Mit Brechende Seelen erlebte die dreibändige Anthologie Die Seelentrikerin, die der Verlag p.machinery für den SFCD publiziert, einen Eröffnungsband, der über weite Strecken überzeugen konnte, wobei jedoch zwei der sechs Erzählungen inhaltlich deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Der Band 2 mit dem Titel Anima Migratio gibt sich in dieser Hinsicht deutlich homogener, was auch für die Länge der erneut sechs Geschichten gilt, denn kaum eine der Erzählungen fordert mehr als 50 der insgesamt 225 Seiten für sich allein.
Die erste Geschichte des zweiten Bandes trägt den Titel Der Bermuda-Quadrant. Bettina Ferbus schickt darin ihren Protagonisten Hanno, in einen berüchtigten Sektor des Weltalls, wo dessen Partnerin Lisa, die Liebe seines Lebens, mit ihrem Schiff verschollen ist. Die Rettungsmission endet unvermittelt damit, dass sich der Astronaut in einem mentalen Gefängnis wiederfindet, das sich als goldener Käfig entpuppt. Er muss sich entscheiden, ob der dort bleiben oder in die harte Realität zurückkehren will. Der Grundkonflikt ist nicht neu, wird aber von der Autorin interessant in Szene gesetzt. Dass die Geschichte anspricht, liegt vor allem an der Charakterisierung der Hauptfigur und deren Motivation, die für den Leser nachvollziehbar ist. Emotion und Rationalität stehen die gesamte Zeit über in einem Spannungsverhältnis, dass nicht zum Ausgleich gebracht, sondern nur auf Kosten einer Seite aufgelöst werden kann. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Tragödie für den Protagonisten, jedoch gute Unterhaltung für den Leser.
In Schlüssel zur Vergangenheit steht wiederum ein einzelner Mann im Mittelpunkt des Geschehens, doch hängt diesmal von seinen Entscheidungen nicht nur das eigene Schicksal ab, sondern auch das Überleben unzähliger weiterer Menschen. Die junge Schriftstellerin Nicole Sälzle macht den kleinen Dieb Shokan dabei zur zentralen Figur, dem ein Medaillon mit ungeahnten Fähigkeiten in die Hände fällt. Ehe er sich versieht, sind gleich mehrere Parteien hinter ihm her. Im großen Finale entscheidet sich dann die Zukunft des Universums. Was die Geschichte so reizvoll macht, ist die Tatsache, dass Sälzle einen in sich geschlossenen Kosmos nebst Historie entwirft und mit einer fein ausgearbeiteten Mythologie rund um die Seelentrinkerin aufwarten kann. Die Charaktere sind vielschichtig gezeichnet und der Ausgang der Handlung nicht vorhersehbar. Auch sprachlich legt die 23-Jährige Autorin hier eine bemerkenswerte Erzählung von hoher Reife vor, die es durchgängig schafft, ihre Leser zu fesseln.
Eine interessante Struktur hat Fajo Hof seiner Story Die Seelenbrecherin gegeben. Den Rahmen bildet eine SF-Erzählung, in die wiederum zwei Kurzgeschichten aus dem Horror-Genre eingebettet sind und den Kern der Erzählung ausmachen. Während diese sehr viel Spaß machen und an Episoden aus Twilight Zone oder Tales from the Crypt erinnern, ist die Rahmenhandlung eher schwach und fällt daher im Vergleich zum Rest stark ab. Möglich, dass Hof sie nur deshalb geschaffen hat, um der Projektanforderung gerecht zu werden, dass es sich um eine SF-Story mit Horrorelementen bzw. eine Horror-Geschichte mit SF-Aspekten handeln sollte. Da die Kurgeschichten sehr schön gelungen sind, weil es den Leser bei der Lektüre ordentlich gruselt, bleibt Fajo Hofs Beitrag zu diesem Band der Anthologie weiterhin lesenswert.
