{Rezension} Alles so leicht

Von Blaetterwind
Meg Haston | Alles so leicht | Thienemann | 320 Seiten | 19,99€ [D]; 20,60€ [A] | ISBN: 978-3-522-20215-2

Zum Inhalt:


Stevie, 17 Jahre alt, leidet nicht nur an Bulimie, sie hat auch  nichts mehr zu verlieren. Sie ist fest entschlossen, aus dem Leben auszutreten. Doch etwas kommt ihr in die Quere, nämlich ihr Vater, der sie in ein Therapiezentrum schickt. Hier fühlt sie sich alles andere als wohl: Überall wird sie überwacht, ständig muss sie essen und wieder zunehmen. 60 Tage soll sie dort bleiben - doch keiner weiß, dass Stevie nicht geplant hat, so lange dort zu sein. Sie will in 28 Tagen sterben. In dieser Zeit gerät sie immer stärker in einen Konflikt: Ihre Therapeutin, die so anders als alle anderen Seelenklempner ist und auch die anderen Mädchen dort wachsen ihr immer mehr ans Herz.

Cover:


Ich finde das Cover besonders im Bezug auf den englischen Namen paperweight sehr gelungen, weil die Wolken- und Vogelsilhouetten wie aus Papier ausgeschnitten scheinen. Aber auch der deutsche Titel hat seine Raffinessen. (siehe unten.)Die Wolken und auch die Luftballons spiegeln die Leichtigkeit natürlich wieder - ein Thema, das gerade bei Anorexie und Bulimie natürlich sehr metaphorisch stark ist. Ich mag übrigens auch das Layout der Seiten, da sich diese Motive dort wieder finden lassen. Alles in Allem ein sehr gelungenes Aussehen!

So überhaupt gar nicht leicht


Wenn es um Essstörungen in welcher Art auch immer geht, kann man sich eigentlich schon darauf vorbereiten, dass die Thematik eher der schweren Kost zugeordnet werden kann. Und das vor allem, wenn die Autoren selbst schon einmal davon betroffen waren, so wie Meg Haston. Alles so leicht ist hier keine Ausnahme. Das Buch ist aus der Perspektive Stevies geschrieben und bietet dementsprechend sehr klare, ehrliche und subjektive Gedanken, die in ihrer Art schon direkt und auf den ein oder anderen schockierend wirken könnten. Haston ist sehr ehrlich, wenn es darum geht, Stevies Ängste oder Gedanken rund um das Thema Essen und Suizid zu beschreiben. Trotz der Klarheit, die sie ausspricht, verliert sie nie die Feinfühligkeit gegenüber diesen sehr schwierigen Themen. Auch sprachliche Feinfühligkeit kann ich Haston bescheinigen. Nicht nur, dass man manchmal förmlich die Situation vor sich zu sehen scheint, auch die Gefühle sind teilweise mit solch einer Authentizität beschrieben, dass man wirklich mit Stevie mitfühlt
"Es ist so lange her und ich ... vermisse ihn. Ich vermisse ihn in all den kleinen Sachen, ständig, unentwegt. Ich vermisse seine Festigkeit, wenn wir uns umarmten, und dass er mich nie gleich wieder losließ. (...) Am meisten aber vermisse ich das Größte, das Wichtigste, das Unglaublichste, was es auf der Welt gab: dass er wusste, wie er mich lieben musste. Und dass er es tat."

