|Rezension| "Angelfall: Fürchtet Euch nicht" von Susan Ee



 Auch wenn es ironisch klingt: Seit den Angriffen sind die Sonnenuntergänge herrlich.
Es ist nur sechs Wochen her seit die Engel die Erde angegriffen und die Macht übernommen haben. Die Straßen sind wie leergefegt, die Nahrung ist knapp und in der Nacht treiben dunkle Gestalten ihr Unwesen. Gemeinsam mit ihrer verrückten Mutter und ihrer an den Rollstuhl geketteten siebenjährigen Schwester Paige ist die siebzehnjährige Penryn immerzu auf der Flucht, auf der Suche nach einem Platz zum Bleiben. Als Paige eines Tages von einer Gruppe Engel entführt wird, die kurz zuvor einem anderen Engel die Flügel abgeschnitten haben und auch Penryns Mutter spurlos verschwindet, hat Penryn nur noch einen Gedanken: Ihre entführte Schwester zurückholen. Doch da liegt nur noch der verwundete Engel, ihr Todfeind, auf der Straße und rührt sich nicht mehr. Kurherzhand entschließt Penryn ihn mitzunehmen, denn nur durch ihn könnte sie herausfinden, wohin man ihre Schwester gebracht hat. Der Engel Raffe jedoch will nur seine Flügel wiederhaben und so beginnt eine gefährliche Reise, auf der alles ganz anders kommt, als geplant.
Wenn der Himmel aussieht wie eine "aufgebrochene Mango" (S.5), kann der Schreibstil entweder phänomenal gut oder hoffnungslos kitschig sein. "Angelfall" gehört definitiv in die erste Kategorie und zeigt, dass auch Endzeitromane nicht nur kalt und schnörkellos geschrieben werden können. Susan Ee findet hier einen äußerst angenehmen Mittelweg, der weder zu blumig, noch zu distanziert geschrieben ist und sich noch dazu flüssig und leicht lesen lässt. Schönheit trifft Hässlichkeit, trifft Brutalität trifft Sanftheit - den Ton trifft die Autorin jedenfalls jedes Mal und das auf eine eindringliche und atmosphärisch dichte Art, die den Leser sofort in den Bann zieht. Definitiv eine interessante Mischung, die den Duft einer aufgebrochenen Mango einfängt und dabei dennoch actionreich und spannend sein kann. Und vor allen Dingen nach einem schreit: Mehr!
So ein U-Bahn-System ist auf den ersten Blick eine extrem komplizierte, aber doch geordnete Angelegenheit. Jeder Zug fährt seine ihm vorgesehene Bahn, hat einen Anfang und ein Ziel und zieht stur "sein Ding durch".
Nichts kann ihn aufhalten, nichts ändert sich. Ähnlich ist es bei den verschiedenen Genres der Literatur. Urban Fantasy fährt gemächlich (meistens) eine bestimmte Strecke, die rasanten Dystopien rasen über die Gleise und die Endzeitromane explodieren förmlich. Was würde aber nun passieren, wenn man all diese verschiedenen Gleise zusammenlegt und für die verschiedenen Züge passierbar macht? Was wäre, wenn da, wo Urban Fantasy fährt, auch Dystopien und Endzeitromane fahren würden? Klarer Fall. Da würde dann wohl so etwas wie "Angelfall" rauskommen, denn wenn ihr in diesen Zug einsteigt, erwartet euch ein Höllentrip durch eine postapokalyptische Welt voller düsterer Gefahren, kriegerischer Engel und eine Geschichte, bei der einem buchstäblich die Spucke wegbleibt. Und das alles einmal quer durch die verschiedenen Genres!
Die Geschichte um Penryn und Raffe ist, wenn ich es mit zwei Worten beschreiben müsste, verdammt tough, spielt sie doch ungefähr sechs Wochen nach dem die Erde von den Engeln angegriffen wurde. Und mit den Engeln und den vorangegangenen Naturkatastrophen ist auf dieser Erde nichts mehr wie es war: Straßengangs treiben Nachts ihr Unwesen, zerstörte Städte, Nahrungsmangel und merkwürdige kleine Gestalten, die keine guten Absichten haben - noch dazu kommen natürlich die patrouillierenden Engel. Bei all diesen Beispielen mag es schwer vorstellbar sein, dass die Welt von "Angelfall" nicht ganz so detailliert beschrieben wurde, wie ich es mir erhofft hatte - zumindest im Hinblick auf die Zeit während des Anschlags. Vielmehr geht es um die Zeit danach, in der Penryn versucht mit ihrer Familie durchzukommen und dabei nicht nur ihre Schwester verliert, sondern ab und an wohl auch ihren Glauben an so ziemlich alles, was die Welt zuvor ausgemacht hat. Ein wenig mehr Details zu den Anschlägen