Michael Pick entführt das Publikum in Anima Migratio dann erneut ins Weltall und lässt auf einer Raumbasis den demotivierten Ermittler Sirius im Fall einer ermordeten Agentin ermitteln. Die Führungskräfte der Station machen ihm dabei seinen Job nicht gerade einfach und eine mysteriöse Frau verkompliziert die Aufklärung zusätzlich. Atmosphärisch hat der Autor seine Story gut im Griff und auch von den Akteuren her fehlt es nicht an schillernden Charakteren, die der Leser nur schwer einschätzen kann, was für zusätzliche Spannung sorgt. Leider mangelt es der Erzählung sprachlich und von der Logik der Ereignisse her an Reife. Die Logikschwäche wiegt deshalb so schwer, weil dadurch das Finale der Story ad absurdum geführt wird. Gegen Ende des Plots wird der Prozess des Seelentauschs erläutert und bald darauf kommt es dann zu eben einem solchen. Als Resultat davon bleibt eine der beiden Beteiligten als seelenlose Hülle zurück, was aber genau jenem Konzept der Seelentrinkerin widerspricht, das erst kurz zuvor etabliert wurde. Schade, denn durch diesen Fehler wird ohne Not eine Story ruiniert, die bis dahin durchaus kurzweilig und sehr unterhaltsam war.
Als Horrorgeschichte mit vereinzelten SF-Elementen kommt Die Herrin der Ameisen von Matthias Töpfer daher. Dabei orientiert sich die Erzählung am Motiv des Haunted House, wie man es zum Beispiel von Amityville kennt. Im aktuellen Fall spielt die Handlung jedoch in unseren Breiten. Der Autor beherrscht die Klaviatur des Genres durchaus gekonnt, greift dabei zum Teil auf bekannte Schemata zurück, die er wiederum spannend variiert. Dadurch schafft er eine Stimmung des Unabsehbaren, die neugierig auf das Finale der Geschichte macht, welches mit einer tollen Wendung aufwarten kann. Die Protagonisten hat Töpfer gut unter Kontrolle, sein Gefühl für Geschwindigkeit an einer Stelle hingegen nicht. Seine Formulierung, dass ein Auto mit „fast vierzig Stundenkilometern um die lang gezogene Kurve geschossen“ kam, ist doch stark übertrieben. Davon abgesehen ein insgesamt sehr gefällig geschriebener Beitrag, der eine erfrischende Variation der Thematik rund um die Seelentrinkerin darstellt. Vor allem auch deshalb, weil der der Autor die zur Inspiration dienende Grafik von Jumpfish, die anschließend auch als Cover der Anthologie Verwendung fand, in Form eines Gemäldes in seine Story eingebracht hat. Eine gute Idee.
Den Abschluss des zweiten Bandes der Geschichtensammlung bildet dann Sunny von Gabriele Behrend. Die Erzählung wird bestimmt von zwei Personen, Sunny und Brennecke, denen das Leben tiefe psychische Wunden beigebracht hat. Das Schicksal will es, dass sich ihre Wege kreuzen. Die Autorin geizt nicht mit Schilderungen von Gewalt und sexuellen Praktiken, die jedoch nicht Selbstzweck sind, sondern Einblick in die innere Verfasstheit der Figuren geben sollen. Eine erschreckende Sinnlosigkeit liegt über dem Verhalten der Protagonisten, denn es sind lediglich Ersatzhandlungen, deren Ursprung in der Unfähigkeit begründet ist, sich aus den seelischen Fesseln zu befreien, die jeglichen Lebensmut zu ersticken drohen. Die Story überzeugt durch atmosphärische Dichte und sprachliche Qualität. Dass einzelne Aspekte an Der Seelenkasten von Carmen Matthes aus dem ersten Band der Anthologie erinnern, tut dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch.
Die Seelentrinkerin – Band 2: Anima Migratio ist ein gelungenes Buch, dessen Geschichten thematisch breit gestreut sind und ein ansprechendes Niveau haben, obwohl sicherlich in Einzelfällen noch Steigerungspotential vorhanden wäre. Etwas mehr Feinschliff durch das Lektorat hätte geholfen, einige Schwachstellen zu vermeiden. Es findet sich jedoch kein Beitrag, der komplett misslungen ist. Insgesamt stellt dieser Band eine anregende und unterhaltsame Lektüre dar und für manche Erzählungen nimmt man dieses Buch auch gerne noch ein zweites Mal in die Hand.
Die Fakten:
Titel: Anima Migratio (Die Seelentrinkerin – Band 2) Erschienen als Band 11 der Reihe AndroSF Verlag: p.machinery für den SFCD Herausgeber: Michael Haitel
Herstellung: Books on Demand (BoD) Autoren: G. Behrend, B. Ferbus, F. Hof, M. Pick, N. Sälzle und M. Töpfer Umfang: 225 Seiten Format: Taschenbuch Erscheinungsjahr: 2011 Preis: 13,90 Euro
ISBN: 978 3 942533 17 1
Link 1: Rezension von Band 1
Link 2: Rezension von Band 3