathische Art und Weise sein Leben mit der Krankheit. Dabei ist das Buch gut geschrieben, als würde man sich mit einem Freund über Gott und die Welt unterhalten - nur das eben noch Tourette dabei ist - und bringt einen gleichzeitig zum Nachdenken und Lächeln. Wer mehr über Tourette und seine Eigenschaften, das Leben und das Schicksal erfahren und dabei einen symapthischen jungen Mann kennenlernen möchte, sollte sich "Ficken sag ich selten" definitiv mal ansehen!
 
Olaf Blumberg, Jahrgang 1984, lebt und studiert in Paderborn. Er wechselte vom Lehramtsstudium – Germanistik und Sport – zu Sozialpädagogik, als er von seiner Tourette-Erkrankung erfuhr. Olaf Blumberg engagiert sich für mehr Toleranz und Verständnis im Umgang mit Tourette-Kranken.
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