Emily St. John Mandel | Das Licht der letzten Tage | Piper Verlag | 416 Seiten | € 14,99 [D], € 15,50 [A], ISBN: 978-3-492-06022-6
Während einer Aufführung des King Lears in Toronto verstirbt der Schauspieler Arthur Leander im vierten Akt mitten auf der Bühne. Als Jeevan auf die Bühne springt, und vergebens versucht ihm das Leben zu retten, ahnt er noch nichts vor der georgischen Grippe - ein Virus, der innerhalb kürzester Zeit nahezu alle Menschen tötet. Die wenigen Menschen, die übrig sind, kämpfen ums Überleben und versuchen das, was von der alten Welt übrig geblieben ist, zu bewahren. Auch die fahrende Symphonie, eine Gruppe von Musikern und Schauspielern, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen Amerikas durch die Werke Shakespeares zu erfreuen. Unter ihnen befindet sich eine der Protagonisten - Kirstin, die schon als Kind mit Arthur auf der Bühne stand und Zeugin seines Todes wurde. Obwohl längst verstorben, spielt er trotzdem eine große Rolle.
Machen wir uns nichts vor: Ich schätze, dass die allermeisten zu diesem Buch gegriffen haben, weil es ein wunderschönes Cover hat und der Titel sehr ansprechend ist. Ich bin ohnehin ein Fan von der Farbkombination Blau/Orange, und in dem Zusammenhang mit der Skyline wirkt es wirklich sehr treffend: apokalyptisch, und dennoch hoffnungsvoll. Es ist genau das, was das Buch auch tatsächlich sagen möchte. Der Titel mag vielleicht etwas irreführend sein, weil es keine konkrete Gegebenheit im Buch beschreibt, sondern der Titel eines Comics ist, der noch im Weiteren wichtig wird. Was ich eventuell auszusetzen habe ist, dass das Cover und der Titel im Zusammenhang mit dem Klappentext sehr schnell falsche Erwartungen im Leser hervorrufen kann. Meine Erwartungen waren ein postapokalyptisches Szenario, in dem es wirklich um die letzten Tage der Menschheit geht, voll mit Spannung und rasanten Erzähltempo- was aber nicht der Fall ist.
Das Licht der letzten Tage hat eine Gesamtlänge von 416 Seiten, aufgeteilt in 55 Kapitel, diese wiederum in 9 Teile eingeteilt. Erzählt wird von mehreren Erzählperspektiven aus, die ich in Zahl gar nicht nennen kann. Dabei wechselt der Erzähler immer wieder zwischen personalem und allwissenden Erzähler. Die Protagonisten haben alle irgendetwas mit Arthur zu tun, sodass er eigentlich den zentralen Knotenpunkt der Geschichte darstellt.Zeitlich bewegt sich das Buch - anders als erwartet - nicht nur in der Zeit nach der georgischen Grippe. Immer wieder wird nämlich auch Einsicht in das Leben des erfolgreichen Schauspielers Arthur gegeben, man lernt seinen Werdegang als Schauspieler und besonders seine Liebschaften kennen. Besonders eine, die oben bereits genannten Comic zeichnet, welcher in beiden Zeiten eine wichtige Rolle spielt.
Das Buch ist wirklich anders als erwartet, was allein schon mit dem Genre-Mix anfängt. Ganz einfach lässt es sich nicht zuordnen. Es enthält Elemente eines Endzeit-Romans, einer Dystopie, eines Sciencefiction-Romans, wird aber immer wieder durch die Schilderungen der Vergangenheit jäh unterbrochen. Der zeitliche Unterschied beschränkt sich offensichtlich auf eine sehr kleine Distanz, weshalb immer der Bezug zur Vergangenheit konkret gezogen werden kann.Das ist auch eine der großen Stärken des Buchs. Die verschiedenen Figuren sind in einem komplexen Verhältnis miteinander verbunden. Vergangenheit und Zukunft, sie lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten. Es wird sehr langsam aufgerollt, wie Dinge miteinander zusammenhängen. Stück für Stück sammelt man Puzzle-Teile, um sich alles um die Figur Arthur herum konstruieren zu können. Dies wird tatsächlich nahezu bis zur letzten Seite aufrechterhalten - was den großen Reiz an diesem Buch für mich ausmacht. Es ist mir wichtig zu betonen, dass es dadurch ein sehr ruhiges Buch ist. Die größte Spannung entsteht eben genau durch dieses Herausfinden der Zusammenhänge und das Kennenlernen der Figuren. Wer daran keine Freude hat, sollte nicht zu dem Buch greifen, denn sonst ist das Buch ziemlich langweilig und -atmig. Anders als andere Endzeit-Romane beschäftigt sich dieses Buch gar nicht so sehr mit dem Überleben in der neuen Welt, obschon diese ebenfalls nicht friedlich ist. Aber grausame Dinge werden hier eigentlich nur angedeutet, es gibt wenig bis gar keine Action. In den Szenen, die nach der Apokalypse stattfinden, wird hauptsächlich berichtet, wie die Überlebenden nun das Leben fortführen. Die Geschichte hat daher kein richtiges Ziel, und endet auch dementsprechend ohne. Aber gerade so wird die Tragik