|Rezension| "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak



Zuerst die Farben.
Mit neun Jahren hat Liesel Meminger schon mit vielen Folgen des dritten Reichs zu kämpfen, als sie zu ihrer Pflegefamilie gebracht wird: Der Tod ihres Bruders, der Verlust ihrer Mutter und ihres Vaters. Zum Ausgleich all ihrer Verluste stiehlt sie ihr erstes Buch - ein Handbuch für Totengräber. Doch dieses Buch ist nur der Anfang einer glänzenden Karriere als Bücherdiebin, denn im weiteren Verlauf wird Liesel noch viel mehr stehlen: Nahrung, etliche Bücher und die Herzen von Rudi, Max, den Hubermanns und vielen anderen. Schon bald wird sie die Schicksale vieler Menschen kennen lernen, die entweder im Keller versteckt werden und geheim gehalten werden müssen oder ganz offen darliegen und manchmal umso überraschender sind. Und auch der Tod verfolgt das Leben der jungen Liesel nachdem er sie während seiner Arbeit schon einige Male gesehen hat und sie - von ihr fasziniert - beobachtet, denn: Auch der Tod hat ein Herz...
  ... und dieses Herz spürt man zu jeder Zeit des Romans ununterbrochen, was nicht wenig mit dem Schreibstil zu tun hat, den Markus Zusak seinem Tod schenkt. Dieser malt nämlich eher Bilder, als dass er beschreibt und erzählt; mit vielen Metaphern und Symbolen verbildlicht er die Geschichte, sodass mir das gesamte Buch eher wie ein Film erschien, den ich mir selbst erdenken konnte. In einem geschickten Zusammenspiel mit Farben, Tönen und menschlichen Eigenschaften gelingt es ihm seine Leser in eine Zeit mitzunehmen, die auch heute noch eine große Rolle spielt und schreibt dabei auf diese ganz besondere Art und Weise, wie es sie nur einmal auf der Welt geben kann mit bedeutungsschwangeren, prägnanten und kurzen Sätzen und Worten mit doppelten Böden. Dabei erschafft er eine Atmosphäre, die ebenso widersprüchlich ist, wie die Natur des Menschen - schön und grausam zugleich.
Das Leben steckt voller ungeklärter Fragen und düsterer Ecken und manchmal versucht man sich da mit Hilfe von Phantasie und Vorstellungskraft einige Dinge ein wenig erträglicher zu machen. Ein Beispiel dafür wäre wohl der Tod, den man sich meistens kaum vorstellen mag - und wenn, dann als großes, unendliches Nichts. Wäre er eine Person, dann wäre er sicherlich niemand, der viele Worte zu verlieren hat - schließlich hört man selten bis gar nicht Geschichten von ihm. Und wenn doch, dann müsste diese Geschichte eine ganz besondere sein. Markus Zusak hat nun aber eine der größten Menschheitsfragen überhaupt zumindest ein wenig gelüftet, dem Tod ein Gesicht gegeben und nebenbei all unsere Klischees völlig über den Haufen geworfen, denn: Der Tod ist eine Person und er liebt Worte. Worte und Farben und den Himmel und er hat so einige Geschichten zu erzählen. Eine davon erzählt er uns in der Bücherdiebin.
Und das seine Geschichten gar nicht so besonders sein müssen - in dem Sinne, dass sie ungewöhnlich wären oder besonders verzaubert sein müssten - zeigt uns der Tod, in dem er eine Geschichte erzählt, die das Leben selbst geschrieben hat, in einer Zeit, in der Geschichten die einzige Möglichkeit waren, um aus einer verstaubten und grauen Realität zu flüchten: Natürlich die Nazizeit. Einige mögen jetzt die Nasen rümpfen, da ja diese Zeit nun schon wirklich einige Male durchgekaut, wieder hochgewürgt und abermals runtergeschluckt wurde, aber Geschichten werden dann besonders, wenn sie von Wärme in kalten Zeiten erzählen, wenn sie Hoffnung in absoluter Dunkelheit vermitteln können und wenn sie gleichzeitig grausam und wahnsinnig poetisch sind und genau diesen Tanz auf dem Drahtseil schafft "Die Bücherdiebin".
Woran das liegt? Höchstwahrscheinlich am Tod, der in dieser Geschichte die Rolle des Erzählers einnimmt und mit viel Witz, Ironie und riesiger Sprachgewalt in eine kalte Welt eindringt. Er erzählt diese Geschichte eher unchronologisch und dennoch schafft er es die Spannung und Neugierde kontinuierlich aufrecht zu erhalten. Außerdem baut er des Öfteren kleine Gimmicks in den Lesefluss ein, berichtet mal von hier und mal von dort und verliert dabei doch nicht die Protagonistin Liesl Meminger aus den Augen, dessen Geschichte der Tod erzählt, weil er einen Narren an dem kleinen Mädchen gefressen hat, das in ihrem Leben so einige Bücher stiehlt.
Auch Liesl ist eine Figur, weswegen man dieses Buch wohl einfach lieben muss. Trotz ihrer traurigen Vergangenheit und der auch nicht gerade rosarot anmutenden Zukunft strahlt sie eine unglaubliche Ruhe und Lebenslust aus, die sie direkt zum Sympathieträger macht. Ihre Lieber für Bücher trägt dann ihr Übriges dazu bei, ebenso wie die Menschlichkeit und die Wärme, die sie voll und ganz ausfüllt. Gerade in einer Geschichten über ein solch heikles Thema braucht es viele warme Charaktere, gleichzeitig aber auch einen ganzen Haufen bösartiger Figuren, die das Werk glaubhaft machen. Und auch diesen Spagat zwischen den beiden Mauern meistert Zusak wie kein Zweiter, denn trotz der vielen Schrecken und düsterer Momente, schaffen es viele Figuren das erdrückende Gefühl in Brust und Bauch zumindest ein wenig zu lindern.
Ansonsten erzählt das Buch, wie schon gesagt, eine Geschichte, die das Leben selbst wohl genauso geschrieben haben könnte. Eine Geschichte, die nicht unbedingt vor Spannung trotzt, die aber derart fesselnd und liebevoll geschrieben ist und vollgestopft ist mit den Schatten jener Zeit, dass man dennoch nicht von ihr lassen kann. Von Herzklopfen vor Angst, schweißnassen Händen über tränenschwere Augen und lächelnde Mundwinkel erlebt man in dieser Geschichte alles einmal durch und wieder von vorne bis ich auf den letzten Seiten eigentlich nur noch geweint habe, weil mich das Buch so tief berührt hat.

