Autorin: Susin Nielsen / 252 Seiten / Übersetzung: Claudia Max / Taschenbuch / Verlag: cbt / OT: The Reluctant Journal of Henry K. Larsen / auch erhältlich bei: Bücher.de, mayersche.de
Der Plot…
In der neuen Schule, in der fremden Stadt, bei den neuen Nachbarn heißt Henrys (13) Devise: bloß nicht auffallen. Denn wehe, es kommt raus, was sein Bruder getan hat. Weil Henry, seit ES passiert ist, nur noch Robotersprache spricht, hockt er viel beim Seelendoc. Seine Gefühle jedoch, und nicht nur die, frisst er weiter in sich hinein. Als er Alberta trifft, die zwar auch nicht normal, aber ziemlich toll ist, fragt er sich, ob da mehr daraus werden könnte. Und ob das bedeutet, dass es für ihn tatsächlich ein Leben DANACH gibt.
Mein Resumé…
Was geschieht mit einer Familie, nachdem ein Familienmitglied auf brutale Weise das Leben verloren hat? Wie fühlen sich die Betroffenen danach wirklich und wie gehen Außenstehende damit um? Wieso konnte es überhaupt soweit kommen? Mit dieser und vielen anderen Fragen müssen sich die Larsens auseinander setzen. Protagonist Henry tut dies allein mit seinem Vater in einer neuen Stadt, weit weg von seinem alten Zuhause. Währenddessen ist seine Mutter am anderen Ende des Staates und versucht auf ihre Weise, die Geschehnisse zu verarbeiten.
Aus der Ich-Perspektive beschreibt uns Henry in Tagebuch-Form, wie sich sein neues Leben gestaltet. Es ist ein Erzählstil, der durch passender Tragik, aber auch witzigen Floskeln hervorsticht. Man fliegt durch die Tagebuch-Abschnitte in Superhelden Geschwindigkeit.
Henry geht seit kurzem zu einem Therapeuten, den er seit „ES“ passiert ist, aufsuchen muss. Und er geht seit dem Umzug an eine neue Schule und will alles, nur um keinen Preis auffallen. Doch sein Schulkamerad, der quirlige bebrillte Farley, macht ihm da einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Mit ihm teilt er unter anderem eine große Leidenschaft für Wrestling Shows. Es gibt diese Momente, in denen Farley seinem verstorbenen Bruder immer ähnlicher wird. Doch das gefällt Henry ganz und gar nicht. Und dann ist da noch die ungezogene Alberta, die Henrys Gefühlswelt noch mehr auf Trab bringt.
Mit einem starken Gefühl von Angst las ich Henrys Tagebuch Einträge. Es sind Schilderungen eines Jungen, der mit seiner Familie eine furchtbar traumatisierende, traurige Zeit erleben muss. Resultierend aus dieser Sicht, wird einem näher gebracht, was Familien von Hinterbliebenen unter Umständen über sich ergehen lassen müssen. Dieser Gedanke lässt sich nicht während des Lesens abschütteln. Man wird nahezu von Susin Nielsen dazu aufgefordert, in sich zu gehen und sich den Fakten zu stellen. Es ist eine unschöne Realität für Henry und seinen Vater. Es ist eine unschöne Realität für viele andere Henrys, Väter und Mütter auf dieser Welt. So teilte ich irgendwann Henrys Wut, seine Traurigkeit, sein Vermissen und sein Missverstehen. So musste nicht nur er irgendwann Pausen beim Schildern vergangener Ereignisse einlegen. Auch ich musste einige Male tief durchatmen.
Obwohl bei Henry ganz klar hervorgeht, dass er in keiner schönen Situation ist, musste ich auch oft schmunzeln. Er ist ein lieber, witziger, schlauer und gezeichneter Junge. Aber dank Farley, der durch seine Erscheinung und sein vorlautes Wesen den Nerd-Stempel groß und stolz mit sich rumträgt, gelingt es ihm ganz und gar nicht >unterm Radar zu bleiben<. Farley ist ein Licht in Henrys Leben und für diese Geschichte. Die Chemie der beiden Jungs war himmlisch. Auch die anderen Figuren in der Geschichte, wie z.B. Alberta, die nervigen Nachbarn und Henrys Vater, wurden sehr lebendig von Susin Nielsen gezeichnet. Das Ende wurde von der Autorin etwas offen gehalten, was sehr gut funktioniert.
Wenn eine komplett tragische Geschichte auf hoffnungsvolle, traurige und sogar humorvolle Weise erzählt werden kann, ohne das es seltsam wirkt, dann ist man als Leser in wirklich guten Händen bei einer talentierten Autorin. Ich möchte dieses Werk auch als Schullektüre (erst ab der Mittelstufe) sehr empfehlen. Henrys Geschichte ist wichtig. Sie wiederholt sich jeden Tag irgendwo. Diesen Gedanken konnte ich beim Lesen partout nicht abschütteln. Und das sollte man auch nicht, wenn man das Buch liest.
Tacheles…
„Die hohe Kunst, unterm Radar zu bleiben“ ist so viel mehr, als das bunte Cover hergibt. Was sich zwischen den Buchdeckeln befindet ist wunderschön und humorvoll, zugleich herzzerreißend und schmerzhaft. Henrys Geschichte rüttelt am Leser und erschüttert zutiefst. Susin Nielsen regt zum ernsthaften in sich gehen an. Sie schreibt, wie ein Junge in diesem Alter denkt und lässt Henry K. Larsens dadurch unverfälscht, und in den schönsten Farben erstrahlen. Dieses Buch sollte nicht unter dem Radar verschwinden. Ich kann es jedem wärmstens empfehlen.