[Rezension] Die Bucht des blauen Feuers (Micaela Jary)

Micaela Jary: Die Bucht des blauen Feuers 
[Rezension] Die Bucht des blauen Feuers (Micaela Jary)Im Grunde gilt meine größte Vorliebe nicht zwangsläufig Romanen, die auf allzu historischem Kontext basieren. Doch dieses im Goldmann Verlag erschienene Buch, wie heißt es so schön, holte mich im Hier und Jetzt ab und katapultierte mich direkt und ohne die winzigste Komplikation gute 100 Jahre in die Vergangenheit. 
Neben der angenehmen Erzählweise packte mich vor allem die stets präsente Assoziation an die Überfahrt auf der "Titanic". Gut, in dieser Geschichten spielen weder Eisberge noch dramatische Liebesszenen inmitten des Atlantiks eine Rolle, doch das Flair an Bord der "Windhuk" erinnerte mich aus irgendeinem Grund immer wieder an das auf dem besagten Luxusliner. Tja, Sachen gibt's ...

~ Rezension ~
Berlin im Jahre 1909: Die junge Fotografin Emma Thieme erfährt kurz nach der Beerdigung ihres Vaters, dass ihre totgeglaubte Mutter noch lebt. Constanze Thieme hat es nach Südwest-Deutschland, dort wo seit kurzem das Diamantenfieber tobt, verschlagen. Doch weshalb hatte sie ihre Familie vor zwölf Jahren von jetzt auf gleich verlassen? Kurzerhand beschließt Emma gemeinsam mit ihrer Bekannten Dorothee von Hirschberg in die Lüderitzbucht aufzubrechen, um ihrer Mutter ebendiese Frage zu stellen. Neue Bekanntschaften, ungeahnte Offenbarungen und das Streben nach Unabhängigkeit fordern Emmas (Willens-) Stärke jedoch mehr, als sie geahnt hätte. Welchen Preis ist sie bereit zu zahlen?Die Bucht des blauen Feuers empfinde ich als einen historischen Roman, für den der Leser - in Anlehnung an den Titel - wirklich brennen kann. Liebevolle und fundiert recherchierte zeitgenössische Details pflegt Micaela Jary in die Handlung derart unterhaltend ein, dass ein Stück Geschichte dabei zum Leben erweckt wird.Neben starken, erbittert kämpfenden und dennoch verletzlichen Frauenbildern, welche die Handlung dominieren, prägt die Bilderbuchkulisse der Lüderitzbucht das Geschehen ebenso wie das sehnsuchtsvolle Verlangen nach einem Stückchen heile Welt. Allerdings währt das Paradies nicht lang und wird durch ein wohl gehütetes Familiengeheimnis aufgewühlt.Die Geschichte hat mich von Beginn an gepackt, was nicht zuletzt an der authentischen, überzeugend dargebotenen Erzählweise lag. Diese gleicht einem Medley aus seichten Tönen und episodenhaftem Aufbegehren, einem Paukenschlag und einem in Hoffnung schwelgendem Flüstern. Die ausgefeilte Rhetorik in Kombination mit den markanten, vom Schicksal gebeutelten Charakteren - allen voran Emma und Constanze sowie die Pianistin Dorothee - und der Entwicklung eines kraftvollen Handlungsstrangs ergaben für mich eine vorzügliche Mischung. In emotionale Tiefe entführte mich insbesondere die ungewisse Mutter-Tochter-Bindung, während die übrigen Figuren meist die ihnen zugeschriebene Fassung bewahren, liegt hier der Fokus auf der Enthüllung von Gefühlen. Nichtsdestotrotz lodert das blaue Feuer in der Lüderitzbucht, denn dem Rausch der Diamanten können sich nur die wenigsten entziehen.Das recht offen gestaltete Ende entspricht dem Tenor des Buches, obgleich den Leser an dieser Stelle keine absoluten Überraschungen mehr erwarten. Doch gerade jene Mischung aus Vorbestimmtheit und Wagemut gefiel mir gut.Insgesamt macht dieser Roman seinem Titel alle Ehre, ist er doch - von Cover bis Buchrücken ein wirkliches Schmuckstück, welches als Schätzchen sogar eine Postkarte im herrlichsten Bilderbuchdesign mit sich bringt. Für geschichtsaffine Leser, die sich dem frühen 20. Jahrhundert besonders verbunden fühlen, ist eine Überfahrt nach Schwarzafrika mit diesem Buch unterm Arm mehr als zu empfehlen. FZIT: Historisch. Exotisch. Ungewiss.

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