Wenn ihr demnächst aus irgendeinem Fenster schaut, dann achtet auf die Farben des Himmels - eine der Lieblingsbeschäftigungen des Todes. Sicherlich wird er euch dafür zu schätzen wissen, denn viel zu wenige Menschen erkennen die Schönheit der Farben und wie viele davon der Himmel tragen kann. In dieser Geschichte berichtet er auf jeden Fall von unzähligen Farben, die schön und grausam, poetisch und angsteinflößend sein können, aber auch voller Wärme und Menschlichkeit. Eine Geschichte, die sicherlich jeden berühren wird, zum Nachdenken anregt und derart schön geschrieben ist, dass man sich viele Sätze rausschreiben möchte, um sie nicht zu vergessen. Eine absolute Leseempfehlung für Groß und Klein und diejenigen, die mal eine andere Geschichte über jene Zeit lesen wollen und das Wort ansich zu schätzen wissen.

Der australisch-deutsche Schriftsteller Markus Zusak wurde am 23.06.1975 in Sydney geboren, wo er heute mit seiner Frau lebt. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet er manchmal als Englischlehrer und spielt und seiner Freizeit gerne Fußball. Als seine bekanntesten Romane gelten „Der Joker“ und „Die Bücherdiebin“. Letzterer setzt sich mit dem Thema der Judenverfolgung auseinander, zu dem er aus Erzählungen seiner Eltern inspiriert wurde. Seine Bücher wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2007. Auch wurden die Werke bereits in über 20 Sprachen übersetzt. Die Bücherdiebin hat beim "Leserpeis - Die besten Bücher 2009" die Goldmedaille in der Kategorie Allgemeine Literatur gewonnen. [via Lovelybooks]


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