Review:
Winterschlaf (Kis uykusu)
Türkei, Frankreich, BRD. 2014. Regie: Nuri Bilge Ceylan. Buch: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Anton Chekhov (Vorlage). Mit: Haluk Bilginer, Demet Akbag, Melisa Sozen, Nadir Saribacak, Nejat Isler, Tamer Levent, Mehmet Ali Nuroglu, Rabia Özel, Ekrem Ilhan u.a. Länge: 196 Minuten. FSK: noch nicht bekannt. Ab 11. Dezember 2014 im Kino.
Story:
Aydin (Haluk Bilginer), ein ehemaliger Schauspieler, leitet gemeinsam mit seiner deutlich jüngeren Ehefrau Nihal (Melisa Sozen) und seiner Schwester Necla (Demet Akbag) ein kleines Hotel in Zentralanatolien. Aufgrund seines Vermögens gilt Aydin in der Bergregion als einflussreicher Mann. Dieser unbequemen Verantwortung entzieht er sich allerdings, indem er zurückgezogen an einem Buch über das türkische Theater arbeitet. Zudem ist die Beziehung zwischen Aydin und Nihal problematisch, was nicht zuletzt an seinem eigenwilligen, egoistischen Charakter liegt. Die lethargische Necla leidet unter ihrer frischen Scheidung. Als der Winter hereinbricht, und der erste Schnee zu fallen beginnt, bietet ihnen das Hotel eine willkommene Zuflucht. Es ist jedoch ebenso ein Ort, dessen räumliche Enge zwangsläufig Zündstoff für die sowieso angespannten, von Machtspielen gekennzeichneten Beziehungen der drei Menschen untereinander bietet.
Meinung:
In jenen anatolischen grotesk-schönen Gebirgen, die wir schon als phantastische Welten aus z.B. 'EINER GEGEN DAS IMPERIUM' kannten, kraucht sich anhand dieses Filmes von Nuri Bilge Ceylan eine weit realere Gemeinschaft an Menschen zusammen, die mit der allmählichen Ankunft des Winters von der Hülle der Zivilisation und dem Verständnis blank und kalt enttäuscht werden. Die Vorzeichen dafür sind aber schon länger präsent, tauchen zwar meist nur in Donner-artigen Ausbrüchen rauf, hinterlassen aber auf ewig zerbrochene Scheiben und blutige Knöchel, für die sich der wohlhabende Vermieter und Hotelbesitzer Aydin (Haluk Bilginer) zwar am Liebsten nicht ganz verantwortlich sehen möchte, aber trotz bescheidenem Nicht-Aufregens mehr beiträgt als er denkt. Denn eigentlich könnte man 'WINTERSCHLAF' auch 'AYDIN KANN'S NICHT LASSEN' nennen, so wie er sich mit seinem akademischen Gestus des denkenden Mannes in Diskussionen involviert, für die er schlichtweg immer eine Meinung, aber nicht unbedingt die Perspektiven des Gesamtkomplex inne hat.
Die rabita Methode aus dem Winterschlaf zu erwachen
Den Fehler können wir ja alle mal ausreizen, doch in seinem Fall kommt noch erschwerend hinzu, dass er mit zweierlei Maß misst und schlichtweg jede Seite, nur nicht seine eigene, kritisieren kann. Das beweist der Film sodann in seinen zahlreichen, kurzweilig-aufgelösten, doch KOMPLETTEN Konversationen, die in der gemütlichen Einöde zwischen Ofen, Holzbau und Laptop abgehalten werden. Wie bei normalen Gesprächen driftet man als Zuhörer dann auch mal gerne ab, da bietet Regisseur Ceylan mit seinem behutsamen Aufbau immer eine heimelige Vertrautheit, die vom gemeinsamen Miteinander der Familien-Charaktere und der visuellen Stringenz auf limitierte Einstellungen noch unterstrichen wird - aber wenn sich da ein Streit entwickelt, dann aber auch ein richtiger und dann ist man auch ganz Ohr. Wie dann nämlich die Ideale des Gegenüber (in diesem Fall Aydins Schwester Necla und seine junge Ehefrau Nihal) mit fehlender Einsicht auseinander genommen und alle dazugehörigen Faktoren verurteilt werden, ist keine Glanzleistung von Aydin, der immer das letzte Wort haben muss und sich unweigerlich immer tiefer in ein antagonistisches Loch gräbt.Anatolien in seiner ganzen Schön- und Rauheit
Er merkt nämlich schlicht nicht, dass z.B. Neclas Ansicht des Sich-Nicht-Gegen-Das-Böse-Wehren, bei dem der Täter im Nachhinein ein geplagteres Gewissen haben dürfte, auch an ihm angewandt wird - sei es nun, ob er anfangs nur die Sinnhaftigkeit seines Blogs verteidigt, seiner Schwester frustriert von ihrer Handlungsunfähigkeit überzeugen will oder sich bei seiner Frau besserwisserisch in ihre karitativen Unternehmungen einmischt. Klar kann man letztgenannten eine gewisse Naivität nicht absprechen und nicht jede Meinung und Handlung der Frauen kann hier bedenkenlos abgestempelt werden (da fehlt es dem Film auch bewusst an dramaturgischer Berechenbarkeit), doch so wie Aydin diese Sachen nicht stehen lassen will, auch weil er sich als gebildeter Mensch bewähren muss und alle Anderen unweigerlich demütigt, macht es ihn immer mehr zu einem umherschleichend-invadierenden Tyrannen des Gut-Meinenden. Da läuft's einem eiskalt den Rücken runter, trotz Heizung, auch weil man bei 196 Minuten Laufzeit nicht so schnell davonkommt. Dabei verbleibt Ceylan aber auch nicht immer allzu lange in einem festen Szenario, löst den Narrativ ab und zu wieder mal in kurzen Zwischenschnitten auf, die wiederum beweisen, dass Aydin wirklich nur wenig Ahnung von seiner Umwelt hat, speziell was die Tiere angeht. Dass die wilden Pferde von ihm genauso klobig in den Stall versetzt werden, wie er es mit seinen Frauen macht, erklärt dann auch, warum er sich zusehends vor beiden Gruppen fürchtet, entweder vorsichtig durch die Nacht stakst oder bemüht seinen Grund und Boden behauptet. Sein Standpunkt bleibt oberflächlich auf jeden Fall eisern, doch im tiefen Schnee bleibt er dann auch seinen geplanten Entschlüssen fern und versucht eine Bestätigung mit alten Freunden, während Nihal die Wiedergutmachung mit den von ihn Verletzten ausüben will, was natürlich nicht gelingen kann.Letztendlich werden sich doch beide klar über ihren inneren Status, auch zueinander. Ob die Einigung ausgesprochen wird, scheint nicht absehbar, die Aufteilung wird schlicht optisch unüberwindbar und mündet in einen ewigen weißen Schlusspunkt ein, der die Zelle der Ehe zwar noch mit ursprünglicher Seelenverwandtschaft, aber auch generationsübergreifender Verzweiflung gründet. Wo geht man ab hier weiter, lässt man dem Gegenüber seinen Raum oder verschließt sich jeder dem anderen? Menschlich lässt sich an diesem Film nun mal so einiges ergründen, von Kopf bis Fuß, von den sich-langsam-entwickelten Gesprächen bis hin zur natürlichen Einzwängung und Konfrontation verbissen-selbstverständlicher Mentalitäten. Muss man erlebt haben!
8 von 10 Kolumnen
vom Witte