Rezension: Bernhard Schlink – Die Frau auf der Treppe (Diogenes, 2014)

Bernhard Schlinks neuer Roman “Die Frau auf der Treppe” ist schlankes Werk, das sich mit Fragen nach dem richtigen und falschen Leben, nach Reue, Niederlage und Jugend befasst. In seinen schwächsten Momenten wirkt es altersmüde, in seinen besten Momenten regt es die Gedankenwelt so an, dass man sich selbst zu fragen beginnt: Lebe ich richtig? 

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Titel: Die Frau auf der Treppe
Autor: Bernhard Schlink
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-06909-9
Umfang: 256 S., Taschenbuch

Der Ich-Erzähler der Geschichte, ein Frankfurter Anwalt, Seniorpartner seiner Firma, wohl zwischen seinem 60. und 70. Lebensjahr stehend, befindet sich geschäftlich in Sydney und entdeckt in der Art Gallery ein Bild, das ihm nur allzu gut bekannt ist: Es zeigt eine nackte Frau, die die Treppe hinuntersteigt. Jahrzehntelang hat er es für verschollen gehalten, sein Anblick trägt in zurück ins Jahr 1968, zu seinem ersten juristischen Fall, zu seiner grossen Liebe: Irene.

Irene ist die Frau, die auf dem Bild nackt die Treppe hinabsteigt. 1968 kam sie mit Karl Schwind, dem Maler, zum jungen Anwalt. Ein Streit war um das Bild entbrannt. Irenes Ehemann, der stinkreiche Gundlach, hatte es von Schwind anfertigen lassen und zürnte diesem nun, weil er mit Irene durchgebrannt war… Im Laufe des von kleinen Boshaftigkeiten geprägten Falles verliebte sich der Ich-Erzähler in Irene und wollte seinerseits mit ihr durchbrennen. Sie jedoch schnappte sich das Bild und verschwand.

Jahrzehnte später nun  sieht er  also das Bild wieder. Er ist inzwischen Witwer, Vater dreier Kinder, pingeliger, rastloser Arbeiter, der mit Gefühlen kaum klarkommt. Er beschliesst, Irene in Australien zu suchen. Er findet sie, in einem einsamen abgelegenen Haus. Todkrank. Eine zweiwöchige Odyssee durch Gegenwart, tatsächlich gelebte und mögliche Vergangenheiten beginnt. Im Laufe der Tage machen auch Gundlach und Schwind noch einmal ihre Aufwartung–

Der Erzähler macht sich im Laufe dieser Zeit viele Gedanken. Über das Alter, die Reue, die Niederlage, das Was-wäre-gewesen-wenn. Er sagt: “Ich klage nicht darüber, dass ich alt bin”, was ihn aber beschäftigt, sind all die Ungewissheiten, die grossen Fragezeichen überall.

“Wenn ich jetzt auf die Vergangenheit zurückschaue, weiss ich nicht, was Last und Geschenk war, ob der Erfolg den Preis wet war und was sich in meinen Begegnungen mit Frauen erfüllt und was sich mir versagt hat.”

Nach der Wiederbegegnung mit dem Bild weiss er plötzlich nicht mehr, was er aus seinem eigenen vergangenen Leben machen soll. Er ist, genau wie seine Antipoden Gundlach und Schwind, eingenommen von den lange zurückliegenden Ereignissen, kann sie nicht loslassen, wird durch das Auftauchen des Bildes angestachelt und schwelgt in einer Art selbstmitleidiger, negativer Nostalgie.

“Die frühen grossen Niederlagen lenken unser Leben in eine neue Richtung. Die frühen kleinen verändern uns nicht, aber begleiten und quälen uns, stets kleine Stachel im Fleisch.”

Wie Gérard von Pop-Polit in seiner sehr treffenden Rezension des Buches erwähnt, leidet “Die Frau auf der Treppe” bisweilen wahrlich unter den fehlenden Sympathien, die die Protagonisten zu erwecken vermögen. Irene ist die einzige halbwegs sympathische Figur, während Gundlach, Schwind und der Erzähler sich oft wie besessene, verbissene Sturköppe ohne Empathie geben. Nichtsdestotrotz vermögen einige der Fragen, die der Erzähler aufwirft das eigene Nachdenken über die richtigen und falschen Entscheidungen im Leben, den Umgang mit Niederlagen und de Vergangenheit anzuregen.

Sprachlich bleibt Schlink  auch mit mittlerweile siebzig Jahren seiner stilistischen Knappheit treu. Was etwa in seinem bekanntesten Werk “Der Vorleser” jedoch immer prägnant, auf den Punkt gebracht wirkte, erscheint in diesem – können wir es so nennen? – Alterswerk auch schonmal ziemlich spröde, eben zu knapp.

Alles in allem liefert der Autor mit “Die Frau auf der Treppe” einen gut komponierten, klaren Roman ab, der aber keinesfalls als Glanzleistung bezeichnet werden kann.


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