Die aus Weissrussland stammende deutsche Autorin Alexandra Friedmann (*1984) hat die Geschichte ihrer Familie zu einem hervorragenden Roman verdichtet. Von Gomel über Brest, Warschau und Wien nach Deutschland führt Familie Friedmanns Reise – vor Augen stets das eine grosse Ziel: Besserland.
Die Ich-Erzählerin, die wir ohne schlechtes Gewissen mit der Autorin gleichsetzen dürfen, beginnt ihre Erzählung im Dezember 1986 in Gomel, Weissrussland. Selbst erst ein zweijähriges Mädchen, tritt sie selbst kaum in Erscheinung, sondern überlässt die Bühne ihrer Familie, zunächst Vater Edik und Mutter Lena. Beide sind diplomierte Ingenieure, arbeitsame Rädchen im sowjetrussischen System. Bald schon aber ändern sich die Verhältnisse: Gorbatschow genehmigt die Gründung nicht-staatlicher Kooperativen. Edik sieht seine Chance gekommen und macht sich mit seinem Freund Sascha selbstständig, Lena erledigt die Finanzen der neuen Firma. Dubiose Geschäfte und unklare Gesetze aber bringen die beiden an den Rand einer Gefängnisstrafe. Da fasst Edik für seine Familie einen Plan: Auswandern.
Sein “Besserland”, der Projektionsraum für alle im Osten unerfüllbaren Wünsche, ist Amerika. New York. Das nur vom Hörensagen bekannte Wunderland mit seinen High-Tech-Geräten, stadtgrossen Malls und unbegrenzten Möglichkeiten. Als mühselig erweist sich der Kampf mit der russischen Bürokratie um Ausreisegenehmigungen, den die Familie mit grosser Hingabe annimmt. Schliesslich ist alles bereit.
Über Brest, Warschau und Wien führt die Reise, auf der die Friedmanns von der Familie Grosmann – ein leichter Anklang an Rossmann aus Kafkas “Amerika” lässt sich nicht leugnen – begleitet wird. Zuversicht und Hoffnungslosigkeit wechseln sich im Seitentakt ab, mal scheint alles gewonnen, dann sogleich wieder alles verloren. In Wien schliesslich treffen sich die Familien mit dem zwielichtigen Vermittler Jossik, der sie davon überzeugt, dass nicht etwa das ferne Amerika, sondern das ganz nahe Deutschland “Besserland” sei, in dem Freiheit und Reichtum für jeden greifbar seien.
Die Flucht ist vorbei, die Integration beginnt. In Asylunterkünften richten sich die Friedmanns ihr provisorisches neues Leben ein, versuchen Sprachbarrieren zu überwinden, mit Behörden zu verhandeln. Sie investieren all ihre Energie in das Ziel, sich eine unabhängige Existenz im neuen Land, das noch lange nicht Heimat wird, aufzubauen, um später den Rest der Familie nachholen zu können. Im Englischlehrer Klaus Krämer findet die Familie einen herzensguten, engagierten Helfer, Vermittler und Freund.
Mit grosser Liebe für die tragischen und komischen Details beschreibt Friedmann die kleinen Offenbarungen – der erste Genuss von Nutella! – und die leidigen Unabänderlichkeiten, wie den offenkundigen Fremdenhass, den auch in Deutschland einige Leute hegen. Eine Szene, in der die letztlich nach dem Mauerfall nachgekommene Oma Anna, eine richtige ewig lamentierende jüdische Mamme, mit einer dicken Mozart-Biographie den piesackenden fremdenfeindlichen Jungen Karsten verprügelt steht sinnbildlich für die nie ganz auszumerzenden Unvereinbarkeiten der Kulturen. Ansonsten aber ist der Grundtenor des Buches durchaus der, dass Deutschland zuletzt tatsächlich das erhoffte Besserland ist. Auch wenn die Eltern einsehen, dass sie selbst wohl nie Deutsche sein werden, so erkennen sie doch, dass ihre Tochter es sein wird.
Bei aller Tragik, die gewissen Stellen der Geschichte zugrunde liegt, ist das dominante Element des Textes doch der Humor. Alexandra Friedmann hat ein gutes Gespür dafür, diesem Clash der Kulturen, in dessen Zentrum sie zur Welt gekommen ist, mit einem Augenzwinkern zu begegnen. Szenen wie die, in der Papa Edik sich in Deutschland auf einen Job als Pfleger eines Papageienkäfigs bewirbt, mit zerschlissenen Kleidern nach Hause kommt und von einem Monster, das eher fliegender Tiger denn Papagei gewesen sei, spricht, sind herzzerreissend komisch geschrieben. Die Lust am Erzählen und am Spiel mit der Sprache ist jederzeit spürbar.
Während im ersten Teil, der Flucht, jeder einzelne bürokratische Schritt ewig lang zu dauern scheint, hat man im zweiten Teil in Deutschland gegen Ende das Gefühl, alles laufe etwas zu glatt, zu problemlos ab. Der Nachzug weiterer Familienmitglieder geht reibungslos vonstatten, was – obschon, wie Edik sagt, das Judentum nicht mehr Hindernis, sondern Transportmittel sei – bisweilen fast unglaublich anmutet. Aber, um mit dem Dostojewski-Zitat zu schliessen, das die Website der Autorin ziert,: “Nichts ist so unglaubwürdig wie die Realität.”