|Rezension| "Die Königliche" von Kristin Cashore



Es muss wehtun, wenn er Mama so am Handgelenk packt und zum Wandbehang zerrt.
Als die junge Bitterblue nach König Lecks Schreckensherrschaft zur Königin von Monsea gekrönt wird, ist ihr Reich eine einzige Ansammlung von Trauer und Angst. Das Volk leidet unter seinen Verlusten, das ganze Schloss scheint auf eine skurrile Art verwirrt zu sein und neben einigen Intrigen und Attentaten, weiß Königin Bitterblue nicht mehr weiter. Auf eigene Faust versucht sie herauszufinden, was ihr Vater Leck den Menschen in Monsea angetan hat und warum niemand darüber reden möchte. Über alles und jedem scheint ein undurchdringlicher Nebel zu hängen, der das Bewusstsein verschleiert. Heimlich und verkleidet schleicht sie sich aus dem Schloss und mischt sich unters Volk, wo sie in einer Erzählstube die zwei Diebe Teddy und Saf kennenlernt. Unter dem Namen Sparks lernt sie deren Leben kennen und versucht gleichzeitig herauszufinden, wem sie trauen kann und wer sie hintergeht, denn irgendjemand versucht alljene umzubringen, die die Wahrheit ans Licht bringen wollen und bald ist auch Bitterblue nicht mehr sicher...
Kristin Cashores Schreibstil ist eine Offenbarung in dem Sinne, dass sie derart unverschnörkelt schreibt und dabei doch so verschnörkelt eine Geschichte zu Papier bringen kann. Das klingt unlogisch? Ist es auch. Cashore schreibt einfach so präzise und detailreich und gleichzeitig merkt man gar nicht, wie viele Informationen sie dem Leser in einem einzigen Kapitel unterjubelt, wodurch die Geschichte nie langatmig wurde - ganz im Gegenteil. Ebenfalls sehr faszinierend, gerade bei diesem Teil der Reihe, ist der Beginn des Buches, der sehr vernebelt und verwirrend geschrieben ist. Ich hatte zeitweise das Gefühl auch mein Bewusstsein wurde von Leck manipuliert, so verwackelt war das ganze Bild, welches Cashore dem Leser häppchenweise zugeworfen hat. Eine ganz besondere Leistung, wie ich finde, denn das hat mir die Geschichte direkt doppelt so nahe gebracht. Weiterhin erschafft sie eine sehr epische Atmosphäre, die mich zeitweise schon an alte High-Fantasy-Klassiker denken ließ. 
Manche Bücher sind wie Brunnen, in die man hineinfällt und deren Wände dann zu glitschig sind, als das man wieder herausklettern könnte. Es sind jene Bücher, die dafür sorgen, dass man eine Weile kein anderes Buch mehr lesen kann, weil der Brunnen zu hoch und zu gewaltig ist, Bücher, die einem das Gefühl geben, als wäre man völlig aus der Welt gerissen, wenn man es zuschlägt und sich in den eigenen vier Wänden befindet und nicht in dem Schloss weit, weit weg von der Welt, die man kennt. Plötzlich wird die Welt im Buch zu der Welt, die man gerne um sich hätte und die Realität verwischt zu einem Brei aus bunten Farben, die immer mehr verblassen. Es ist schon eine kleine Kunst so lebendig und gleichzeitig phantastisch zu schreiben, dass man einerseits völlig abschalten und sich treiben lassen kann, andererseits jedoch mitgerissen wird in ein ganz besonderes Abenteuer, vollgestopft mit Geheimnissen, Rätseln und Intrigen. Ebenso ein Buch ist "Die Königliche", was mich eigentlich nicht hätte überraschen dürfen, aber dennoch der Fall war.
Das die Idee, die hinter der "Leck"-Trilogie steckt etwas ganz Besonderes ist und voller Innovationen steckt, war eigentlich schon im ersten Band mehr als klar, doch was Kristin Cashore nun mit dem letzten Teil der Reihe hinlegt ist ein phänomenaler, ja, fast schon königlicher Abschluss einer Trilogie, für welche der Begriff "episch" beinahe wie geschaffen ist. Normalerweise sind Trilogien reinste Geldmacherei und könnten auch in einem Teil untergebracht werden, doch das was Cashore geschrieben hat, ist eine reine Trilogie nach der lexikalischen Definition: Eine Buchreihe, bestehend aus drei Teilen, die unabhängig voneinander gesehen werden können, aber dennoch Gemeinsamkeiten haben. Der Stoff der Geschichte, die nun im dritten Teil ihren Abschluss findet, muss auf jeden Fall von Anfang an durchgeplant und durchdacht sein, denn alles baut irgendwie aufeinander auf und ergibt schließlich ein fertiges Mosaik, in welchem all die Rätsel und Fragen endlich gelöst sind.
Zugegeben: Bis dahin ist es ein langer Weg. Genauer gesagt ein knapp sechshundert Seiten langer Weg, der am Anfang noch völlig vernebelt ist und zu den Fragen, die aus den Vorgängern noch geblieben sind, zehntausend weitere Fragen in den Topf wirft. War ich anfangs noch sehr zwiegespalten, so fand ich bald Gefallen an dem Verwirrspiel, in welches Cashore ihre Leser treibt, denn all das hat einen Hintergrund und schien gewollt zu sein. Die Vernebelung der Menschen hatte sich durch die verwirrenden Ereignisse der Geschichte auf das eigene Hirn übertragen und auch ich fühlte mich, als wäre ich ein Opfer von Lecks Gedankenmissbrauch, was die Autorin sehr geschickt in die Geschichte eingewebt hat: Vieles folgt Schlag auf Schlag, wirre Ereignisse, merkwürdiges Gerede. Doch letztendlich ergibt der gewaltige Strudel einen bizarren Sinn und langsam aber sicher, lichtet sich der dichte Nebel. Was sich dahinter verbirgt? Ein meilenweiter, düsterer Abgrund, das unbenannte Grauen, Tränen und Leid und viel mehr, als man erwartet hätte.

