"Ich würde gern ein Buch schreiben, in dem du und ich die Hauptfiguren sind", sagte ich zu Tomomi Ishikawa und schob gedankenverloren die Sachen auf dem Tisch zurecht.
Benjamin Constables größter Wunsch ist es, ein Buch über ihn und die außergewöhnliche Freundschaft zwischen ihm und Tomomi Ishikawa, auch Butterlfy genannt, zu schreiben. Doch Tomomi hat andere Pläne mit ihre Leben und als Ben schließlich einen Brief von ihr findet, in dem sie schreibt, dass sie sich das Leben genommen hat, weiß Ben nicht mehr weiter. Doch Tomomi denkt gar nicht daran, in Frieden zu ruhen, stattdessen hinterlässt sie Ben Hinweise und Briefe, die ihn einmal quer durch Paris und New York schicken und schließlich Tomomis Vergangenheit offenbaren, die schrecklicher zu sein scheint, als Ben es sich je ausgemalt hatte. Doch was hat all dies zu bedeuten? Wer ist Butterfly und ist sie wirklich gestorben? Sind die Geschichten, die sie Ben hinterlassen hat Realität oder Fiktion? Schon bald findet Ben sich in einem skurrilen Spiel wieder, in dem er nicht mehr zu unterscheiden weiß, was Lüge und was Wahrheit ist.
Benjamin Constable schreibt so leicht und flatterhaft wie ein Schmetterling, um gleichzeitig eine bildhafte Schwere an den Tag zu legen, die den Leser abwechselnd in Melancholie und Glücklichkeit versetzt. Seine bildgewaltige, poetische und gleichzeitig atmosphärische Sprache fesselt den Leser bis zum Schluss, dabei verliert er sich zwar oft in Beschreibungen und manchmal könnte man den Eindruck haben, er weiß selbst nicht genau, was als nächstes gesehen wird, doch insgesamt liest sich die Geschichte wie ein zauberhaftes und skurriles Märchen à la Alice im Wunderland. Denn ein Wunderland ist die Geschichte und der Schreibstil tatsächlich, weiß man doch nicht, was wahr und was falsch ist. Klug und mitreißend erzählt, mit faszinierenden Dialogen und glaubwürdigen Worten.
Literatur ist, nebst Unterhaltung und Spaß, vor allen Dingen eins: Ein Spiel mit der Realität, das den Leser mal mehr und mal weniger in eine fiktionale Welt zieht, die ihn nicht mehr loslässt. In "Die drei Leben der Tomomi Ishikawa" wird dieses Spiel zum Haupthandlungsstrang des Buches und führt den Leser gekonnt an der Nase herum, sodass dieser - ebenso wie der Protagonist - schon bald nicht mehr zu unterscheiden weiß, was Realität und was Fiktion ist. Eine faszinierende Schatzsuche zwischen Wahrheit und Lüge, gekonnt in Szene gesetzt vor den eindrucksvollen Kulissen von Paris und New York, beginnt und führt den Leser an die Abgründe des menschlichen Seins. Ein perfides Spiel, dass sich in Wahnsinn, Skurrilität und der doch so alltäglichen Welt zu verlieren droht, stimmungsvoll und atmosphärisch dicht, beinahe wie ein außergewöhnliches Lied, das niemals die breite Masse ansprechen könnte.
Denn wenn diese Geschichte eins nicht ist, dann ist es Gewöhnlichlichkeit. Neben imaginären Katzen, die den Regeln der Physik widersprechen und der inszenierten Schatzsuche einer Toten, begegnet man in diesem Buch wohl dem personifizierten Wahnsinn und weiß doch nie, wie man diesen denn nun definieren soll. Kluge und faszinierend andersartige Dialoge, die gleichzeitig banal und wichtig wirken, ein poetischer, wie hochgestochener Schreibstil und diese unglaubliche Geschichte der Tomomi Ishikawa, die scheinbar aus dem Jenseits heraus eine Reise durch ihre Vergangenheit für Ben Constable plant. Es sind die Details, die diese Geschichte derart ungewöhnlich und so andersartigen machen - angefangen bei dem gleichen Namen von Autor und Protagonist bis hin zu der verworrenen und verschrobenen Geschichte fügt sich alles in ein atmosphärisches Gesamtbild, dass man jedoch selbst am Ende nicht richtig greifen kann.
