Endlich war es soweit: Das Ramadan-Fest stand vor der Tür! In aller Herrgottsfrühe stritten sich drei Cousins und fünf Cousinen um zwei Bäder, während ich mich in der Küche gierig mit dem After-Ramadan-Gebäck vollstopfte. Zusammenquetscht in zwei Autos fuhren wir in das nahegelegene Stadion, um unter freiem Himmel auf einer riesigen Rasenfläche das Festgebet zu beten. Da mein Kopf kein Platz mehr im Auto hatte, streckte ich ihn zwangsläufig aus dem offenen Fenster und hatte – trotz des erheblichen Fahrtwindes – die Möglichkeit, das Fest auf eine ganz besondere Weise zu erleben. Auf den Straßen wurden Luftballons, bunte Partyhüte, Luftschlangen und die überall gegenwärtige ägyptische Flagge verkauft. Lautes Kinderlachen war zu hören und jeder, der an meinem heraushängenden Kopf vorbeiging, trug einen Gebetsteppich in der Hand, um unter freiem Himmel zu beten. Es war eine wunderschöne Atmosphäre.
Die Luft war angenehm frisch, als wir ausstiegen und der Rasen noch feucht. Nach dem Gebet predigte der Scheich, dass sich Ägypten nun in DER entscheidenden Phase befinde und, dass jeder einzelne Ägypter nun Verantwortung für sein Tun und für sein Land trage. Dramatisch hallte seine Stimme durch das Stadion. Nach dem Gebet erhielten wir einen dringenden Anruf, dass mein Cousin einen Unfall mit seinem Auto hatte. Ein Toktok, also eine Art elektrische Rischka, rammte ihn heftig um einer Polizeikontrolle zu entgehen. Nach dem Crash rannte der Toktok-Fahrer davon und übrig blieb sein alleingelassenes Toktok, mein verdutzter Cousin und – Gott sei Dank – genug Polizisten als Zeugen. Es ging also nach dem Festgebet direkt in Richtung Polizeistation, um Anzeige zu erstatten. Da Polizeistationen in Ägypten nicht ohne Grund als gefürchtetes und unbedingt zu vermeidendes Terrain gelten, da dort Folterungen und rechtswidrige Festnahmen an der Tagesordnung sind, war mein journalistischer Ehrgeiz erst Recht geweckt. Leider hat in den Augen der meisten Ägypter eine Frau nichts in so einer „gefährlichen“ Umgebung zu suchen, doch ich beschloss mich nicht so leicht abschütteln zu lassen. Als der Polizist am Eingang auch noch meinte, dass nur einer hineingehen dürfte, mich gleichzeitig mit einem „was-willst-du-denn-hier-Blick“ bedachte und mein Onkel ganz selbstverständlich den Eingang passierte, gab ich mich kurzentschlossen als seine Frau aus und spazierte hochmütig hinein. Etwas mulmig war mir schon, als ich die knarzenden Treppen hochlief und den heruntergekommenen Flur entlangging, der wie eine Allee gesäumt war mit großen, schwarzen Türen. Endlich betraten wir den Raum, in dem mein Cousin, zwei Polizisten und fünf junge Männer saßen, die allesamt aussahen als hätten sie etwas ausgefressen. Fragende Blicke durchbohrten mich, doch ich sah ich mich ungeniert im Raum um. Mein Blick fiel auf eine gusseiserne, schwarze Tür, die mit einem Gitterfenster überraschend „gefängnismäßig“ aussah. Während die Polizisten ihren Tee schlürften, erklärte mir mein Cousin, dass sich hinter der schwarzen Tür der Toktok-Fahrer befand, der nach seiner übereilten Flucht doch noch gefasst wurde. Er trug weder Personalausweis noch Fahrzeugpapiere mit sich und würde wohl die Nacht in dem – Zitat: „voller Kakerlaken und Urin verschmutzten Loch“ - verbringen, bis jemand von seinen Verwandten ihn abholen würde. Mir lief es kalt den Rücken hinunter und in mir rebellierten Worte wie „Menschenwürde“ und Devisen, wie: „man kann doch über alles reden!“. Während ich mich in meinem inneren Konflikt befand, starrten die fünf Männer auf meine pinkfarbenen Strass-Sandalen, die zugegeben in einem extremen Widerspruch standen zu dem Ort, an dem ich mittlerweile befand. Da hätten von einem Kampfhund zerkaute Flipflops definitiv besser gepasst. Auf einmal brach Unruhe aus, und ich würde in meinen abschweifenden Schuhgedanken gestört. Der Tee wurde hinter einer Zeitung versteckt, die fünf zweifelhaft aussehenden Männer zupften ihre Kleidung zu recht und mein Blick richtete sich gespannt auf die Tür: Ein schneidiger, graumelierter Offizier mittleren Alters betrat den Raum, fragte nach der vorgefertigten Anzeige, alberte ein wenig herum, unterzeichnete unglaublich kunstvoll die Anzeige und verschwand so schnell wie er gekommen war.
Als wir hinausgingen und die Sonne mittlerweile unbarmherzig auf uns niederbrannte, meinte mein Onkel zu mir: „Am Eingang hat jemand zu dem Offizier gesagt, dass eine Deutsche in der Polizeistation ist, nur deswegen ging die Sache so schnell. Sonst hätten sie uns noch den ganzen Tag warten lassen. So sind die Polizisten: falsch und heuchlerisch!“ Ich wusste nicht, ob ich diese Aussage dem allgemeinen postrevolutionären Hass auf Polizisten zuschreiben war, oder ob es tatsächlich stimmte, aber ich wusste, dass wir von Werten wie Menschwürde und einem funktionierendem Rechtssystem in Ägypten noch weit entfernt waren. Letztendlich kam der Toktok-Fahrer ungeschoren davon und mein Cousin blieb auf den Kosten sitzen. Aber mein Fest ließ ich mir dadurch nicht vermiesen!
Wenn auch verspätet, wünsche ich euch ein gesegnetes Fes aus dem postrevolutionären Ägypten!