hätten der Geschichte jedenfalls noch mehr Atmosphäre verleihen können.
Einer der größten Pluspunkte der Geschichte ist definitiv die Figurenkonstellation. Penryn ist die Starke und Toughe, die ihre Familie zusammenhält und für sie sorgt. Dennoch ist sie nicht emotionslos oder ohne Angst - ganz im Gegenteil. Sie jammert nur einfach nicht den größten Teil der Zeit, was ziemlich erfrischend ist. Außerdem ist sie nicht ohne Grund eine kleine Kickassheldin - all ihre Charaktereigenschaften haben einen glaubwürdigen (wenn auch oft ziemlich krassen) Hintergrund. Raffe ist vom Schlag unnahbarer und düsterer Engel und obwohl er damit die Klischees bedient, ist er härter, als man es vermuten könnte. Seine wahre Persönlichkeit scheint erst gegen Ende des Buches wirklich durch zu schimmern und auch hier gibt es wohl noch einige tiefe Seen zu ergründen. So läuft auch die Liebesgeschichte, die nur hintergründig vorhanden ist, sehr langsam und tastend voran, was eine erfrischende Angelegenheit war und sehr glaubwürdig wirkte. Völlig umgehauen hat Ee mich aber mit Penryns Mutter, die mit Klischees nichts mehr am Hut hat. Sie ist psychisch absolut labil, spricht mit imaginären "Dämonen" und ist nicht gefahrlos zu genießen. In der Frau ist mächtig was am köcheln und genau diese Andersartigkeit hat mir sehr gut gefallen. Endlich mal nicht die a) umsorgende oder b) die verschlossene und ängstliche Mutter, sondern jemand, in dem so einiges steckt und bei der wohl auch noch nicht alle Geheimnisse restlos geklärt sein dürften.
Besonders hervor stechen die Brutalität und die zum Ende hin beinahe ins Horror übergehenden Elemente, die mich zum Teil sprachlos
zurückgelassen haben. Anfangs ist das Szenario noch sehr harmlos und erträglich, zum Ende hin nahmen die Schocker immer mehr zu bis sie schließlich in einem absolut grausigen Höhepunkten eskalieren und mich mehrmals dazu gebracht haben, ungläubig zu blinzeln. Wer einen schwachen Magen hat oder generell nicht gut mit Horror und Gewalt klarkommt, sollte sich vielleicht zwei Mal überlegen das Buch zu lesen. Mir haben diese überraschenden und schockierenden Wendungen aber im Gesamtbild ziemlich gut gefallen - ich meine, klar: Apokalypse! Flauschige Kaninchen sollte man sich wohl woanders suchen, in "Angelfall" jedenfalls findet man eher eine Spannungskurve, die mit jeder Seite steigt, immer unfassbarer und sich zuspitzender wird und Grausamkeiten "at their best" - wobei "best" hier mit Vorsicht zu genießen sein dürfte.
Wer sich bei diesem Buch nicht fürchtet hat auf jeden Fall Nerven aus Stahl und einen starken Magen. Vor einem schlechten Buch müsst ihr euch in diesem Fall allerdings wirklich nicht fürchten, denn "Angelfall" bietet eine explosive und nervenzerreißende Mischung aus Urban Fantasy, Endzeit und Dystopie und versteht sich darauf atemlos zu fesseln. Vom Anfang bis zum Ende ist eine konsequente Spannungskurve vorhanden, die mit jeder Seite zunimmt. Zudem besticht die Geschichte mit außergewöhnlichen Figuren (besonders die Mutter hat es mir angetan!) und macht auch vor brutalen Szenen nicht Halt. Zwischendrin finden sich immer wieder geschickt eingebaute Twists, die schließlich im absoluten Supergau ausarten und mich mit enger Kehle und zerdrücktem Herzen zurückgelassen haben. Vergesst flauschige weiße Engelsflügel, goldene Löckchen und Heiligenscheine - die Engel sind los und die sind nicht gerade versöhnlich gesinnt.

Susan Ee war zunächst Anwältin, bevor sie beschloss, ihre Leidenschaft für die Literatur zu ihrem Beruf zu machen. Sie studierte Kreatives Schreiben in Stanford und Clarion West und arbeitet nun als Autorin und Filmemacherin. Sie lebt in San Francisco, Kalifornien. [via Heyne]
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Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich sehr herzlich bei

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