|Rezension| "Der Geschmack von Sommerregen" von Julie Leuze

 
Der Neue schwappt himmelblau über mich hinweg, mit Spuren von Schwarz und glitzernden Funken aus tiefem, geheimnisvollem Gold.
Die sechzehnjährige Sophie Kirschner sieht sie überall, in jeder erdenklichen Nuance und in jeder Form: die Farben - denn auf ihrem "inneren Monitor" drückt jede Farbe eine Gefühlsregung aus. Die Farben gehören zu Sophie wie alles andere an ihrem Körper, doch akzeptieren kann sie sich selber nicht, sind doch ihre Eltern der Meinung, eine solche "Krankheit" müsse unterdrückt werden. Schließlich gibt es zu den Farben eine ganz bestimmte Vergangenheit, von der Sophie nichts weiß und so verheimlicht sie ihre Farben vor jedem. Als sie jedoch den Neuen - Mattis - kennenlernt, der in ihr auf den ersten Blick eine Palette an Blau- und Goldtönen auslöst, stellt diese Begegnung ihr Leben auf den Kopf. Hals über Kopf verlieben sich die beiden ineinander und ahnen noch nicht, welche Stolpersteine und Hindernisse ihnen in den Weg gelegt werden, denn Geheimnisse sind keine Basis für eine Beziehung...
Die Farbwellen fegen in dieser Geschichte nicht nur über Protagonistin Sophie hinweg - auch der Leser hat zeitweise das Gefühl, die beschriebenen Farben sehen zu können, was vor allen Dingen an dem (natürlich!) farbenfrohen und eindringlichen Schreibstil liegt. Kunterbunt und in jeder nur erdenklichen Farbnuance erzählt Julie Leuze eine Geschichte von Farben, Liebe und dem Leben und erschafft dabei eine sommerlich, jugendliche Atmosphäre. Ihr Schreibstil ist relativ einfach gehalten und bekommt durch die fast poetisch anmutenden Farbbeschreibungen oft noch das gewisse Etwas. Ansonsten liest sich die Geschichte jedoch sehr flüssig und man merkt schon sehr deutlich, an welches Publikum sich das Buch richtet. Dennoch ist die Geschichte angenehm und niveauvoll geschrieben und liest sich weg, wie man einen bunten Cocktail trinkt - schnell und gierig!
Farben sind definitiv immer ein wichtiger Bestandteil in Büchern - in "Der Geschmack von Sommerregen" jedoch sollte man das Wörtchen "Farbexplosion" wörtlich nehmen. Kaum schlägt man das Buch auf, schlagen einem auch tausende von Farben, Gefühlen und Gedanken entgegen, von denen man sich kaum loseisern kann. Und das obwohl die Geschichte um Mattis und Sophie prinzipiell das Rad nicht neu erfindet, ist doch das Grundgerüst eines, auf welches immer wieder gern zurückgegriffen wird: Sie, die graue Maus, die etwas besonderes ist und er, der gutaussehende Neue, nach dem sich jedes Mädchen die Finger leckt werden ein Paar und müssen sich einigen Vorurteilen und Hindernissen stellen. Natürlich geht es aber nicht darum, was die Basis einer Geschichte ist, sondern was man daraus macht und in dem Fall hat Julie Leuze ein einzigartiges Werk geschrieben, das mich in einer Welle aus Gold mit sich gerissen hat.
Was dieses Buch letztendlich so besonders macht, sind die Details. Gerade die haben dieses Buch für mich sehr lesenswert gemacht, obwohl ich weit älter als Sophie bin und somit auch aus der Phase raus, in der sie sich befindet. Leuze hat hier jedoch eindrucksvoll gezeigt, unter welchen Problemen Jugendliche in ihrer Pubertät leiden können und dies in Form von Sophie dargestellt, die weit mehr mit sich selbst zu kämpfen hat, als die meisten. Sie unterscheidet sich (wie sie es selbst so schön auf S. 190 beschreibt) "grundlegend von den guten Mädels aus den US-Romanen" und das nicht nur in sexueller Hinsicht. Ist sie anfangs noch die graue Maus, entwickelt sie sich im Laufe des Romans zu einer echten Sympathieträgerin, die zwar hin und wieder ziemlich naiv, insgesamt aber eine (charakter-)starke junge Frau ist, die sich ihren Problemen zum Ende des Buches endlich stellen kann. Die Figuren die Leuze entworfen hat, sind zwar nicht alle so gut konturiert, wirken aber im Gesamtbild - so trifft man des Öfteren auch auf die gängigen Klischees (die beliebten Mädchen und Jungs beispielsweise).