Auch die Protagonisten wissen zu faszinieren und leben vor allen Dingen durch ihre eigenständigen Charakterisierungen und Eigenschaften. Jeder hat seine Merkmale und (vor allen Dingen) Macken, jeder schleppt zentnerweise Geheimnisse mit sich herum und irgendwann weiß man nicht mehr, wem man denn nun trauen soll und was diese verrückte Schatzsuche zu bedeuten hat. Allen voran besticht Ben Constable durch seine charmant schüchterne Art, wobei er stellenweise etwas blass wirkt. Man lernt nur wenig von seinem Leben kennen, dafür umso mehr von dem von Tomomi Ishikawa (obwohl man sich da auch nicht so sicher sein kann!). Sie gibt die Rätselhafte und schwebt immer wieder wie ein Geist über der Erzählung, dennoch ist es gerade sie, die passend zu ihrem Spitznamen Butterfly der Geschichte eine flatterhafte Lebendigkeit verleiht und deren Lügen und Wahrheiten man nur selten wirklich verstehen und durchschauen kann. Sie ist eben wirklich wie ein Schmetterling, den man niemals fangen kann, ohne ihn zu töten. Hintergründlich zeigt sich ihre Psyche und ihre Welt als eine düstere und einsame und so bekommt ihr Katz- und Mausspiel oftmals eine bedrohliche Note.
Die Geschichte beschäftigt sich mit dem Leben und dem Tod und ist gleichzeitig lebensbejahend und lebensverneinend. Mord und Sterbehilfe, Familie, Erziehung und Freundschaft und der Umgang mit der Vergangenheit spielen eine tragende Rolle und erzählen dem Leser immer wieder grausame und menschenverachtend schreckliche Geschichten, von denen man bis zum Ende nicht weiß, ob sie wahr sind oder nicht. Atmospährisch gesehen weiß dieses Buch definitiv zu faszinierend und obwohl die Geschichte doch ihre Längen hat, bleibt durchweg eine unterschwellige Spannung vorhanden, die den Leser bei der Stange hält. Tragisch und dramatisch und komödiantisch zugleich ist die Geschichte um Tomomi und Ben sicherlich eine der skurrilsten und verschrobensten, die ich je lesen durfte und die ich sicherlich so schnell nicht mehr vergessen werde.
Nicht nur Tomomi Ishikawa hat den Spitznamen Butterfly verdient, auch die Geschichte ist ein geflügeltes Wesen, das einem immer wieder durch die Finger zu rieseln droht. Diese flatterhafte, leichte und doch so schwere Geschichte ist ungemein faszinierend und außergewöhnlich, wenn man sich darauf einlassen kann. Eine skurrile, wie zauberhafte Schatzsuche und die ein oder andere Botschaft, die durch die unbemerkt Undurchdinglichkeit der Handlung sickert und sich an das Unterbewusstsein des Lesers heftet, sorgen für ein verwirrendes Leseerlebnis, bei dem man ständig zwischen Realität und Fiktion hängen bleibt und sich nie wirklich sicher sein kann, was als nächstes geschieht. Obwohl einige Handlungsstränge für mich sehr durchschaubar waren (berechtigterweise), hat mich das Buch am Ende ganz schön an der Nase herumgeführt und mich ebenso verwirrt, wie schockiert (und das tut es ständig). Für Freunde von ungewöhnlichen Geschichte, die sich vom Einheitsbrei abheben, bietet "Die drei Leben der Tomomi Ishikawa" ein Verwirrspiel der besonderen Art und ist absolut lesenswert!
Benjamin Constable wurde 1968 in Bristol geboren. Erst nachdem er in Bars und Clubs gearbeitet, in Bands gespielt, Bilder gemalt und Musik aufgenommen hatte, begann er, sich für Literatur zu interessieren. Im Alter von zweiunddreißig Jahren schrieb er sich für ein Creative-Writing-Studium ein, das er erfolgreich abschloss. Nun lebt er in Paris, wo er Englisch unterrichtet, Bücher schreibt und Cocktails genießt. [via Script5]
...mehr? *klick*
Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich sehr herzlich bei und