
Als Polizistin hatte sie sich immer in der Rolle der Kämpferin gesehen, der Jägerin. Nie hatte sie sich vorstellen können, einmal selbst das Opfer zu sein. Aber jetzt musste sie feststellen, dass sie sich genau wie ein Opfer verhielt, ängstlich und misstrauisch wie ein Kaninchen, das wartet, bis die Luft rein ist, ehe es sich aus dem sicheren Bau wagt. Sie, die immer so furchtlos gewesen war, sah sich jetzt gezwungen, nervöse Blicke in alle Richtungen zu werfen, bevor sie aus dem Wagen stieg. Sie, die Türen eingetreten hatte, die immer ganz vorne dabei gewesen war, wenn die Cops die Wohnung eines Tatverdächtigen gestürmt hatten, erblickte jetzt im Rückspiegel das bleiche Gesicht, die gehetzten Augen einer Frau, die sie kaum wiedererkennte. Keine Eroberin, sondern ein Opfer. Eine Frau, die sie verachtete."Der Meister" von Tess Gerritsen [S. 321 f.]

Ein neuer Sommer in Boston, ein sicherer Sommer, denn der Chirurg wurde gefasst und sitzt hinter Gittern. Doch Jane Rizzoli fühlt sich nicht im Geringsten sicher. Täglich kämpft sie gegen die Dämonen und Geister ihrer Vergangenheit und versucht zu vergessen, was ihr letzter Fall ihr abverlangt hat. Dies wird ihr jedoch nicht gerade einfach gemacht, als ein neuer Killer auf der Bildfläche erscheint, der die Vorgehensweise des Chirurgen zu imitieren versucht. Jane Rizzoli übernimmt aufgrund ihres Vorwissens die Leitung in dem Fall, nichts ahnend, dass sie sich erneut auf das gefährliche und mörderische Spiel eines Psychopathen einlässt, der einen langjährigen und grausamen Plan bereithält. Einen Plan, indem Jane die Hauptrolle spielen soll.


Authentizität gelungen, Charaktere überzeugend, Handlung an sich hingegen ausbaufähig, so lässt sich dieser zweite Band sehr gut charakterisieren. Die Autorin hat sich mit "Der Meister" an einer Fortsetzung der Handlung von "Die Chirurgin" versucht und den Handlungsstrang dabei in zu viele Richtungen gelenkt. Hauptgegenstand des Werkes ist der Mörder aus dem ersten Werk und die Auswirkungen seines Handelns auf die Gegenwart. Zusätzlich führt Gerritsen jedoch noch einen weiteren Täter in die Handlung ein, der sich der Vorgehensweise des Chirurgen bedient und Rizzoli damit verunsichert. Mich stört es dabei nicht, dass es zwei parallele Handlungsstränge an sich gibt, mich stört es vielmehr, dass sich die Autorin auf einen fokussiert und den anderen dabei völlig aus den Augen verliert. So sind die, von mir so geliebten Kapitel aus der Sicht des Mörders, nur aus der Sicht des Chirurgen geschildert, der neue Killer, bekannt unter dem Namen der Dominator, bleibt durchweg blass und unbedeutend, obwohl er ein ebenso wichtiger Teil dieses Werkes darstellt. Dadurch kann sich das volle Potenzial der eigentlichen Buchidee, leider erst auf den ca. letzten 50 Seiten vollkommen entwickeln.
Blanvalet | Taschenbuch | September 2005 | 416 Seiten | € 9,99 | "The Apprentice" | Eingestellt von Jen am 10/03/2016 09:30:00 vorm.