der ganzen Sache nur noch verschärft. Tragik, weil das rückschrittliche Leben so hart und fremd, zugleich aber auch sinnlos erscheint.Bei einem solchen Konzept ist es umso wichtiger, dass die Figuren für sich brillieren, und das tun sie meiner Meinung nach wirklich. Das Gesamtbild hat wunderbar harmoniert, die einzelnen Figuren sind verblüffend authentisch gestaltet, ebenso die Dialoge. Die einzelnen Personen werden nicht charakterisiert, sondern zeichnen sich allein durch die beschriebenen Handlungen aus, was vermutlich zu dieser Authentizität beiträgt. Mandel lässt sich sehr viel Zeit für die Beschreibungen der Dinge, sie arbeitet wirklich sehr detailliert die kleinsten Dinge ab. Ich schätze, dass es für einige Leser zu viele Figuren, zu viele Beschreibungen und zu viele ruhige Dialoge sind, mit denen man sich beschäftigt, aber wie gesagt: Um dieses Buch zu genießen muss man ein Interesse für die Geschichte der Menschen aufbringen, und nicht unbedingt für die postapokalyptische Story.Mandels Schreibstil hat einen wirklich wunderschönen Klang. Sensibel, mit einem melancholischen Unterton, schildert sie die Geschehnisse, die Umgebung und die Personen so genau, dass man sich sehr gut in die Geschichte denken kann. Man fühlt sich unweigerlich mit dem Thema der Zerbrechlichkeit konfrontiert, weil sie teilweise die Gefühle und die Panik der ersten Tage so gut beschreibt, dass man kaum umhin kann, sich auch in dieses Szenario hineinzudenken.
Genre: Dystopie, EndzeitromanAtmosphäre: melancholisch-düsterUmsetzung der Idee: Anders als erwartet, aber sehr gelungen.Plot: ziellos, aber folgt trotzdem einem roten FadenCharaktere: sehr viele, sehr detaillierte Darstellung, sehr authentischSprachstil: detailverliebt, sensibel, einfühlsamSpannungsbogen: entsteht durch das Herausfinden der ZusammenhängeGenre-Wertung:Gesamtwertung:
Darum geht's:
Während einer Aufführung des King Lears in Toronto verstirbt der Schauspieler Arthur Leander im vierten Akt mitten auf der Bühne. Als Jeevan auf die Bühne springt, und vergebens versucht ihm das Leben zu retten, ahnt er noch nichts vor der georgischen Grippe - ein Virus, der innerhalb kürzester Zeit nahezu alle Menschen tötet. Die wenigen Menschen, die übrig sind, kämpfen ums Überleben und versuchen das, was von der alten Welt übrig geblieben ist, zu bewahren. Auch die fahrende Symphonie, eine Gruppe von Musikern und Schauspielern, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen Amerikas durch die Werke Shakespeares zu erfreuen. Unter ihnen befindet sich eine der Protagonisten - Kirstin, die schon als Kind mit Arthur auf der Bühne stand und Zeugin seines Todes wurde. Obwohl längst verstorben, spielt er trotzdem eine große Rolle.
Cover, Titel, Klappentext:
Machen wir uns nichts vor: Ich schätze, dass die allermeisten zu diesem Buch gegriffen haben, weil es ein wunderschönes Cover hat und der Titel sehr ansprechend ist. Ich bin ohnehin ein Fan von der Farbkombination Blau/Orange, und in dem Zusammenhang mit der Skyline wirkt es wirklich sehr treffend: apokalyptisch, und dennoch hoffnungsvoll. Es ist genau das, was das Buch auch tatsächlich sagen möchte. Der Titel mag vielleicht etwas irreführend sein, weil es keine konkrete Gegebenheit im Buch beschreibt, sondern der Titel eines Comics ist, der noch im Weiteren wichtig wird. Was ich eventuell auszusetzen habe ist, dass das Cover und der Titel im Zusammenhang mit dem Klappentext sehr schnell falsche Erwartungen im Leser hervorrufen kann. Meine Erwartungen waren ein postapokalyptisches Szenario, in dem es wirklich um die letzten Tage der Menschheit geht, voll mit Spannung und rasanten Erzähltempo- was aber nicht der Fall ist.
Anders und dennoch wunderschön
Das Licht der letzten Tage hat eine Gesamtlänge von 416 Seiten, aufgeteilt in 55 Kapitel, diese wiederum in 9 Teile eingeteilt. Erzählt wird von mehreren Erzählperspektiven aus, die ich in Zahl gar nicht nennen kann. Dabei wechselt der Erzähler immer wieder zwischen personalem und allwissenden Erzähler. Die Protagonisten haben alle irgendetwas mit Arthur zu tun, sodass er eigentlich den zentralen Knotenpunkt der Geschichte darstellt.Zeitlich bewegt sich das Buch - anders als erwartet - nicht nur in der Zeit nach der georgischen Grippe. Immer wieder wird nämlich auch Einsicht in das Leben des erfolgreichen Schauspielers Arthur gegeben, man lernt seinen Werdegang als Schauspieler und besonders seine Liebschaften kennen. Besonders eine, die oben bereits genannten Comic zeichnet, welcher in beiden Zeiten eine wichtige Rolle spielt.
