"Dornenherz" wirkt erst wie ein Puzzle, bei dem man immer wieder Teile in der Hand hält, die nicht zusammenpassen, die letztendlich aber untrennbar miteinander verwoben sind und ein wunderschönes Mosaik ergeben. Neben der Hauptgeschichte um Anna und ihre verstorbene Schwester erzählt Jutta Wilke nämlich auch die der Johanna, die im 19. Jahrhundert lebt. Beide Geschichten klingen erst sehr unterschiedlich, weisen nach und nach aber immer mehr Parallelen auf, die letztendlich eine besondere Geschichte ergeben. Was es damit allerdings genau auf sich hat, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten - nur so viel: die Entdeckung der verschiedenen Geschichten lohnt sich und geht unter die Haut! Die Aufteilung und den Aufbau der Geschichten fand ich sehr angemessen, so nimmt die Geschichte um Johanna nur einen kleinen und hintergründig aber auch gleichzeitig einen sehr wichtigen Teil ein. Im Vordergrund stehen Anna und ihre Gefühle, die sehr detailliert und bildhaft beschrieben sind, anfangs womöglich ein wenig unverständlich erscheinen, sich gegen Ende aber immer mehr erklären.
Zu Beginn fiel es mir nämlich schwer Anna durch und durch zu verstehen. Sie war mir zwar von Anfang an sympathisch und ich konnte ihre Emotionen auch nachempfinden, aber ihre tiefen Schuldgefühle und die Masken, die sie sich aufsetzt, waren mir ein Rätsel. Es wirkt einfach ein wenig überzogen und klärt sich erst zum Ende hin auf eine verständliche Art und Weise auf. Ihr innerer Konflikt zwischen dem, was sie will und dem, was sie in ihren Augen darf, und der damit zusammenhängende Selbstfindungsprozess, war beeindruckend und tiefgehend, hat aber auch oft dafür gesorgt, dass man Anna schütteln und wachrütteln will. Ein wenig kurz kommt leider das Kennenlernen zwischen Anna und Phil, dem sie auf dem Friedhof begegnet. Hier ist es zwar kein typischer Fall von sofortiger Liebe, aber Wilke hätte den Figuren gerne mehr Zeit lassen können um einander kennen und lieben zu lernen. Zwar war es auf der einen Seite verständlich, dass Anna so schnell Gefühle entwickelt (im Hinblick auf ihre Lage eben), andererseits wirkte das Aufeinandertreffen ein wenig haltlos und die Liebe zu schnell und platt. Das ist aber auch das Einzige, was ich Negatives über dieses Buch sagen kann!
Ansonsten kann ich nämlich nur sagen, dass ich beeindruckt und gefangen bin (noch immer) von Jutta Wilkes Worten und dieser starken Geschichte, die trotz kleiner Schwächen, einen deutlichen Nachhall hat. Die Zusammenkunft von den verschiedenen Themen wie Schuld, Trauer, Verlust und Selbstfindung im Zusammenhang mit den beiden berührendenen Liebes- und Lebensgeschichten war einfach herzerwärmend, melancholisch und zauberhaft und hätte gut und gerne noch zweihundert Seiten mehr umfassen können. Neben der etwas zu schnellen Liebe und der kurzen Seitenzahl stimmt nämlich einfach alles: die Rosen-Metapher, die sich durch das ganze Buch zieht und auch in Form von kleinen Rosengedichten an jedem Kapitelanfang besticht, die verschiedenen Zeitebenen, die miteinander verschmelzen, der Gefühlstransport und die Protagonistin, die trotz oder gerade wegen ihrer Schwächen eine sehr starke Figur ist, mit der man sich gerne identifiziert.
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