Der Postbote schwenkte den Brief schon von Weitem.
Zwei Jahren nach den Ereignissen aus "Der Mädchenmaler" kehrt für Ilka eine scheinbare Normalität zurück. Sie studiert Kunst in Düsseldorf und scheint mit ihrem Schicksal zurechtzukommen bis sie schließlich einen Brief von dem Nachlassverwalter ihres Bruders Ruben erhält, der sie dazu auffordert mit ihm in Kontakt zu treten, um das Erbe des berühmten Ruben der Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch Ilka will nie wieder an die Ereignisse erinnert werden, zu tief sitzt der Schmerz und die Schuld. Als dann auch noch ein Mitarbeiter der Projekts ermordet aufgefunden wird, geht der Medientrubel um Ruben Helmbachs Nachlass erst richtig los und schon bald befinden sich Jette, Merle, Ilka und co. in einem nicht aufzuhaltenden Strudel aus Intrigen, Geheimnissen und Gefahr.
Monika Feth malt mit Worten - und das sagt nicht nur sie selbst in ihrer Danksagung, das sage auch ich. Ihr Schreibstil ist wie ein unverwechselbarer Malstil, einzigartig und in einer warmen Art poetisch, die einen den Schnee rieseln hören lässt und jeden weihnachtlichen Duft in die eigenen vier Wände bringt. Ihre kurzsätzige und gleichzeitig tiefgründige Art zu schreiben, ziehen den Leser schon bald in einen Bann, dem man sich kaum entziehen kann - und es im Grunde auch gar nicht will. Diese einzigartige Mischung machen ihre Geschichte so besonders heimelig, dass man immer wieder darin versinken kann. So liest sich auch "Der Bilderwächter" wie ein Gedicht aus Empfindungen, Gedanken und Emotionen und ist so typisch Feth, dass man ihn nur lieben kann.
Manchmal ist Lesen nach Hause kommen, sich in die nach Waschmittel duftende Bettdecke einzumummeln und sich geborgen fühlen. Es gibt einfach diese Bücher, die einen sofort in eine Welt ziehen, in der man sich zu Hause fühlt, die man kennt und dessen Figuren man ebenfalls zu kennen glaubt. Monika Feths Jugendthrillerreihe um Jette, Merle und co. ist für mich definitiv ein solcher Fall und für mich sind die Bücher auch längst keine Thriller mehr: sie sind Leben. Warum? Ganz einfach weil Monika Feth hier keine kurze Abfolge von spannenden Momenten darstellt, die belanglos und kurzweilig sind, sondern in gewisser Weise eine Lebensgeschichte erzählt, die sich über die Bände immer mehr ausbreitet und einen ganz eigenen Kosmos erschafft. Die Thrillerelemente ziehen sich immer mehr in den Hintergrund zurück und der Fokus liegt prinzipiell auf den Figuren, die von Band zu Band mehr, aber auch komplexer werden. Wie das funktioniert ohne dass es langweilig werden würde? Das verstehe ich bis heute nicht!
Denn man kann sagen, was man will: Die Reihe ist keine kurzweilige Kost. Es gibt mehr oder weniger ausschweifende Beschreibungen, sehr viel Gefühlswelten und menschlich Abgründe und es geht um die menschliche Psyche, nicht um Effekthascherei. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie Feth es schafft, dass dieses Prinzip funktioniert, aber trotz einiger langer Passagen wurde das Buch für mich zu keinem Zeitpunkt langweilig. Zugegeben: Der Einstieg fiel mir ein wenig schwieriger, gerade weil es schon eine Weile her ist, dass ich "Der Mädchenmaler" gelesen habe, denn in "Der Bilderwächter" wird diese Geschichte weitererzählt. Die Erinnerungen werden einem aber schnell wieder in den Kopf schießen und ab diesem Zeitpunkt hat sich das Buch für mich tatsächlich so angefühlt, als würde ich nach einem langen und anstrengenden Tag nach Hause kommen und mit Merle und Jette am Küchentisch sitzen, während die Katzen mir um die Beine streichen - das ist wahre Lesemagie!