Sophies männlichen Gegenpart Mattis fand ich zeitweise etwas blass und zu glatt. Er war mir etwas zu perfekt beschrieben, was mitunter an Sophies Sicht liegt, aber ich hätte mir ein bisschen mehr Fehler und Macken gewünscht, die ihn menschlicher gemacht hätten (sein "Geheimnis" empfand ich hier ebenfalls als etwas besonderes und nicht als Störfaktor). Was mich aber sehr fasziniert hat, ist der realistische Umgang mit jugendlicher Sexualität. Endlich mal ein Buch, in dem nicht nur um den heißen Brei herumgeredet wird, sondern auch mal gemacht wird! Zugegeben: Mit solchen detailreichen Beschreibungen hatte ich nicht gerechnet, insgesamt fand ich das aber als sehr passend. Sex und Körperlichkeiten werden hier nicht totgeschrieben, sondern verständnisvoll und langsam an den Leser geführt, was besonders für das jüngere Publikum interessant sein dürfte. Ein weiteres interessantes Detail war der Umgang mit den verschiedenen Familienverhältnissen und Problematiken, die hier zeitweise näher beleuchtet werden. Die Unterschiede fallen ganz deutlich auf und werden sanft und einfühlsam behandelt.
Da aber nicht alles Gold ist, was glänzt - auch wenn Sophie es sieht - gibt es auch einige Punkte, an dem Buch, die mir nicht ganz so gut gefallen haben. Einmal wäre da wie gesagt Mattis, der mir zu glatt und perfekt war, andererseits Sophies sehr schneller Wandel. Eine einzige Begegnung gegen Ende des Buchs reicht, um sie völlig umzustimmen, was für mich eher befremdlich war. Das Geheimnis und die Auflösung des Ganzen ging einfach viel zu schnell und ich hätte als Leser gerne die Aussprache zwischen Sophie und ihren Eltern mitbekommen, um beide Seiten noch besser verstehen zu können. *SPOILER* Dass Sophie Synästhetikerin ist, weiß man schon am Anfang des Buches, wenn man sich mit der Thematik schon einmal auseinander gesetzt hat *SPOILER*, aber ich finde es trotzdem sehr interessant, dass Leuze einen Bereich anspricht, den mir in Büchern bisher noch nicht begegnet ist und ihn greifbar für andere Menschen macht. Sophies Probleme sind außerdem auf jeden anderen Lebensbereich übertragbar und so meiner Meinung nach gerade für junge Mädchen, die sich selbst noch nicht so ganz gefunden haben und gerne lesen, sehr interessant.
Wie Sommerregen schmeckt, weiß ich zwar nicht, dafür hat mir die Geschichte um Sophie und Mattis aber etwas ganz anderes gegeben: Farben. Eine ganze Palette an verschiedensten Farben und Nuancen und einen interessanten Einblick in Sophies Kopf. "Der Geschmack von Sommerregen" ist eine romantische (und zweitweise auch kitschige) Liebesgeschichte für junge Mädchen ab 14, die von den typischen Problemen Jugendlicher in spezifischer Form erzählt und dabei einfühlsam auf Thematiken wie Sexualität, Familienproblemen und Freundschaft eingeht. Trotz kleiner Schwächen und Macken eine lesenswerte, wie verträumt farbenfrohe Geschichte über das Leben, die Selbstfindung und die erste große Liebe - perfekt für warme Sommertage und gegen graue Gedanken.

Julie Leuze wurde 1974 in Wiesbaden geboren. Als Kind lernte sie das bayerische Landleben kennen, als Jugendliche München und als Abiturientin Mr Right. Sie studierte in Konstanz (viel See, wenig Stress), bekam drei Kinder (viel Liebe, wenig Schlaf) und arbeitete als Journalistin (viel Lokalkultur, wenig Skandalöses). Seit sie zeitgleich ihre Hochsensibilität und ihre Leidenschaft fürs Romanschreiben entdeckte, verfasst sie mit großer Begeisterung Bücher für Erwachsene und Jugendliche. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Stuttgart. [via Egmont INK]
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*klick* Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich sehr herzlich bei

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