Alles wird damit beginnen, dass ich verschlafe.
Es ist ein ganz normaler Schultag, als für die fünfzehnjährige Miriam das Leben zum Horrorfilm mutiert, denn kurz nach der Pausenglocke fällt der erste Schuss. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Joanne flüchtet sie sich auf das Jungenklo, bis sie schließlich Schritte vor der Tür und einen Schuss hört. Um sich zu vergewissern, dass der Schütze verschwunden ist, verlässt sie ihr ihr Versteck und findet ihre schwer verletzten Freund Tobi. Als alles vorbei ist, verliert Miriam nicht nur ihr unbeschwertes Leben, sondern auch all das, wofür es sich zu leben gelohnt hat und schon bald muss Miriam feststellen, dass es keine Helden gibt und sich darüber klar werden, wie man weiterleben kann, wenn die Welt eigentlich still stehen sollte.
Man sollte meinen, den Schrecken kann man nur in Worte fassen, wenn man eine gewisse Reifer, ein gewisses Alter erreicht hat, aber Anna Seidl hatte dieses Talent bereits mit sechzehn Jahren. "Es wird keine Helden geben" ist ein Roman, der sehr bewegend und eindringlich erzählt ist und ein so sensibles und feinfühliges Thema mit angemessenen Worten beschreibt. Es ist nicht zu jugendlich, aber auch nicht zu kitschig-schwer, viel mehr gelingt es Seidl ein ansprechendes Gleichgewicht zu finden, das immer in Entwicklung und Bewegung ist. Dabei kommt sie nicht umhin, ein paar Mal ins Pathetische abzurutschen und ein wenig zu viele Lebensweisheiten in die Geschichte einzubauen, die manchmal etwas zu gewollt wirken und geschickter hätten eingebaut werden können. Ansonsten erschafft Seidl aber eine Atmosphäre, die unter die Haut geht und mit einem tiefen Stachel ins Herz dringt.
Wenn ein Buch den Leser schon beschäftigt, bevor er es überhaupt zu lesen begonnen hat, kann das eigentlich nur ein gutes Zeichen sein. Bei "Es wird keine Helden geben" ist es schon der Titel, der einem in großen, grellen Lettern entgegen brüllt und das gesamte Cover des Buches ausfüllt. Es ist wie eine Warnung: Achtung, ab hier soll nur lesen, wer damit umgehen kann, dass es keine Helden geben wird, auch wenn man sich das immer so sehr wünscht. Gerade im Zusammenhang mit der Thematik wird aus dem Titel ein Schuh - es geht um einen Amoklauf, ein Thema, das wohl leider nie an Aktualität verlieren wird. "Es wird keine Helden geben" ist eines dieser Bücher, die trotz kleinerer Schwächen unter die Haut gehen - und wenn auch nur wegen dem Thema, das wohl an niemandem spurlos vorbei gehen kann. Aber auch außerhalb von diesem weiß die Geschichte um Miriam zu berühren, auch wenn ich mir das manchmal auf anderen Ebenen und ein wenig subtiler erhofft hätte, denn "Es wird keine Helden geben" ähnelt seinem Cover in vielerlei Hinsicht.
Warum? Weil einem auch in der Geschichte vieles entgegengeschleudert wird, ohne große Einleitung oder Umleitung. Das führt auf der einen Seite zu einer Gänsehaut, kann aber auch umschwanken, denn was mir bei dem Einstieg noch sehr gut gefiel, wurde nach und nach zu einem Ritual, auf das ich zwischenzeitlich nur noch gewartet habe. Gerade in seiner Botschaft ist das Buch nämlich sehr vorwurfsvoll und rattert zeitweise eine gute Lebensphilosophie nach der anderen nur so herunter. Was im einzelnen schön klingt, wirkt im Gesamtbild aufgesetzt, kommt oft zu abrupt und lässt es so manchmal ein wenig unglaubwürdig erscheinen - abgesehen davon hat die Geschichte aber dennoch einen eindringlichen Ton, der ein sensibles Thema einfühlsam ver- und aufarbeitet. Dabei ist es natürlich schwer, so viel unbekannte Emotionen an den Leser zu bekommen - wer könnte das alles schon nachvollziehen, wenn er es nicht selbst erlebt hat? Auch das ist etwas, was man als Leser oft ruppig an den Kopf geworfen bekommt, aber irgendwie passt das auch zu der Protagonistin Miriam, die ihr Leben plötzlich aus ganz anderen Perspektiven betrachten muss.
