Nach dem Skandal um das dröge Seth-Rogen-Filmchen The Interview stand Nordkorea Ende 2014 wieder einmal im Fokus der Öffentlichkeit. Und wieder einmal wurde der krude Staatsapparat nördlich der Demarkationslinie kopfschüttelnd kritisiert. In dieselbe Kerbe schlägt Das geraubte Leben des Waisen Jun Do - geschrieben vom US-Autor Adam Johnson.
Inhalt
Der Waise Jun Do ist kein Mensch mehr, er ist eine Killer-Maschine. Zumindest das meiste Menschliche ist dem Soldatischen gewichen. Jun Do gilt als harter Kämpfer und wird auf eine Entführungs-Mission geschickt. Zusammen mit Komplizen soll er Japaner nach Nordkorea verschleppen.
Über Umwege landet Jun Do dann bei Fischern und obwohl er im nordkoreanischen Sinne alles richtig macht, scheitert er am Doppeldenk des despotischen Systems und findet sich in einem Internierungslager wieder. Über noch mehr Umwege geht die Reise weiter, doch wohin, sei an dieser Stelle nicht verraten.
Wahrheit? Fiktion!
Was war nach Erscheinen dieses Pulitzer-Preisträgers nicht wieder für ein Unsinn zu lesen bzw. zu hören. Der Deutschlandfunk sprach von einem “Blick ins Innere von Nordkorea” und entwickelte mit kruder Logik eine ganz eigene Wahrheit:
“Und darin liegt der große Reiz und das kleine Problem dieses Romans: Alles, was wir darin über Nordkorea erfahren, klingt wie ausgedacht und erfunden. Aber nichts davon ist so absurd, bizarr, lächerlich, grausam, unmenschlich und brutal, dass es nicht doch wahr sein könnte. ”
Das Buch ist also wahr, weil es so falsch ist, dass es wahr sein könnte? Die ZEIT hingegen versteht den Roman als eine “burleske Fantasie über Amerikas mythischen Erzfeind Nordkorea”. Doch auch hier heißt es in Bezug auf die Geschichte wieder:
“Und wer weiß, ob sie sich nicht doch irgendwo zwischen dem 38. Breitengrad und der chinesischen Grenze zutragen könnte, zwischen Pjöngjang und dem Gulag Yodok, absurd und ganz im Stillen.”
Man könnte meinen, die Kritiker selbst würden in Nordkorea leben und dürften ihre Meinung nicht frei äußern. Weshalb sonst trauen sie sich nicht, die Fiktion auch als solche zu benennen, ohne reflexartig und in vorauseilendem Kulturkadavergehorsam ein “es könnte ja wirklich so sein” hinterher zu schieben?
Johnson beschreibt nicht Nordkorea, Johnson beschreibt seine Vorstellung von Nordkorea. Das ist nichts Schlechtes, doch es ist schlicht und ergreifend eine ausgedachte Geschichte mit Übertreibungen, Auslassungen und Verzerrungen. Und es ist gefährlich, einem Roman Wahrheiten zuzusprechen, die er nicht hat.
Ein pro-westliches Weltbild
Adam Johnsons Sicht ist deshalb so erfolgreich, weil sie fest im Mainstream etabliert ist. Wir stoßen hier auf ein großes Paradoxon: Kim Jong-un und sein Regime sind gerade durch ihre Unberechenbarkeit so berechenbar. Wir können uns darauf verlassen, auch in Zukunft mit Absurditäten aus diesem verschlossenen Staat versorgt zu werden.
Das birgt selbstverständlich Chancen für die Imagepflege der sogenannten westlichen Welt. So wurde der Affront um eine Film-Klamotte zu einem Denkmal der Redefreiheit verklärt, wie es der Filmanalyst Wolfang M. Schmitt jun. so treffend in seinem Video-Blog beschreibt.
Fazit
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do ist in keinster Weise aufregend. Auf nahezu 700 Seiten bekommen wir nur eine Aussage eingehämmert: Nordkorea ist böse, Nordkorea ist böse, Nordkorea ist böse. Anders als George Orwell in seinem Meisterwerk 1984 erschafft Johnson keine komplexe Gesellschaft. Bei ihm sind alle grausam, hölzern und brutal. Nordkorea bleibt damit das Waisenkind, das niemand will und das für alles Üble in der Welt verantwortlich gemacht wird.
JOHNSON, ADAM: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do. Roman, Suhrkamp, Berlin 2014. 685 S., 10,99 €