Review: VERHÄNGNIS – Wenn der Schwiegervater in spe mit der Schwiegertochter in spe...

Erstellt am 7. März 2014 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln


Fakten:
Verhängnis (Damage)
Frankreich, UK. 1992. Regie: Louis Malle, Buch: David Hare, Josephine Hart (Vorlage). Mit: Jeremy Irons, Juliette Binoche, Miranda Richardson, Rupert Graves, Peter Stormare, Gemma Clarke, Leslie Caron, Ian Bannen, Ray Gravell u.a. Länge: 107 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Eigentlich ist Stephen Arzt, machte doch auf Drängen seiner Familie Karriere in der Politik und arbeitet nun als Staatssekretär. Alles läuft perfekt, bis er sich in Anna, die Freundin seines Sohnes verliebt und mit ihr eine leidenschaftliche Affäre beginnt.


Meinung:
So sehr sich die Hypokriten des gutsituierte Bürgertums auch gegenseitig dazu zwingen mögen, Etikette zu bewahren: Das Affektive, das Animalische, den inneren Drang, tiefe Bedürfnisse zu befriedigen, kann keine soziale Klasse des Gesellschaft aus dem Menschen verbannen. Und jenes Verhalten, welches sich dann im Falle eines Falles von Außenstehenden noch als „charakterliche Schwäche“ auslegen lassen muss, ist in Wahrheit doch nur das greifbare Dokument der Menschlichkeit und schaufelt im Umkehrschluss genau die nötige Erkenntnis frei, dass die krampfhafte Verleugnung des eigenen Verlangens innerhalb bigotter Dunstkreise doch das eigentliche Armutszeugnis im Umgang mit sich und seiner Umgebung darstellt. „Verhängnis“ von Urgestein Louis Malle - basierend auf dem gleichnamigen Roman von Josephine Hart -, thematisiert genau diesen Ausbruch aus festgefahrenen Mustern und puritanischen Ansprüchen, doch stellt die Folge des Triebhaften, des Unvermeidbaren unentwegt in Relation mit den pathologischen Ausmaßen der fokussierten Interdependenz.

Stephen und Anna sind kurz davor alles aufs Spiel zu setzen

Stephen Fleming (Jeremy Irons) ist eine dieser eigentlich namenlosen Schachfiguren innerhalb des sterilen Kosmos der Oberschicht und führt ein Leben ohne Überraschungen, ohne Risiken, bis ihm sein Ältester (Rupert Graves) seine neue Freundin Anna (Juliette Binoche) vorstellt, dessen geheimnisvoller Aura der Staatssekretär postwendend verfällt. Beide finden sich kurze Zeit später in Annas Wohnung wieder, ihr erstes Treffen erfolgt wortlos, der Sex hingegen ist inbrünstig, ungestüm: Die Kaskade des Verfalls wird ausgelöst und aus einer rein auf ihre Körperlichkeit reduzierten Verhältnis, entspringt ein amoralisches Kaleidoskop der psychischen Abhängigkeit. „Verhängnis“ zeigt auf, wie schnell sich zwei Personen verfallen können und offeriert gleichwohl die destruktiven Auswirkung im innerfamiliären Geflecht der obsessiven Liaison. „Wer bist du?“, fragt Stephen Anna wiederholt bei ihrer zweiten Zusammenkunft, während er sich machtlos seiner Gier, seiner Sucht geschlagen geben muss und Anna die Kleider vom Leibe zu reißen versucht. Eine Frage, die bereits in der frühen Phase ihrer Affäre schon nichts mehr zur Sache tut. Viel signifikanter ist, was Stephen Anna gegenseitig aus sich machen werden, wohin sie sich gegenseitig hetzen werden.


Die Katastrophe bahnt sich an, Piano und Geige legen sich abermals bedrohlich über das Szenario und der distanzierte Blick des Drehbuchs erinnert in seiner Nüchternheit nicht umsonst an das Kino eines gewissen Michael Hanekes („Die Klavierspielerin“). Auch wenn „Verhängnis“, um dem Vergleich nun wirklich standhalten zu können, doch der letzte Funke analytischer Dichte fehlt, ist die gesunde, frei von Moralisierung gehaltene Ansicht der Geschehnisse die einzig richtige. Die Flucht vor den unbeweglichen Konventionen führt zur abgründigen Selbstaufgabe und entfesselt einen Strudel, der alle sich im näheren Radius befindenden Personen mit in die Tiefe reißt: Der Einsturz der Fassaden hat nicht zur obligaten Befreiung geführt; was bleibt ist hingegen die Leere, die Schuld verantwortlich für ein privates Desaster zu sein, die Trauer und die Erinnerungen an eine Zeit, in der man endlich wieder etwas fühlen dürfen, egal was es gekostet hat, ohne dieses Gefühl verstehen zu müssen, geschweige denn verstehen zu können. Der Verlust des Lebendigkeit kehrt zurück, der Punkt, an dem die Zeiger wieder auf Null gestellt werden und wir erneut dazu verdammt sind, lernen zu müssen, mit uns zu leben. Irgendwie. Immer wieder. Immer wieder. Immer wieder...
7,5 von 10überdimensionalen Porträts
von souli