|Rezension| "Bevor die Nacht geht" von Patrycja Spychalski

| cbt | Klappbroschur | 284 Seiten | €14,99 | Amazon |


Kim liebt Berlin. Jacob eher nicht. Kim liebt das Leben und nimmt es, wie es kommt. Jacob ist eher vernünftig und ängstlich. Er will nur eins: So schnell wie möglich weg - weg von seinen Eltern, weg von seinen Geschwistern, weg von Berlin! Um sich kurz vor seinem Flug nach Brasilien von der Stadt zu verabschieden fährt er mit der Ringbahn durch die Gegend. Ebenso wie Kim, die eigentlich nur "Filzdinger" im Baumarkt kaufen sollte, Jacob jedoch sofort faszinierend findet und ihn kurzerhand anspricht. Spontan kommt sie auf die Idee, ihm ihr Berlin zu zeigen - die Winkel und Ecken der Stadt, die sie besonders liebt, damit Jacob die Stadt mit neuen Augen sehen kann. Doch den beiden bleibt nur ein Tag und eine Nacht...
Kann man sich an einem Tag ineinander verlieben? Vielleicht. Was ich aber ganz sicher weiß, ist, dass man sich nach nur wenigen Seiten in ein Buch verlieben kann - in diesem Fall in "Bevor die Nacht geht", ein Roman so erfrischend und echt, dass man Berlin zu jeder Zeit schmecken, riechen, hören, sehen und fühlen kann. Mit einem ganz eigenen Charme, Berliner Schnauze und viel Alltagsmagie entführen uns Kim und Jacob in ein Abenteuer, das das Leben geschrieben haben könnte und das vielleicht irgendwo auf dieser Welt genauso geschehen ist. Diese Geschichte hat man definitiv "bevor die Nacht geht" gelesen, denn aufhören kann man ganz sicher nicht, will man doch viel zu sehr wissen, was als nächstes geschieht und was die beiden als nächstes erleben. Wer Berlin mit neuen und unverbrauchten Augen sehen will, besondere Liebesgeschichten mag, die sich fernab vom Mainstream bewegen und das Leben einatmen möchte, so wie es eben kommt, der kann getrost in die nächste Buchhandlung laufen und sich dieses Buch zulegen!
Aber was macht "Bevor die Nacht geht" eigentlich so einzigartig und - vor allen Dingen - echt? Neben dem flüssig lesbaren und angenehmen Schreibstil, ist es sicherlich die Tatsache, dass es nicht perfekt ist, unsauber und an manchen Stellen blitzt das Fundament durch. Was ich eigentlich damit sagen möchte, ist, dass die Figuren Jacon und Kim, aus deren Sicht das Buch abwechselnd geschrieben ist, zwar unglaublich sympathisch sind, sie aber eindeutig ihre Ecken und Kanten haben, die man eben lieben oder hassen kann. Es sind keine glänzenden Idealbilder, sondern einfach junge Menschen mit ihren Problemen und Gedanken, in die man sich zu jedem Zeitpunkt hinein versetzen kann und die einem nur allzu bekannt vorkommen. Und es ist nun einmal das Leben - und wann ist das schon perfekt? Selten, vielleicht sogar nie, aber genau das macht es irgendwie aus und das zeigt das Buch eindringlich mit leisen und ruhigen Tönen, die zu berühren wissen.
Was es noch zeigt? Wie prägend Entscheidungen sein können und wie das Leben manchmal Wendungen zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten nimmt, die man sich weder erhofft, noch erwartet hätte. Außerdem präsentiert es zwei völlig unterschiedliche, ja, fast schon gegensätzliche Figuren, die aus unterschiedlichen Schichten und mit dementsprechend verschiedenen Problemen letztendlich doch auf derselben Wellenlänge und voneinander fasziniert sind. Da ist einerseits Kim, die eine wirklich erfrischende Figur ist, weil sie beinahe jeder Schublade entrinnt und einfach sie selbst ist, macht was sie will und wann sie es will. Was dann und wann befremdlich wirkt, kann im nächsten Moment wieder charmant sein. Im Gegensatz dazu ist Jacob eher ruhig und oftmals auch etwas ängstlich. Er ist fasziniert von Kim, kommt aber oft nicht so aus sich heraus, wie er es selbst gern hätte. Beide Figuren sind auf ihre eigene Art sympathisch und wachsen einem sofort ans Herz.
Ebenso wie die Beziehung der beiden, die sich ebenso langsam wie schnell entwickelt - schließlich haben sie nur einen einzigen Tag und trotzdem hat man das Gefühl die Figuren viel länger zu begleiten. Vor der faszinierenden Kulisse einer Stadt, die niemals schläft, bietet "Bevor die Nacht geht" ein wirklich aufregendes Leseerlebnis, das gerade durch seine Mängel so perfekt wird und bei dem man einfach nicht zu lesen aufhören kann. Wer Berlin liebt oder nicht liebt, gerne Städte erkundet oder sich einfach führen lassen will, wer das Leben liebt oder eben nicht, der sollte sich diese Geschichte einmal ansehen und kann danach vielleicht einige Dinge mit anderen Augen sehen!
Man kann sich nicht an einem Tag verlieben, denkst du? In dieses Buch schon! Und vielleicht können es auch die Figuren in der Geschichte, aber das muss jeder selbst herausfinden. An einem Sommertag und einer Sommernacht lernen sich Kim und Jacob jedenfalls besser kennen, als manche Menschen in einer ganzen Woche und erkunden mit dem Leser die schönsten Winkel und Ecken Berlins. "Bevor die Nacht geht" ist eine Geschichte, die das Leben schreibt und die sich mit jedem Wort so echt und wahr anfühlt, dass man beinahe glauben könnte, Jacob und Kim wirklich zu kennen. Unbedingt lesen, am besten sofort!

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