Rezension: Dinaw Mengestu – Unsere Namen (Kein & Aber, 2014)

Wie seine Vorgänger ist auch der dritte Roman des äthiopisch-stämmigen US-Amerikaners Dinaw Mengestu eine Exilgeschichte. Angesiedelt im kriegsgebeutelten Uganda und im rassistischen Mittleren Westen der USA in den frühen Siebzigerjahren, lässt der Autor zwei Erzähler ihre ausserordentlichen Liebesgeschichten entfalten. 

Verbindendes Glied beider Geschichten ist ein Mann, der unter dem Namen Isaac mit einem Studentenvisum aus Uganda in die USA einreist. Im ersten Erzählstrang, der sich kapitelweise mit dem zweiten abwechselt, ist dieser Isaac der Ich-Erzähler. Bettelarm ist er über die Grenze aus seiner Heimat Äthiopien nach Uganda geflüchtet, mit dem Ziel, Schriftsteller zu werden. Bald aber gelangt er in ein revolutionär gestimmtes Umfeld. Sein Freund, der echte Isaac, der zunächst harmlose revolutionäre Aktionen im studentischen Milieu durchgeführt hat, verbündet sich bald schon mit dem Warlord Joseph, der mit einer privaten Armee in den Krieg zieht. Der Ich-Erzähler schliesst sich ebenfalls an und muss feststellen:

“Gekommen war ich für die Literatur, doch ich blieb für den Krieg. Der Unterschied war nicht so gross, wie ich geglaubt hätte.”

Die Szenen aus Uganda sind packend, bisweilen von ungeschminkter Brutalität, ergreifend in ihrer Beschreibung der kompromittierten Freundschaft zwischen dem echten Isaac, der sich bald schon zum Oberst hochgearbeitet hat und gnadenlos Leute umbringt, und dem etwas hilflosen Ich-Erzähler. Mengestu hat davon abgesehen, historische Personen in seine Erzählung einzugliedern. Dass es sich um Beschreibungen aus der Zeit der Militärputschs handelt, auf die unmittelbar die achtjährige Schreckensherrschaft Idi Amins folgte, wird mit keinem Wort erwähnt.

mengestu

Titel: Unsere Namen
Original: All Our Names
Autor: Dinaw Mengestu
Übersetzung: Verena Kilchling
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5702-9
Umfang: 336 S.

Auch im zweiten Erzählstrang fällt der Verzicht auf geschichtliche Daten auf. Angesiedelt in einer kleinen “Collegestadt im Herzen Amerikas” erzählt die Sozialarbeiterin Helen, die ungefähr dreissig Jahre jung ist und noch bei ihrer Mutter wohnt, wie sie den Fall des Afrikaners Isaac Mabira zugeteilt bekommt. Die Akte verrät nichts ausser seinem Namen und dass er mit einem Studentenvisum für ein Jahr in den USA bleiben darf. Helen soll ihm dabei behilflich sein, sich zurechtzufinden, und verliebt sich dabei in den Afrikaner. Es entspinnt sich eine Liebesaffäre, die Helen in pathetischer, kitschnaher Art und Weise erzählt. Das ist einerseits zermürbend, andererseits auch authentisch: Von der Frau, die mit dreissig noch bei ihrer Mutter wohnt, erwartet man nachgerade eine gewisse pathetische Ader.

Spannend ist die Ausgangssituation in den USA der Zeit, die ebenfalls nur vage angedeutet wird. Die beiden Liebenden bewegen sich in einer unsicheren, rassistischen Gesellschaft des amerikanischen Heartland, die sich noch nicht in einem Post-Segregations-Zeitalter eingefunden hat und zudem unter den Schrecknissen des Vietnamkriegs leidet. Da kann bereits das blosse Auftauchen der weissen Helen mit dem schwarzen Isaac in einem Restaurant zu einem spannungsgeladenen, gefährlichen Ereignis werden.

Mengestu gelingt es mit der Gegenüberstellung der beiden Geschichten, die abschliessend beide primär als Liebesgeschichten verstanden werden können, wichtige Aspekte der Differenzen zwischen afrikanischer und amerikanischer Kultur auszuleuchten. Im Zentrum der Uganda-Geschichte steht etwa die Frage, wie viele Rückschläge und Täuschungen eine Liebe ertragen kann, ohne ihre Kraft einzubüssen. In der amerikanischen Geschichte dagegen nähern sich viele Szenen der Frage danach an, wie viel man von einem Menschen wissen muss, um ihn lieben zu können. Muss Helen Isaacs Vergangenheit kennen, um mit ihm zusammen sein zu können? Oder reicht es seine Geburtsstunde auf den Moment zu verschieben, in dem er in ihr Leben trat?

Dinaw Mengestu, 1978 in Äthiopien geboren und bereits 1980 mit seiner Mutter und seiner Schwester in die USA emigriert, erarbeitet sich seine Geschichten mit der Souveränität eines erfahrenen Autors. Seine Sprache ist stets beherrscht, verliert nie die Kontrolle über das Geschehen. Der junge Autor, der gerne einer neuen Weltliteratur zugerechnet wird und schon vielfach ausgezeichnet wurde, legt mit seinem dritten Roman – dem ersten, der auf deutsch bei Kein & Aber erscheint, während die Vorgänger bei Ullstein erhältlich sind  –  ein spannendes Werk vor, das ich keinesfalls mit ‘Weltliteratur’ überschreiben würde, das aber absolut lesenswert ist und sich den Konflikten zweier unterschiedlicher Kulturen auf erzählerisch und inhaltlich fordernde Weise nähert.


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