Rezension: Anne Köhler – Ich bin gleich da (DuMont, 2015)

Erlesene Kulinarik und eine recht ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte verbindet die deutsche Autorin in Anne Köhler in ihrem Debüt zum sensiblen Portrait einer jungen Frau, die die Balance finden muss zwischen dem, was sein könnte, und dem, was unwiderruflich gewesen ist. 

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Elsa ist vierundzwanzig, hat eine Lehre als Köchin absolviert, ist nun in einem XXL-Schuppen in Hildesheim gelandet, wo es alleine auf die Quantität der Portionen ankommt. Frische Zutaten kennt diese Küche nicht, Qualität interessiert weder den permanent aggressiven Chef noch die Kundschaft. Elsa aber stört das nicht – redet sie sich ein -, denn die Hektik einer Küche, egal welcher Art, gibt ihr einen Rhythmus vor, eine klar definierte Rolle, innerhalb derer sie funktionieren kann. DIe Küche schützt sie vor der unerträglichen Stille der Welt.

Und wenn sie keine Lust mehr hat, zieht sie eine Stadt weiter, nimmt den nächsten Job an. Wie sie das seit neun Jahren schon macht – immer auf dem Weg nach Norden, in Richtung Meer. Mit fünfzehn Jahren ist sie von zuhause weggelaufen, um ihre Lehre zu beginnen. Nach dem überraschenden frühen Tod des Vaters hat sie die bedrückende Enge des Dorfes Weidenheim nicht mehr ausgehalten, hat ihren älteren Bruder David und ihre Mutter Ursel verlassen und ist losgezogen.

Nun aber, in Hildesheim, wo sie sich das Bett mit einem Arbeitskollegen teilt – auch das eine Angewohnheit, die sie von Stadt zu Stadt wieder aufnimmt -, wird ihr klar, dass es ein Ende haben muss. Elsa verlässt die Stadt überstürzt und reist nach Sylt, wo sie zum ersten Mal das Meer sieht. Und in ihm nicht die erhoffte Erlösung findet. Also zieht sie ein Stückchen weiter nach Hamburg.

Hier begegnet sie Jan, einem undurchschaubaren jungen Architekten, dessen optimistischer Elan und Hilfsbereitschaft Elsa sofort begeistert. Sie zieht in seine Wohnung ein, beginnt aber, ganz entgegen der Gewohnheit, keine Affäre mit Jan. Auf gut Glück bewirbt sich Elsa nun beim Spitzenrestaurant Brunner und erhält überraschend die Chance, sich in der dortigen Gourmetküche zu bewähren. Das Leben scheint endgültig eine Wendung zum Guten zu nehmen, Elsa ist angekommen: tagsüber in der Hektik der Küche, abends und nachts mit Jan und dem Fotografen Lorenzo in den Bars und Clubs der Stadt. Lust, ihrer Mutter den Wohnortswechsel mitzuteilen hat sie keine.

Doch dann holt die Vergangenheit sie ein: Ursel hatte einen schweren Autounfall und liegt im Koma. Elsa muss zurück nach Weidenheim, wo eine nicht ansprechbare Mutter, ein verärgerter Bruder und jede Menge ungeliebter Erinnerungen auf sie warten…

EIN SCHMACKHAFTES DEBÜT. 

Anne Köhler (*1978) hat jahrelang an ihrem Debütroman gefeilt, hat den Text immer wieder umgeschrieben, überschrieben, neu geschrieben, was teilweise auf ihrer Website dokumentiert ist. In der Küche von Johannes King im Söl’ring Hof auf Sylt hat sie eine Woche lang die Rolle ihrer Protagonistin zwischen Töpfen und Pfannen eingenommen, um die Stimmungen aufzusaugen, die sie beschreiben wollte. Ein lohnenswerter Rechercheaufwand, sind doch gerade die Szenen in den verschiedenen Küchen von grosser Intensität und vermitteln auch dem Leser, der diese Räume aus eigener Erfahrung nicht kennt, einen klaren Blick hinter die Kulissen eines Restaurants. Fehlen lediglich noch die Gerüche…

Mit Elsa, deren Entwicklung das allseits dominierende Thema des Romans ist, hat Anne Köhler eine Figur geschaffen, deren couragierter Ausstieg aus dem Familienleben sie zunächst ins Unglück zu führen scheint, auf eine ewige Reise ohne Wiederkehr und ohne Aufarbeitung des Zurückgelassenen. Es bedarf eines Aufweckens, eines Aufrüttelns aus der selbsterzwungenen Flucht (durch Jan), um sie auf den Weg zu führen, der Geschehenes und Mögliches in eine Balance bringt, die ein Leben ohne ständiges Davonrennen ermöglicht.

Die Autorin beschreibt Elsas Entwicklungen, ihre Gedanken und Gefühle, in einer unaufgeregten einfühlsamen Sprache, die sofort Mitgefühl für die Protagonistin erzeugt, das Bedürfnis, ihr Schutz und Rat zu erteilen. Gerade in der Beschreibung des scheinbar Banalen findet sie die verborgenen Metaphern, die auf grössere existenzielle Zusammenhänge verweisen. Ein schmackhaftes Debüt.

Köhler, Anne. Ich bin gleich da. Köln: DuMont 2015. 352 S., gebunden m. Schutzumschlag. 978-3-8321-9751-3


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