Der Mordfall und die Ermittlungen sind dieses Mal nicht ganz so spektakulär, aber da das Buch für mich - wie bereits erwähnt - primär kein Thriller ist, stört das nur wenig. Spannung kommt nämlich dennoch mehr als einmal auf und auch die Auflösung macht wieder einiges her, auch wenn ein nervenaufreibender Höhepunkt weitesgehend ausbleibt. Viel faszinierender ist der Einblick in die Psyche, die dem Leser gewährt wird und ihn manches Mal in tiefe, schwarze Löcher blicken lässt, der Boden weit unten verborgen. Gekonnt spielt die Autorin mit ihren Figuren, streut eine falsche Spur
hier und Andeutungen da, sodass man sich immer wieder unsicher ist, wie die Geschichte letztendlich ausgeht. Gerade figurentechnisch ist die Geschichte ein Genuss, auch wenn es leider sehr wenig von Jette (und Luke) gab - da Jette eine meiner Lieblingsfiguren der Reihe ist, habe ich sie zeitweise ein wenig vermisst. Aber natürlich schaffen es auch die vielen anderen Figuren, die alle eine eigene Geschichte erzählen, deren Stränge irgendwie und irgendwo zusammenlaufen, mich zu begeistern.
Besonders gut gefallen hat mir auch die winterlich/weihnachtliche Atmosphäre, die dieses heimelige Gefühl nur noch verstärkt hat und mit der Mischung aus Düsternis, Freundschaft, Familie und Wärme wird hier einfach eine unglaublich dichte und bezaubernde Atmosphäre geschaffen. Auch sehr interessant: der künstlerische Aspekt und der Fokus auf die Malerei - die Geschichte wirkt durch die vielen Details noch viel authentischer und so fühlt es sich manchmal so an, als würde es die Figuren alle tatsächlich geben und würden die Gespräche neben oder sogar mit einem selbst führen. Ich für meinen Teil hoffe, dass dies nicht der letzte Teil um diese phantastische Jugendbuchreihe ist, die für mich inzwischen viel mehr als nur eine Thrillerreihe ist und mich einmal mehr in ihren Bann ziehen konnte. Ich hätte gerne noch weitergelesen oder zumindest ein paar Seiten zurückgeblättert, damit es noch nicht zu Ende ist!
Eine der stärksten und schönsten deutschsprachigen Jugendbuchreihen wird endlich fortgeführt - und das nicht nur mit gewohnter (Schreib-)Brillanz, sondern inklusive dem Gefühl mit den ersten Worten zu Hause angekommen zu sein. Wer Jette und co schon so lange verfolgt wie ich wird vielleicht wissen, was ich damit meine, denn "Der Bilderwächter" ist mehr als nur ein Thriller, ja, vielleicht sogar schon mehr als eine Geschichte. Geniale Figuren, ein wunderschön bildhafter Stil und ein interessanter Plot mit vielen überraschenden Twists und dem Blick in die Abgründe der menschlichen Seele - ein ganz besonderes Buch, das mit winterlich dichten Atmosphäre, faszinierenden Charakteren und einer stellenweise sehr spannenden Handlung. Bitte, bitte, Frau Feth, schreiben Sie weiter!
Monika Feth wurde 1951 in Hagen geboren, arbeitete nach ihrem literaturwissenschaftlichen Studium zunächst als Journalistin und begann dann, Bücher zu verfassen. Heute lebt sie in der Nähe von Köln, wo sie vielfach ausgezeichnete Bücher für Leser aller Altersgruppen schreibt. Der sensationelle Erfolg der "Erdbeerpflücker"-Thriller machte sie weit über die Grenzen des Jugendbuchs hinaus bekannt. Ihre Bücher wurden in über 20 Sprachen übersetzt. [via cbt]
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