Miriam ist eine durchwachsene Persönlichkeit, die mir an manchen Stellen in ihrer Selbsteinschätzung ein bisschen zu nett und unschuldig wegkommt und selbst im Nachhinein nicht so wirklich einsehen kann, dass sie besonders viel mit dem Mobbing an Matias Staud (dem Amokläufer) zu tun hat. Sie ist ein eher passiver Charakter, gerade was die Moral angeht. Sie denkt über vieles nach, aber ihre ganzen schlauen Gedanken setzt sie in der Gegenwart nur selten um. Ihre Wut und ihren Hass kann man aber trotzdem ständig nachvollziehen, gerade auch ihren Zwiespalt was Matias angeht. Dennoch wirkte sie mir manchmal zu aufgesetzt, zu gewollt und nicht gekonnt. Ihre Entwicklung in die verschiedenen Trauerphasen ist sprunghaft und als Leser kaum zu bemerken und gerade zum Ende hin geht die Trauerbewältigung einfach zu schnell, was bestimmte Dinge angeht. Trotz vieler Kritik konnte Miriam mich berühren und zum Nachdenken anregen und vielleicht ist es auch gerade gut so, dass sie nicht fehlerfrei und recht naiv wirkt - es ist nun mal eine wirklich schwierige Thematik und man kann einfach nicht wissen, wie man reagieren und/oder sein würde.
Ein weiterer größerer Aspekt, der für dieses Thema zugegeben, etwas kurz geratenen Geschichte, ist das Verhältnis zwischen Miriams Mutter und Miriam selbst, denn ihre Mutter hat sie vor fünf Jahren verlassen und sich nur durch Karten ab und zu bei ihr gemeldet. So findet natürlich auch eine Aufarbeitung zwischen Mutter und Tocher statt, die für mich aber nicht an allen Stellen gut funktioniert und auch fragwürdig ist. Auch in Punkto Freundschaft hat "Es wird keine Helden geben" einiges zu bieten, aber auch hier hätte ich mir noch mehr Entwicklung und Tiefgang gewünscht, vielleicht gerade was Miriams beste Freundin angeht. Das Buch hat mich berührt und aufgerüttelt, keine Frage, aber hundertprozentig überzeugt hat es mich auch nicht. Es ist atmosphärisch und gut geschrieben, wirkt zwischenzeitlich aber etwas zu aufgesetzt, um glaubwürdig zu sein. Dennoch (oder vielleicht auch gerade deswegen) würde ich das Buch jedem nur empfehlen, denn es ist einfach ein wichtiges Thema, das gut, wenn auch nicht perfekt umgesetzt wurde und an vielen Stellen schwächelt, aber den Leser trotzdem zum Nachdenken und vielleicht auch zum Weiterdenken motiviert
Es wird keine fünf Herzchen geben - soviel kann ich zumindest schon einmal sagen und es fällt mir auch wirklich schwer, das Buch in meinen Augen gerecht zu bewerten, denn obwohl es ein Buch geht, dass tiefgründiger und berührender ist als die meisten, hatte es doch seine Schwächen und konnte mich nicht auf jeder Ebene erreichen. Es schreit und brüllt, kreischt und kratzt, aber ob am Ende tatsächlich ein Nachhall der Geschichte übrig bleibt? Ich würde "Es wird keine Helden geben" dennoch jedem ans Herz legen, der sich mit einer solch sensiblen und teils auch zwiespältigen Thematik auseinandersetzen will - und auch kann. Es geht einem trotz jeder Kritik definitiv ans Herz und unter die Haut und überzeugt mit Atmosphäre und einem beeindruckenden Schreibstil, der sich gut die Waage hält. "Es wird keine Helden geben" ist kein perfektes Buch, aber es ist auf dem richtigen Weg - einfach lesen und ausprobieren!
Anna Seidl wurde 1995 in Freising geboren, wuchs u.a. in Budapest auf und zog schließlich mit ihrer Familie nach Bayern. Schon in der Grundschule erzählte sie gern Geschichten und fing auch bald an, sie aufzuschreiben. "Es wird keine Helden geben", erschienen im Verlag Friedrich Oetinger, ist ihr Debüt. Die Autorin lebt derzeit mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in der Nähe von Aschaffenburg. [via Lovelybooks]
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