[REZENSION] "Erbeerkönigin"

Von Buechersuechtig

Cover
Die Autorin
Silke Schütze, Jahrgang 1961, lebt in Hamburg. Nach ihrem Studium der Philologie war sie Pressechefin bei einem Filmverleih und Chefredakteurin der Zeitschrift CINEMA. Sie hat bereits zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht und hält Schreiben für die zweitschönste Sache der Welt. 2008 wurde Silke Schütze vom RBB und dem Literaturhaus Berlin mit dem renommierten Walter-Serner-Preis ausgezeichnet.
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Taschenbuch: 400 Seiten 
Verlag: Knaur TB (1. März 2012) 
Sprache: Deutsch 
ISBN-10: 3426508346 
ISBN-13: 978-3426508343 
Größe und/oder Gewicht: 19 x 12,4 x 3 cm 
Leseprobe
Quelle: Droemer Knaur  *garantiert wunderschöne Lesestunden*
Die Geschichte...
Ein Brief von einem Hamburger Anwalt ändert Evas Leben: Daniel, den sie mit 19 zum ersten & letzten Mal gesehen hat und mit dem sie ein paar wunderschöne Stunden verbracht hat, ist verstorben und ausgerechnet Eva soll eine Rede bei der Bestattung halten! Kurzerhand flieht sie vor der Eintönigkeit ihres Alltags und lässt Mann, Kind und Haus in beschaulichen Örtchen Bienenholz zurück. Denn die gelernte Krankenschwester erinnert sich an die unbeschwerte kurze Zeit, die sie mit Daniel verbracht hat, fährt nach Erhalt des Briefes mit dem Zug nach Hamburg und setzt sich dort mit Hubertus, Daniels Freund und Anwalt in Verbindung. Eva kann bis zur Beisetzung in 2 Wochen Daniels Wohnung bleiben und so für ihre Grabrede mehr über den erfolgreichen Galeristen herausfinden, den sie eigentlich gar nicht kennt. Und in Hamburg entdeckt Eva wieder, wie schön und abwechslungsreich das Leben sein kann...
Meine Meinung:Seit einigen Jahren bin ich ein großer Fan der Silke Schütze-Bücher und nachdem mich zuletzt "Kleine Schiffe" so begeistert hat, musste ich natürlich auch das neueste Werk "Erdbeerkönigin" lesen. Sowohl der Titel als auch das Cover passen schön zur Geschichte. Die Geschichte beginnt im Juni mit Mittwoch, Tag 1 und endet am Mittwoch, Tag 15. Die Schauplätze in Hamburg werden so bildhaft beschrieben, dass man meint, gemeinsam mit Eva vor Ort zu sein.
Eva Brandt ist an einem Punkt angelangt, wo sie mit sich und ihrem Leben unzufrieden ist: Sie vermisst ihre Eltern, denn ihr Vater ist gestorben, als Eva 12 war und ihre Mutter wurde vor 3 Monaten bei einem Autounfall getötet. Ihre Ehe mit Nick kriselt, der 17-jährige Sohn Benny sieht sie als selbstverständlich an, das Leben im niedersächsischen Dorf Bienenholz ist sehr geruhsam und ihre Arbeit als Krankenschwester sowie die ehrenamtlichen Tätigkeiten füllen sie nicht aus. Als die 42-jährige Ex-Erdbeerkönigin den Brief von Daniels Tod erhält, entscheidet sich Eva spontan für einen Besuch in Hamburg, wo der verstorbene Galerist Daniel Eisenthuer gelebt und gearbeitet hat. Dabei macht sie die Bekanntschaft des Anwalts Hubertus Münchmeyer, der gleichzeitig auch Daniels bester Freund war, lernt Daniels Ex-Frau Alexandra und die gemeinsame 12-jährige Tochter Mia kennen und trifft auf einer Erkundungstour "Dr. Lenchen", eine lebensbejahende pensionierte Ärztin, die in einem Altersheim lebt und den russischen Straßenmusiker Stani, der wie Evas beste Freundin Alissa gern Tschechow rezitiert und wunderbar Akkordeon spielt.
Alle Protagonisten, auch die reizvoll gestalteten Nebenfiguren, sind interessante, facettenreiche Persönlichkeiten, die mit ihren Ecken, Kanten und liebenswerten Macken überzeugen und sehr menschlich wirken. Eva macht die beachtlichste Weiterentwicklung durch, da sie durch den Hamburg-Aufenthalt wachgerüttelt wird, viel über ihr Leben nachdenkt und sich ihren Ängsten stellt.
Ich-Erzählerin Eva schildert die emotionalen Begebenheiten aus ihrer Perspektive und begibt sich dabei in eine Gefühls-Achterbahn, die aus Trauer, Enttäuschung, Liebe, Freundschaft und Hoffnung besteht. Zwischendurch erfahren wir in Rückblenden, was damals, vor über 20 Jahren, passiert ist. Auch wenn man sich nicht in der gleichen Situation wie Eva befindet, identifiziert man sich schnell mit dem sympathischen Landei und kann ihre Handlungen & Taten nachvollziehen. Die Kapitel beginnen immer mit einer Frage aus dem (mir bis dato unbekannten) Spiel "Gesprächsstoff: Original", wobei folgende Fragen -die einem bei ehrlicher Beantwortung Kopfzerbrechen bereiten können- vorkommen: Welchen Titel würdest einem Buch über dein Leben geben?, Was würdest du gern besser können?, In welchem Alter hattest du die beste Zeit deines Lebens?, Wenn man einen Film über dein Leben drehen würde, welche Momente sollte dieser auf jeden Fall enthalten?, Was ist dir wichtiger: Freiheit oder Sicherheit?
Silke Schütze hat das Thema Tod einfühlsam in eine berührende Geschichte verpackt und schickt ihre Hauptperson Eva auf eine bewegende Reise, um mehr über Daniel zu erfahren und herauszufinden, warum ausgerechnet sie Daniels Grabrede halten soll. "Erdbeerkönigin" hat es geschafft, mich gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen zu bringen - ein Kunststück, dass nicht viele schaffen und das der Autorin bereits in "Kleine Schiffe" gelungen ist. Vor allem in der 2. Hälfte nehmen die Szenen mit gesteigertem Taschentuchverbrauch zu. Dank der wunderschönen, gefühlsbetonten Schreibweise, der anschaulichen Beschreibungen und der unterhaltsamen Dialoge mit einer gehörigen Portion Wortwitz lassen sich die 400 Seiten rasend schnell & flüssig lesen.
FAZIT:"Erdbeerkönigin" ist wie eine Wundertüte: Man weiß nie, was alles Nächstes kommt. Denn Silke Schütze überrascht ihre LeserInnen mit einer wundervoll feinfühligen Geschichte, die vom Leben & Tod erzählt und mit einer überaus liebenswerten Hauptperson sowie einem gefühlvollen Schreibstil zu bezaubern weiß. Dafür bekommt dieser Roman, der zum Nachdenken anregt, 5 (von 5) Punkte mit Extrastern
ZITAT Seite 23:
"Ich betrachte den zusammengeknüllten Joghurtbecher, die Kaffeeflecken auf dem Tresen und die dunklen Spuren auf der Vorderseite des Küchenschranks, die braunen Lachen auf dem Fußboden. Ich lausche dem Krach von oben. Auf einmal sehe ich mich selbst aus der Vogelperspektive. Eine Frau, nicht mehr jung, aber noch nicht alt. Eine Frau, die in ihrem Leben steckengeblieben ist zwischen Gewohnheiten und Ritualen wie in einem Auto, das in einer Parklücke von anderen zugeparkt wurde. Aber dann verschwindet wie durch Zauberhand eines der anderen Autos, die Frau legt den ersten Gang ein und fährt davon."
ZITAT Seite 47:

