|Rezension| "Die Geschwister Gadsby" von Natasha Farrant


 

KAMERAMANN (Bluebell) verweilt auf zwei Füßen in ausgelatschten Chucks (ihren eigenen), dann folgt ein Schwenk die Steinstufen hinunter in den Garten, wo FLORA (16, ihre älteste Schwester) sich im Bikini sonnt.
Die Familie der dreizehnjährigen Bluebell könnte größer und verrückter nicht sein. Da sind ihre jüngeren Geschwister Jasmin und Twig mit ihren geliebten Ratten, da ist ihre große Schwester Flora mit den ständig wechselnden Haarfarben und da ist Zoran, der Au-Pair-Student, der nichts anderes als Würstchen kochen kann. Und natürlich Blue selbst, die ihr und vor allen Dingen das Leben der anderen mit einer Videokamera dokumentiert, was im Übrigen niemand wirklich gerne sieht. Wer nicht da ist? Blues Eltern, die ständig beruflich auf Reisen sind und nie irgendetwas einhalten können, was sie versprechen. Und Iris fehlt. Bluebells Zwillingsschwester, die vor drei Jahren ums Leben gekommen ist. Als sich dann auch noch die Ratten vermehren und der Nachbarsjunge Joss immer interessanter wird, ist das Chaos perfekt.
"Die Geschwister Gadsby" ist nicht nur ein Buch, sondern auch ein Film. Wie ein Buch ein Film sein kann? Ganz einfach, indem es nicht nur in normalen Buchkapiteln geschrieben ist, sondern auch in Filmszenen verfasst wurde und kleine Ausschnitte aus Bluebells Leben zeigen, die sich manchmal tatsächlich so anfühlen, als würde man ein kleines Filmchen sehen. Die sind natürlich auch so kurz und knackig verfasst und lesen sich wie ein Theaterstück, was mal etwas ganz neues und ausgefallenes ist und unfassbar viel Spaß macht. Neben diesen Szenen ist aber auch das Buch an sich liebevoll und charmant geschrieben, wenn auch sehr jugendlich und einfach. Dennoch strahlt die Geschichte und der Stil viel Wärme aus und erzählt eine tiefgehende Geschichte mit lockerer Ober- und brodelnder Unterfläche. Das Buch dürfte sich am besten an einem kühlen Abend mit Kakao und Leselampe lesen lassen!
Ich liebe Bücher über Familien. Denn wenn man es sich einmal genau überlegt, ist die Familie das, was alles zusammenhält - gleichgültig in welchem Sinne man Familie versteht. Umso interessanter, wenn eine Autorin das Bild einer Familie schafft, die eigentlich gar nicht so harmonisch und liebevoll ist, wie sie es sein könnte und krampfartig versucht, sich zusammenzuhalten und dabei dennoch warmherzig und schön ist. Die Geschichte um die Geschwister Gadsby stellt Gegensätze auf und ist schön und traurig, witzig und charmant, bedrückend und leichtfüßig, klischeelos und doch so wohl bekannt. Und sie ist vielmehr als man vermuten könnte und lange nicht so rosarot wie das Cover. Eine wirklich einfühlsame und liebvoll geschriebene Geschichte, die den Leser Teil einer chaotischen, verrückten und bekümmerten Familie lassen wird, die auseinander zu brechen droht.
Im Zentrum der Geschichte stehen dabei eindeutig die Figuren, denn das Buch spielt auf einer menschlichen und emotionalen Ebene, die nicht immer einem roten Faden folgt, dafür aber wie aus dem Leben gegriffen ehrlich wirkt. Vielleicht ist der nicht vorhandene rote Faden auch gerade der Zauber, den die Geschichte ausmacht, denn sie ist so sprunghaft und unvorhersehbar wie das Leben selbst und schafft es gerade deswegen so authentisch und liebevoll zu wirken. Die Charaktere sind allesamt einfach zum Knuddeln. Man lernt sie kennen und schließt jede einzelne Figur im selben Moment in sein Herz, weil sie einfach so echt und realistisch gezeichnet wirken, dass man gar nicht anders kann. Dazu kommt noch die Tatsache, dass alle ihren eigenen Kopf haben und jeweils zu eigenen Menschen werden, die man wiedererkennen kann. Dabei bleibt Bluebell teilweise sogar relativ blass, was vermutlich daran liegt, dass sie als ein Mädchen dargestellt wird, das sich gerne im Hintergrund hält - sie steht immer hinter der Kamera und beobachtet das Geschehen.
Dennoch ist sie unheimlich sympathisch und leitet Emotionen und Gedanken an den Leser weiter, der alles einfangen und verstehen kann. Und Emotionen gibt es viele, schließlich ist bei den Gadsbys lange nicht alles so schön, wie es einen das rosafarbene Cover glauben lassen machen könnte. Vielmehr lebt das Buch von Problematiken und Konflikten und erzählt neben der Familie auch von Trauer, Verlust, Einsamkeit, Unverständnis, der ersten Liebe, die dann doch ganz anders verläuft als erwartet und diesen kleinen alltäglichen Dingen, die das Buch so besonders machen. Außerdem geht es um Eltern, die keine Zeit haben und ständig unterwegs sind, Trauerverarbeitung, der Umgang mit einem Verlust und der Entwicklung von den Schatten in das Licht - ja, auch um das Erwachsenwerden. In diesem verhältnismäßig kleinen Büchlein ist tatsächlich alles vorhanden und das in einem ausgewogenen Maße - mal zaubert es einem ein Lächeln ins Gesicht und mal verknotet es einem den Magen.
In diesem Buch wird man ein Teil der "Geschwister Gadsby" und erlebt mit ihnen einen Lebensabschnitt, der authentischer und liebevoller nicht sein könnte. Dabei ist das Buch nicht so leicht wie man meinen könnte, allerdings auch nicht allzu schwer, wie das jetzt klingen könnte. Getragen wird diese außergewöhnlich geschriebene Geschichte von den charmanten Figuren, die allesamt ihren eigenen Kopf haben und die man einfach sofort ins Herz schließen muss. Klischeelos, liebevoll, humorvoll, warmherzig, bedrückend und chaotisch - so könnte man das Buch in Worten beschreiben und es würde dennoch nicht ausreichen, um die Atmosphäre dieser Geschichte einzufangen. Wer Lebens-, Liebes- und Familiengeschichten mag, sollte einige Zeit bei den Gadsbys verbringen und dieses Buch unbedingt lesen!

Natasha Farrant arbeitet seit zwanzig Jahren in der Kinder- und Jugendbuchbranche; seit 10 Jahren hat sie eine eigene Scouting-Agentur. Sie hat bereits drei Romane für Erwachsene geschrieben und lebt mit ihrem Mann, zwei Töchtern, einer gescheckten Katze und einem schwarzen Goldfisch namens Coco Chanel in London. Die Geschwister Gadsby ist ihr erstes Kinderbuch und im Englischen erscheint im Juni 2014 der Folgeband "The Diaries of Bluebell Gadsby 02: Flora in Love".
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