Rezension: Albert Drach – Die Erzählungen (Zsolnay 2014)

Band 7/III der seit 2002 bei Zsolnay erscheinenden Werkausgabe Albert Drachs (1902-95) enthält sieben späte Erzählungen, die ein faszinierendes Panorama des Schaffens des österreichischen Autors eröffnen. Von Wasserleichen, verwundeten Vögeln und greisen Überlebenden des Atomkriegs:

I. Der Autor und sein Stil: Albert Drach, geboren am 17. Dezember 1902 in Wien, Jude, Österreicher, Jurist, flüchtete nach dem Anschluss Österreichs via Kroatien nach Südfrankreich, wo er den Zweiten Weltkrieg als Internierter in diversen Lagern erleben musste, sich schliesslich mittels eines bürokratischen Tricks aber von seiner jüdischen Abstammung auf Papier loszusagen vermochte und Franzose wurde. Kurz nach dem Kriegsende kehrte er nach Österreich zurück, nahm seinen Wohnsitz in Mödling, wurde wieder praktizierender Rechtsanwalt – einer jedoch, der nie daran glaubte, dass Justiz in Gerechtigkeit mündet. Publizieren konnte er nicht, seine Werke wurden abgelehnt bis 1964 der Verlag Langen Müller sich seines Werks annahm. Grosser Erfolg war ihm aber nicht beschieden. Erst als er Ende der Achtziger wiederentdeckt und schliesslich 1988 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, gelangte Drach in den Rang eines grossen Schriftstellers.

“Ich bediene mich eines Stils, in dem das Leben gegen den Menschen schreibt”, sagte er einmal. Es ist ein umständlicher Stil, den er pflegt, der sogenannte “Protokollstil”: eine Erfindung, auf die Drach stolz war, und die er deutlich von simplem Kanzleideutsch abgegrenzt wissen wollte. In der Erzählung “UND”, deren Protagonist Richter ist, erwähnt dieser, dass das Protokoll das Wichtigste im Prozess sei, “das nicht mehr abwendbare Wort” nämlich. Das nüchtern-beobachtende Protokollieren, das das Leseerlebnis prägt, ist Ausdrucksform einer Grundeinstellung, die in all diesen Texten mitschwingt: es ist die Ohnmacht im Angesicht eines ungerechten Schicksals, die hier beschrieben wird, die Erkenntnis, dass der Mensch dem Leben machtlos ausgeliefert ist, dass das Unmögliche eben nie möglich ist.

drach

Titel: Die Erzählungen
Autor: Albert Drach
Verlag: Zsolnay
ISBN: 978-3-552-05666-4
Umfang: 384 Seiten, gebunden m. Schutzumschlag

II. Die Erzählungen: Die hier versammelten sieben Erzählungen aus den Jahren 1965 – 1994 lassen sich in drei Gruppen einteilen. Zunächst sind da die drei Vogeltexte “Vom Stift zum Gimpel, aber nicht wieder zurück”, “Lullo und Lulla. Eine kernbeisserische Idylle” und “Wegfall winziger Liebe. Eine kernbeisserische Elegie”. Im Zentrum dieser Erzählungen steht jeweils ein kleiner Vogel, der von den jeweiligen Protagonisten verwundet aufgefunden, mitgenommen und in deren Familie eingegliedert wird. Hierbei werden Gesundheitszustand, Nahrungsaufnahme und die Taxonomie der Tiere jeweils mit penetranter Genauigkeit behandelt. Es handelt sich um drei bisweilen etwas zähe, bisweilen aber auch – besonders “Lullo und Lulla” – urkomische kurze Erzählstücke.

Gefolgt werden sie von der alleine stehenden, für das Gesamtwerk des Autors wohl bedeutsamsten hier enthaltenen Erzählung “Lunz”. Dieses autobiographische Prosastück entfaltet sich rund um den Ich-Erzähler (Drach) und dessen Schicksalsort Lunz. Unter anderem hat der Anblick einer Wasserleiche ihn hier dazu bewogen sich als Schriftsteller Unsterblichkeit zu erarbeiten.

“Als die Leute, die ihn auf den Leiterwagen geworfen hatten, bemerkten, dass ein Kind, nämlich ich, den Vorgang gesehen, schleuderte sie noch einen Jutesack über das wenig anziehende Gesicht des ertrunkenen Betrunkenen. Ich aber hatte genug gesehen, um nicht mehr sterben zu wollen.”

Zuletzt befindet sich im vorliegenden Erzählungsband ein weiteres erzählerisches Trio: “IA”, “UND”, “NEIN”. Es sind hier jedoch in erster Linie die zusammenführende Titelpoesie und die Editionsgeschichte, die das Trio Trio sein lassen. Inhaltlich nämlich unterscheiden sich die Erzählungen stark. Das sarkastisch-grotesk-morbide “IA” führt eine überalterte Gesellschaft aus sechzehn Männern vor, die gemeinsam mit einem Baby als einzige die atomare Apokalypse (in einem Kreisssaal) überlebt haben und nun, einer nach dem andern, monologisch ihre Zukunftspläne darlegen. “UND” handelt von einem kurzzeitig verschollenen Richter mit einer ausgeprägten Abneigung gegen das Bindewörtchen ‘und’… und “NEIN” schliesslich ist eine Kriminalgeschichte um ein Findelkind…

III. Die Werkausgabe: Seit 2002 verlegt der Zsolnay-Verlag das Gesamtwerk Drachs. Die Werkausgabe ist auf zehn Teile angelegt, wovon “Die Erzählungen” Teil III des siebten Teils darstellt. Das vorliegende Buch mit seinen fast vierhundert Seiten, von denen cirka 200 auf die Erzählungen selbst entfallen, ist sorgfältig ediert und glänzt mit ausführlichen Nachworten, Kommentaren, Textgenesen und Textzeugen zu allen Erzählungen. Wer sich für Feinheiten der Edition, Hintergründe und Bezugspunkte der Erzählungen sowie die Arbeit des Autors an seinen Texten interessiert, wird hier sicherlich mehr als zufriedengestellt.


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