Das Buch ist wirklich anders als erwartet, was allein schon mit dem Genre-Mix anfängt. Ganz einfach lässt es sich nicht zuordnen. Es enthält Elemente eines Endzeit-Romans, einer Dystopie, eines Sciencefiction-Romans, wird aber immer wieder durch die Schilderungen der Vergangenheit jäh unterbrochen. Der zeitliche Unterschied beschränkt sich offensichtlich auf eine sehr kleine Distanz, weshalb immer der Bezug zur Vergangenheit konkret gezogen werden kann.Das ist auch eine der großen Stärken des Buchs. Die verschiedenen Figuren sind in einem komplexen Verhältnis miteinander verbunden. Vergangenheit und Zukunft, sie lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten. Es wird sehr langsam aufgerollt, wie Dinge miteinander zusammenhängen. Stück für Stück sammelt man Puzzle-Teile, um sich alles um die Figur Arthur herum konstruieren zu können. Dies wird tatsächlich nahezu bis zur letzten Seite aufrechterhalten - was den großen Reiz an diesem Buch für mich ausmacht. Es ist mir wichtig zu betonen, dass es dadurch ein sehr ruhiges Buch ist. Die größte Spannung entsteht eben genau durch dieses Herausfinden der Zusammenhänge und das Kennenlernen der Figuren. Wer daran keine Freude hat, sollte nicht zu dem Buch greifen, denn sonst ist das Buch ziemlich langweilig und -atmig. Anders als andere Endzeit-Romane beschäftigt sich dieses Buch gar nicht so sehr mit dem Überleben in der neuen Welt, obschon diese ebenfalls nicht friedlich ist. Aber grausame Dinge werden hier eigentlich nur angedeutet, es gibt wenig bis gar keine Action. In den Szenen, die nach der Apokalypse stattfinden, wird hauptsächlich berichtet, wie die Überlebenden nun das Leben fortführen. Die Geschichte hat daher kein richtiges Ziel, und endet auch dementsprechend ohne. Aber gerade so wird die Tragik der ganzen Sache nur noch verschärft. Tragik, weil das rückschrittliche Leben so hart und fremd, zugleich aber auch sinnlos erscheint.Bei einem solchen Konzept ist es umso wichtiger, dass die Figuren für sich brillieren, und das tun sie meiner Meinung nach wirklich. Das Gesamtbild hat wunderbar harmoniert, die einzelnen Figuren sind verblüffend authentisch gestaltet, ebenso die Dialoge. Die einzelnen Personen werden nicht charakterisiert, sondern zeichnen sich allein durch die beschriebenen Handlungen aus, was vermutlich zu dieser Authentizität beiträgt. Mandel lässt sich sehr viel Zeit für die Beschreibungen der Dinge, sie arbeitet wirklich sehr detailliert die kleinsten Dinge ab. Ich schätze, dass es für einige Leser zu viele Figuren, zu viele Beschreibungen und zu viele ruhige Dialoge sind, mit denen man sich beschäftigt, aber wie gesagt: Um dieses Buch zu genießen muss man ein Interesse für die Geschichte der Menschen aufbringen, und nicht unbedingt für die postapokalyptische Story.Mandels Schreibstil hat einen wirklich wunderschönen Klang. Sensibel, mit einem melancholischen Unterton, schildert sie die Geschehnisse, die Umgebung und die Personen so genau, dass man sich sehr gut in die Geschichte denken kann. Man fühlt sich unweigerlich mit dem Thema der Zerbrechlichkeit konfrontiert, weil sie teilweise die Gefühle und die Panik der ersten Tage so gut beschreibt, dass man kaum umhin kann, sich auch in dieses Szenario hineinzudenken.
Fazit:
Ich kann gar nicht so sehr sagen, was genau mich so sehr an dieser Geschichte gepackt hat. Ich mag diese ruhige melancholische Stimmung, ich mochte das komplexe Netz zwischen den verschiedenen Personen, mochte die Geschichte von Arthur und ich mochte den Comic Das Licht der letzten Tage. Auf jeden Fall empfand ich das Buch als neu und erfrischend, vor allem in einem Genre, das dazu neigt, sich immer wieder zu wiederholen.Sicherlich ist das Buch damit für viele uninteressant geworden, weil es eben nicht die Kriterien mit sich bringt, die man sich vielleicht erhofft. Dennoch muss ich ganz ehrlich sagen, dass mich das Buch tief beeindruckt zurückgelassen hat.Zusammenfassung:Genre: Dystopie, EndzeitromanAtmosphäre: melancholisch-düsterUmsetzung der Idee: Anders als erwartet, aber sehr gelungen.Plot: ziellos, aber folgt trotzdem einem roten FadenCharaktere: sehr viele, sehr detaillierte Darstellung, sehr authentischSprachstil: detailverliebt, sensibel, einfühlsamSpannungsbogen: entsteht durch das Herausfinden der ZusammenhängeGenre-Wertung:Gesamtwertung: