Die Zürcher female-fronted Band Annie Taylor dürfte den wenigsten ein Begriff sein. Mit der Veröffentlichung ihrer ersten EP “Not Yours!” am 26. April könnte sich das nun ändern. Wavebuzz hat für euch reingehört.
Alles begann 2016, als Sängerin und Gitarristin Gini und ihr Mitbewohner die Nachbaren mit Musikproben im Wohnzimmer beglückten. Nicht lange sollte es sie jedoch in den vertrauten vier WG-Wänden halten: Unter dem Bandnamen Annie Taylor folgten neben drei Single-Veröffentlichungen Touren durch Italien, Frankreich und die Schweiz sowie Supportshows für Genregrössen wie L.A. Witch, Sunflower Bean oder Kadavar. Ein für eine Schweizer Band ungewöhnlich steiler Karriereeinstieg.
Von der Emanzipationsikone zum «girl grunge»
Ungewöhnlich mutet auch die Geschichte der historischen Figur Annie (Edson) Taylor an, die der Band ihren Namen gab. Die amerikanische Schullehrerin schloss sich 1901 in ein Fass ein, um sich darin die Niagarafälle herunterzustürzen. Als erste Person überhaupt überlebte sie das gewagte Unterfangen, wofür sie in die Annalen der Stuntgeschichte einging. Für ihren öffentlich zur Schau gestellten Mut, der für Frauen ihrer Zeit als grenzüberschreitend galt, wird sie bis heute als Ikone der Frauenemanzipationsbewegung gefeiert.
Nur etwas mehr als zwei Jahre nach den ersten musikalischen Gehversuchen folgt am 26. April also die Veröffentlichung der ersten EP „Not Yours“.Wohl ganz im Sinne ihrer historischen Namensgeberin bezeichnen Annie Taylor ihren Musikstil als „girl grunge“. Unweigerlich erinnert die Genrebezeichnung an Musikikonen wie Courtney Love, die mit ihrer Band Hole und ihrer (heroininduzierten) Anti-Attitüde in den 90er-Jahren mit weiblichen Gesangs- und Verhaltenskonventionen brach. Tragen Annie Taylor das Erbe Loves nun in der Gegenwart weiter? Wir begeben uns auf Spurensuche.
Something old, something new
Der erste Track „Under Your Spell“ (übrigens auch die erste Singleauskopplung der neuen EP) führt nicht in die 90er, sondern in ein anderes für die moderne Rockmusik bestimmendes Jahrzehnt: Der gitarrenlastige Einstieg, der vom klaren Gesang der Frontsängerin Gini gestützt wird, erinnert an 80er-Noise-Rock-Grössen wie Sonic Youth. Doch bei einfachen Genrezuordnungen wollen es Annie Taylor nicht belassen. Langsamere psychedelische Passagen brechen gekonnt eingesetzt mit den 80er-Jahre Vibes. Im Video-Clip kommen diese punktuellen Stilbrüche durch spacige Retro-Visuals besonders gut zur Geltung.
Nahtlos schliesst der zweite Song „Not Yours“ daran an. Der gleichermassen energiegeladene – und dadurch auch durchaus tanzbare – Song vereint wiederum einen an den Rock ‘n’ Roll angelehnten Einstieg mit Elementen aus dem Psychedelic Rock. Das Erbe der emanzipierten Bandnamensgeberin weitertragend, singt Sängerin Gini selbstbestimmt: „What made you think that I’m yours?“
Deutlich ruhigere Töne schlagen Annie Taylor in der zweiten Singleauskopplung „S.L.E.E.P“ an. Als Hommage an Schlaf- und Ruhelosigkeit verleitet der Track zum Tagträumen. Auch hier lohnt sich übrigens ein Blick in den in tranceartigen Videoclip.
Der vierte Song „Aerglo“ ist zugleich auch der erste, den man im weiteren Sinne als Grunge bezeichnen könnte. Anders als die vorigen Titel verzichtet er sodann auch fast gänzlich auf Anleihen aus verwandten Genres. Und auch das funktioniert: Insbesondere die deutlich rockigeren Gitarrensolos überzeugen auf voller Länge.
Der Bonus Track „Deeper“ setzt das rockige Motiv fort. Das Riff im Intro sowie die simple, aber eingängige Bassline könnten glatt von den Grunge-Ikonen Nirvana stammen. Leider flaut diese Energie im weiteren Verlauf des Songs etwas ab, weshalb er auch den geringsten Wiedererkennungswert aufweist.
Wer unter dem Begriff „girlgrunge“ an die ikonischen Vorreiterinnen der 90er-Jahre denkt, dürfte von „Not Yours!“ enttäuscht werden. Verglichen mit Courtney Love et al. kommen Sound und Auftreten doch etwas brav daher. Doch genau darin liegen auch die Stärken des Annie-Taylor-Erstlingswerks: Die nach aussen gekehrte Wut, die das Grunge-Genre auf so ziemlich alles richtet, vereinen sie gekonnt mit sphärischen, am Psychedelic-Rock angelehnten Instrumentaleinlagen, was es erlaubt, auch nach innen, in die Weite der Gedanken jenseits der bangen Realität, einzutauchen. Wer sich übrigens live davon überzeugen will, kann sich die EP am 9. Mai an der Plattentaufe im Kater in Zürich in voller Länge zu Gemüte führen.
Fazit: 8/10