Fakten:
Spanien, Mexiko. 1961. Regie: Luis Buñuel. Buch: Benito Pérez Galdós, Luis Buñuel. Mit: Silvia Pinal, Francisco Rabal, Fernando Rey, José Calvo, Victoria Zinny, Margarita Lozano, José Manuel Martin, Teresita Rabal, Lola Gaos u.a. Länge: 90 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:
Die junge Viridiana soll bald in einen Orden aufgenommen werden, um dort als Nonne zu leben und zu arbeiten. Doch bevor es soweit ist, wird sie dazu gedrängt Don Jaime, ihren Onkel, der ein vermögender Gutsbesitzer ist, zu besuchen. Don Jaime sieht in der jungen Frau das Abbild seiner vor vielen Jahren verstorbenen Gattin. Er versucht Viridiana an sich zu binden, doch diese weigert sich. Das kann und will ihr Onkel aber nicht hinnehmen.
Meinung:
Blasphemie wollten sie in Luis Buñuels „Viridiana“ erkennen, die puristischen Sittenwächter und die sturen Verfechter von christlichen Idealen. Es ist nun kein Geheimnis, dass Buñuel, der sich mit charakteristischen Augenzwinkern zum katholischen Atheisten erklärt hat, einer größten Kritiker am Christentum war. Denn obgleich sein Hang zum Surrealen einen festen Referenzpunkt in seinem Œuvre darstellt, war Buñuel immer ein kritischer Beobachter – natürlich mit Vorliebe auf die Gepflogenheiten der Bourgeoisie gerichtet – der dank präziser Finesse die Missstände innerhalb der Gesellschaft dechiffrierte und sie in einem unnachahmlichen Stilbewusstsein bettete: Ein intelligenter, treffsicherer Virtuose; ein künstlerischer Silbernacken mit Substanz und immer ernstzunehmenden Anliegen.
Viridiana sieht das Unheil nicht kommen
Warum „Viridiana“ nun der Gotteslästerung bezichtigt wurde, liegt auf der Hand, offenbart Buñuel doch in kompromissloser Unmittelbarkeit, dass sich die an christliche Grundsätze gebundenen Prinzipien nicht mit dem Lauf der Dinge, dem in Abtrünnigkeit und Perversionen treibendem Zustand unserer Realität, verknüpfen können. Eine, ohne Frage, gut gemeinte Absicht, weist hier nicht die erhoffte Analogie aus sakralen Vorschriften und reellen Tatsachen vor, sondern scheitert gnadenlos an der weltfremd anmutenden Selbstlosigkeit Viridianas. Buñuel agiert nicht ohne Polemik; sein Film polarisiert und führt gewiss zu kontroversen Debatten, echauffiert den Vatikan und zieht sämtliche Verbote nach sich. Allerdings ist Buñuels Provokation nicht das Resultat einer von Zorn belebten Desillusion aus vergangenen Tagen, die nun als auf Zelluloid gebanntes Ablassventil funktionieren soll. „Virdiana“ ist und bleibt hintersinnig und konkret, einfach weil der Film von der ersten Silbe an die Wahrheit spricht.
Männer haben ein Recht auf schöne Schuhe
Virdianas durch einen familiären Todesfall entflammte Nächstenliebe lenkt sie nicht in den Schoß ihrer geistigen Attribute. Viridiana wird kein Respekt gezollt, weil sie die Obdachlosen, Streunern und Bettlern Obhut im Anwesen ihres verstorbenen Onkels gewährleistet, sie wird belächelt für ihre Naivität und letztlich sogar aufgrund ihres geblendeten Idealismus beinahe vergewaltigt. Die soziale/gesellschaftliche Unmoral nimmt keine Rücksicht auf ihre durch die strenggläubige Verwurzelung entfalteten Handlungen. Es kommt genau zu dem Desaster, wie es vorbestimmt war, wie es für den Zuschauer absehbar war, wie es unumgänglicher Teil der triebhaften Bosheit der Natur des Menschen ist. Nur Novizin Virdiana in ihrer Blauäugigkeit sieht das Unheil nicht kommen – Mitleid fällt da schwer. Buñuel treibt seine thematische dennoch Zugkraft auf die Spitze, ohne den obligatorischen Schritt zu gehen.
Mit der versiert eingebauten und mannigfach interpretierbaren Symbolik wie dem sexuellen Subtext, heftet Buñuel immer wieder signifikante Eckpfeiler an das fokussierte Geschehen. Mal als Randnotiz, mal als nackter Denkanstoß, aber nie als plakativer Flickenteppich, der das auszubessern versucht, was die informale Ebene nicht hergeben wollte. „Viridiana“ ist so aktuell wie punktgenau; und es schreit natürlich nach Realsatire, dass der Film im christlichen System dank unbeschränkter Blindheit und traditionellem (Irr-)-Glauben verdammt wird, während er bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme verdient gen Himmel recken durfte. Ein Bildnis, welches sich geradewegs aus den filmischen Umständen gefiltert haben könnte und mehr als nur einen bemerkenswerten Fingerzeig bedeutet.
8 von 10 brennenden Dornenkränzen
von souli