Es braucht seine Zeit bis man die Komplexität durchschauen, die Intrigen und den Verrat versteht und genau diese Art, ein Buch wie ein kleines Rätselheft aufzubauen, bei welchem man erst am Ende das finale Lösungswort herausfindet, hat die Geschichte für mich so einzigartig und spannend gemacht. Dabei erschafft Cashore eine eigensinnige Atmosphäre, so fließend und realitätsnah, als wäre die Geschichte eine alte Legende, die vielleicht sogar stimmen könnte, wozu auch die mittelalterliche und epische Stimmung beiträgt. Dennoch behält sie immer sehr leise Töne bei, die Geschichte ist zwar rasant, aber nie actionreich und dabei dennoch nervenkitzelnd spannend.
Auch die Figurenkonstellationen sind wieder mehr als gelungen. Wieder wird dem Leser eine sehr starke (und ihm vermutlich schon aus "Die Beschenkte" bekannte) Protagonistin serviert, die ihre Stärke erst einmal selbst finden muss, denn in der Verwirrung ihres Volkes verliert auch sie ihr Vertrauen in sich selbst sehr oft und muss erst lernen mit ihrer Macht umzugehen, ohne dabei an Leck zu denken. Was sie sehr plastisch und liebenswert, aber auch sehr menschlich machte, waren ihre vielen Ecken und Kanten und vor allen Dingen auch die vielen Fehler, die sie im Laufe der Geschichte begeht. Dabei ist ihr Zusammentreffen mit Saf sehr faszinierend und berührend geschrieben und behandelt auch viele moralische Aspekte, die dem Buch noch mehr Tiefe verleihen konnten. Neben Bitterblue trifft man aber auch auf andere Bekannte aus den Vorgängern, was dafür sorgte, dass man erfuhr, was aus ihnen geworden ist - auch der ein oder andere Überraschungsgast!
Was die Geschichte nun so einzigartig macht? Die leisen Töne und die dennoch nicht vernachlässigte Spannung, die sich konsequent durch das gesamte Buch zieht. Die Liebesgeschichte, die eigentlich gar keine ist, die am Rande dahinplätschert und dennoch ständig präsent war. Die vielen Themen, die behandelt werden und die Tatsache, dass Cashore selbst langweilige politische Konflikte sehr gut und spannend darzustellen weiß. Die epische Atmosphäre, die realitätsnahen Figuren und Szenen. Kurz gesagt: Einfach alles! Wer es lesen sollte? Jeder, denn ich wüsste kaum, welches Genre ich der Geschichte zuordnen sollte, denn es ist zwar High Fantasy, aber ohne altbekannte Zwerge und Elfen. Es ist einfach etwas völlig Eigenes, Neues und Schönes. Etwas, dass hoffentlich in einer weiteren Trilogie irgendwie fortgesetzt wird, denn wenn ich es mir recht überlege, gäbe es noch viel, über das die Autorin schreiben könnte.
Cashore hat mit dem letzten Teil ihrer Trilogie einen wirklich königlichen Abschluss hingelegt, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Schon lange habe ich kein so gutes und befriedigendes Fantasyabenteuer mehr erlebt wie dieses und ich bin fast schon ein wenig wehmütig, nun all die Figuren loslassen zu müssen, die mir im Laufe der Reihe so ans Herz gewachsen sind. Auch in "Die Königliche" erschafft Cashore eine Welt jenseits des Mainstream voller Rätsel und Geheimnisse, innovativer Ideen und Kreativität und schafft es erneut, mich mit authentischen Figuren, einer spannenden Geschichte und viel Leidenschaft zu begeistern. So sehr, dass mir schon fast die Worte fehlen, weil ich so viel einfach nicht mit so wenig Worten auszudrücken weiß. Für mich auf jeden Fall eine uneingeschränkte Leseempfehlung und eine Reihe, die man gelesen haben sollte.

Kristin Cashore wurde in einem kleinen Ort in Pennsylvania, USA geboren. Sie wuchs als zweitälteste von vier Schwestern auf. Nach ihrem College Abschluss studierte Kristin Cashore am Center for the Study of Children's Literature in Boston. Danach arbeitete sie als Lektorin und Texterin sowie in diversen Nebejobs. Kristin Cashore veröffentlichte ihr erstes Buch, Die Beschenkte (Graceling) 2008. "Beim Leserpreis - Die besten Bücher 2009" gewann es auf Anhieb die Silbermedaille in der Kategorie Allgemeine Literatur. Im Jahr 2009 erschien das Buch "Die Flammenden" und wurde auch zu einem internationalen Bestseller. Ihr dritter Roman "Bitterblue" erscheint in den vereinigten Staaten im Mai. 2012 erscheint ihr aktueller Roman auch in deutscher Sprache unter dem Titel "Die Königliche". Die Autorin lebt und schreibt heute in Boston. [via Lovelybooks]


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