"Um vier Uhr nachts ist der Mensch am einsamsten. Es ist nicht möglich, jemanden anzurufen, weil man plaudern möchte. Wer um diese Zeit anruft, hat Schreckliches mitzuteilen: den Tod, eine Trennung, das Aufdecken eines Verrats. In dem normalen Alltagskummer darf man dann niemanden belästigen. Um diese Uhrzeit muss man sich einsam nach Trost sehnen. Um vier Uhr nachts sind die Gespenster der Vergangenheit lebendiger, das Bedauern um verpasste Gelegenheiten größer, die Ängste vor dem Leben spürbarer als zu einer anderen Tageszeit."ZITAT Seite 103:
"Erdbeerkönigin zu sein war für mich nur mehr als ein skurriler Titel, das wird mir zum ersten Mal klar. Erdbeerkönigin war ein Lebensgefühl. Es hat mich glücklich gemacht, Erdbeerkönigin zu sein. Die Menschen freuten sich, über mich. Und über die Erdbeeren. Sie begrüßten mich mit ihren eigenen Kindheitserinnerungen und die Freude über den Sommer."
ZITAT Seite 186:
"Leider gibt es für das Leben keine Gebrauchsanweisung. Jeder Tag ist neu. Aber das ist auch immer die Chance zu einem Neuanfang."
ZITAT Seite 213/214:
"Daniel fragte: "Was bedeutet Glück für dich?" Eva dachte nach. Es fiel ihr schwer, die Gedanken, die in ihrem Kopf durcheinanderliefen, in Worte zu fassen. Doch da flackerte eine Erinnerung in ihr auf und die sagte: "Meine Mutter hat vor ein paar Jahren einmal für die Ferien ein Haus an der Nordsee gemietet. Da waren wir einen Sommer lang. Ich bin manchmal allein mit dem Fahrrad los. Habe meine Strandtasche gepackt und bin den Deich hochgefahren." Daniel sah sie neugierig an. Eva fuhr fort: "Der Moment, kurz bevor man auf dem Deich angelangt ist, der Moment, in dem man das Meer schon hören und riechen kann, der Moment, in dem man weiß, dass man in der nächsten Sekunde das Meer sehen wird - das ist Glück." Sie schloss die Augen und sah wieder das alte rosafarbene Fahrrad und ihre bunte Strandtasche vor sich. Dem grün bewachsenen steilen Deich und dann das Meer, das am Horizont mit dem Himmel verschmolz und ihren Blick in die Unendlichkeit lenkte." (damals)