Review: THE WITCH – Das Grauen in den Wäldern oder doch nur pure Einbildungskraft?

Erstellt am 19. April 2016 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

Fakten:
The WitchCA/US, 2015. Regie & Buch: Robert Eggers. Mit: Ralph Ineson, Kate Dickie, Anya Taylor-Joy, Julian Richings, Bathsheba Garnett, Harvey Scrimshaw, Lucas Dawson, Ellie Grainger. Länge: 88 Minuten. FSK: Ungeprüft. Ab 19. Mai 2016 im Kino.
Story:In New England um 1630 wird eine streng gläubige Familie von ihrer Gemeinde verstoßen. Am Rande eines Waldstücks wollen sie mit der Unterstützung Gottes ein neues Leben auf einer Farm beginnen. Als die älteste Tochter eines Tages mit dem Neugeborenen spielt, ist das Baby von einem Moment auf den anderen im Wald verschwunden. Der Familienvater glaubt daran, dass ein Wolf Schuld ist, doch insgeheim macht sich die schleichende Angst breit, dass eine Hexe in den Wäldern haust, die es auf die Familie abgesehen hat.

Meinung:"Nature is Satan´s Church", äußert die Frau in "Antichrist", bevor sich Lars von Triers Meisterwerk langsam zu einer ungemein verstörenden, sehr brutalen und nachhaltig bewegenden Orgie von Abscheulichkeiten hochschaukelt, in der die Verarbeitung von Trauer, Verlust und Schuld aus unterschiedlicher Geschlechtersicht aufeinanderprallt. Das zentrale Motiv der Natur als Kirche Satans könnte auch eine bedeutende Inspiration für Robert Eggers "The Witch" gewesen sein.

Sie ahnt das Unheil bereits...

Kaum zu glauben, dass man es hier mit einem Langfilmdebütanten zu tun hat. "The Witch" ist unglaublich stilbewusstes, selbstsicheres Horror-Kino der Superlativen, das wirkt, als wäre ein langjähriger Meister am Werk gewesen, der sich vorab bereits an mehreren Filmen dieser Art ausprobiert hat, um nun auf dem Zenit seiner Fertigkeiten anzukommen. Der Regisseur hat sich für dieses Werk tief in die Materie eingegraben, die altenglischen Dialoge aus der Geschichte, welche im 16. Jahrhundert in Neuengland angesiedelt ist, entstammen direkt von originalen Schriftstücken, überlieferten Sagen, Märchen und Tagebucheinträgen dieser Zeitepoche. Eggers erzählt von einer streng gläubigen Familie, die von ihrer Gemeinde aus dem Dorf vertrieben wird und in der Nähe eines Waldstücks mit der Unterstützung Gottes ein neues Leben auf einer kleinen Farm beginnen will. Als das jüngste Kind eines Tages spurlos verschwindet, ist die Familie hin- und hergerissen zwischen dem, was sie glauben, was sie meinen, zu wissen und was sie in ihren schlimmsten Albträumen fürchten.

Jedes Bild gleicht einem Gemälde

In "The Witch" ist die Atmosphäre bereits ab der ersten Minute zum Schneiden dicht. Mithilfe der düsteren, unheilvollen Cinematographie, bei der Eggers den sprichwörtlichen Teufel in jedem einzelnen Detail versteckt, und des grandiosen Scores von Mark Korven, der mit seinen schrillen Geigen und schrägen Kompositionen zu Beginn beinahe wie eine Parodie wirkt, später aber zu ungeahnten Momenten puren Grauens überleitet, entfesselt der Regisseur ein intensives, unbehagliches Schauermärchen. Auch wenn der Bedrohung recht früh ein klares Gesicht verliehen wird, appelliert Eggers immer wieder an die Kraft der Suggestion, was seinem Film einen zwiespältigen, interpretierfreudigen Anstrich verleiht, bei dem nicht immer eindeutig ersichtlich ist, ob die titelgebende Hexe real existiert oder nur eine Manifestation darstellt, die aus den immer stärker werdenden Konflikten innerhalb der Familie heraufbeschworen wurde, welche in ihrem unerschütterlichen, an religiösen Fanatismus grenzenden Glauben auf die Probe gestellt wird. Der Regisseur nutzt die bedrohliche Kulisse des Waldstücks, symbolträchtige Einstellungen sowie unheilvolle Ankündigungen in Gestalt von Tieren, um einen Keil zwischen die Familie zu treiben.
"The Witch" sympathisiert mit seinen Figuren, zeigt aber auch auf erschreckende Weise, was es bedeutet, wenn Menschen ihrem religiösen Glauben blind verfallen. Im Kern ist der Film weniger klassischer Horrorfilm, denn auf übermäßig blutige Eskalationen oder schlichte Jump-Scares verzichtet Eggers beinahe vollständig, als viel mehr ein bedrückendes Psychodrama, das auf ebenso langsame wie unangenehme Weise unter die (Netz-)Haut des Betrachters eindringt und stellenweise Impressionen erzeugt, die zu den verstörendsten der letzten Zeit zählen dürften. Am Ende offenbart "The Witch" aber auch eine faszinierende Lesart, bei der sich der direkte und indirekte Terror durch eine potentielle Hexe als mögliche Alternative entpuppt, bei dem sich die älteste Tochter der Familie, welche selbst als Ziel der Hexenbeschuldigungen herhalten muss, für einen Weg aus der religiösen Unterdrückung und in die freie Selbstbestimmung entscheiden kann. "The Witch" zeigt sich somit als inhaltlich überaus reichhaltiges Werk, funktioniert aber auch als geradlinige Schauergeschichte, sozusagen eine verrohte Variante der Gebrüder Grimm, in der Regie-Neuling Robert Eggers durch kraftvolle Impressionen, wunderbare Schauspieler und Momente puren Horrors jeden Ton trifft. Von diesem Mann ist zukünftig Großes zu erwarten.
8,5von 10 Häuschen mitten im Wald
von Pat