- Alles so leicht, Seite 235

Haston arbeitet auch mit lebendig wirkenden Textelementen. Briefe werden mit einer anderen Schriftart dargestellt, besonders aggressive Gedanken werden auch mal nur mit GROßBUCHSTABEN   ("STEVIE." - S. 209) gedruckt und manchmal werden Worte einfachzusammengeschrieben ("Scheiße. Scheißescheißescheiße" - S. 36). Sie verwendet eine sehr jugendliche, moderne Sprache.  Worte wie stoned, Seelenklempner, Scheiße etc. fühlen sich bei ihr sehr authentisch und gut eingesetzt an.
Die dargestellten Personen im Buch sind auch einen Blick wert. Ich mochte die Darstellung von Anna, Stevies Therapeutin, die wirklich sehr feinfühlig und anders war, als man es erwartet hatte. Und auch die beiden Personen, die Stevies Leben maßgeblich und auf tragische Weise beeinflusst hatten - Josh, ihr Bruder und Eden, ihre Freundin - haben eine unheimliche Präsenz in diesem Buch und auch über diese beiden will man ständig mehr erfahren. Stevie ist wirklich eine sehr interessante Person, bei der ich das Gefühl hatte, dass man eine gewisse Antipathie eingeplant hat. An einigen Stellen nervt Stevies Sturheit, vor allem am Anfang, wo sie allem so negativ eingestellt ist. Je mehr man aber von ihr und ihren Beweggründen erfährt und je mehr sie sich auch entwickelt, desto mehr Verständnis zeigt man für ihre Art. Man fühlt sich im Grunde genommen wie sie: denn auch sie findet die anderen Mädchen am Anfang unausstehlich, doch lernt sie immer mehr zu schätzen. Anhand der anderen Patientinnen werden die Krankheiten Anorexie/Bulimie noch einmal sehr deutlich. Jede hat einen anderen Grund, einen anderen Auslöser der Krankheit und jede geht dementsprechend anders damit um. Vor allem wird aber deutlich, dass eine Essstörung nicht immer ein eigenständiges Krankheitsbild ist - und Stevie ist der beste Beweis dafür. Bulimie mag ein großes Thema sein, es ist aber noch viel mehr. Das trägt wirklich dazu bei, dem Buch diese gewisse Tiefe zu verleihen. Wobei auch klar gesagt werden muss, dass das Buch eher der - im weitesten Sinne - Unterhaltung und nicht der Aufklärung dient. Man erhält als Außenstehender ein sehr rundes, oberflächliches Bild von einem Klinikaufenthalt und von der Gedankenwelt einer Erkrankten - dennoch kann es einem eine psychologische Tiefe nicht in dem Ausmaß geben, wie es eine Biographie oder ein Sachbuch tun könnte. 
Spannung entsteht meiner Meinung nach auf zwei Wegen. Zum einen ist es die zeitliche Begrenzung.  Man weiß von Anfang an, dass die Zeit begrenzt ist und fiebert dem 28. Tag entgegen. Dieser Effekt wird verstärkt durch die Kapitel: Gegliedert sind diese nämlich Tagen.Der weitaus größere Spannungsbogen wird durch Stevies Vergangenheit und Beweggründe hervorgerufen. Recht schnell erfährt man den Grund für ihren Wunsch zu sterben. Was die Hintergründe dafür sind, das erfährt man allerdings immer nur Stück für Stück. Meiner Meinung nach ist das allerdings die größte Schwäche des Buchs. Im Mittelteil passiert recht wenig 'spektakuläres', das wird sich schließlich für den Schluss aufgehoben. Man kann recht schnell das Interesse verlieren, es wird langatmig. Andererseits passierte mir etwas zu viel und zu gestaucht am Ende. Ich hätte mir etwas mehr Zeit für diese Ideen gewünscht und vor allem nicht alles direkt hintereinander.

Fazit:


Alles so leicht ist ein sehr interessanter Roman, der vor allem durch das Geheimnis um Stevies Vergangenheit lebt. Das Buch brilliert durch seine ehrliche und direkte Art, die auch jenen einen Zugang zur Thematik gewährt, die sich noch nicht damit auseinander gesetzt haben. Dennoch hat es seine Schwächen im Spannungsbogen.

Zusammenfassung:

Genre: Jugendliteratur (Problemliteratur)Plot: unterhaltsam, wenn auch nicht besonders originellCharaktere: interessant, individuellSprachstil: modern, lebendig, sehr feinfühligThematische Tiefe: etwas oberflächlich, aber dafür sehr rund und stimmig.Spannung: erzeugt durch Stevies Vergangenheit und BeweggründeSpannungsbogen: im Mittelteil langatmig

Genrewertung:


Gesamtwertung:
Weiterführende Links:
Twitter der Autorin: https://twitter.com/meghastonBlog: http://meghastonbooks.blogspot.com