Fakten:
The Man who wasn’t there
USA. 2001. Regie und Buch: Joel und Ethan Coen. Mit: Billy Bob Thornton, Frances McDermand, James Gandolfini, Michael Badalucco, Jon Polito, Tony Shaloub, Scarlett Johansson, Christopher Kriesa, Alan Fudge, Jennifer Jason Leigh, Richard Jenkins, Christopher McDonald, Jack McGee u.a. Länge: 116 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Der schweigsame Barbier Ed Crane hadert mit der Monotonie seines Lebens. Als ein Kunde ihm anbietet, mit 10.000 Dollar Geschäftspartner seines florierenden Unternehmens zu werden, wittert Ed eine Chance, sein Leben zu ändern. Er will das Geld von Kaufhausbesitzer Big Dave erpressen, der mit Eds Frau ein Verhältnis hat. Doch Big Dave bekommt heraus, wer der anonyme Erpresser ist.
Meinung:
Schicksal und Zufall liegen immer ganz nah beieinander im Werk der Coen-Brüder. Meist scheint es so, als ob ihre Charaktere keinerlei Kontrolle darüber haben, was ihnen zuteil wird, doch im Grunde sind alle irgendwie schuldig, auch wenn sie es selber nicht so empfinden, u.U. sogar im Recht liegen - aber Karma oder was auch immer schlägt ohne Rücksicht ganz nach eigenem Ermessen zurück, bei den unvorteilhaftesten Momenten; unvermittelt, kryptisch, anarchisch und doch zielgerichtet mehr oder weniger gegen/für das Individuum. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob Joel & Ethan sich mit ihren Charakteren identifizieren oder mit der oberen, göttlichen Gestaltungshand - eine existenzialistische Gaudi kommt aber so oder so immer gut zusammen.
Mr. Crane und seine Kunden
So verhält es sich auch für den MAN WHO WASN'T THERE (Billy Bob Thornton), einem schwierig zu entziffernden Barbier. Er teilt durchweg auf noirigem Wege seine Gedanken mit uns, raucht eine nach der anderen weg, strahlt eine objektive Unbeeindrucktheit aus, scheint anfangs ein berechnender Zeitgenosse zu sein, ganz dem Schwarz-Weiß-1940er Zeitkolorit entsprungen - und doch hat er ganz bewusst nicht den blassesten Schimmer, lässt sich leichtgläubig auf dubiose Geschäfte ein und sorgt nicht nur für den persönlichen, sondern auch den Zerfall alle seiner Bekannten, auch wenn er es ab und an wirklich gut meint; sogleich über Leichen geht, aber dennoch geständig sein will (was ihm aber immerzu verwehrt bleibt). Die innere Verlorenheit macht sich bei ihm in jenen Lebensmomenten bemerkbar, jedoch keine Nervosität - denn sein Verständnis dafür, was ihm widerfährt, ist nicht bereit, lässt alles über sich ergehen. Und das ihm umgebende Universum ist auch nicht bereit, den Plan für seine Person mit ihm zu teilen. Nichts ist nun mal mehr sicher in dieser Welt, alles ist irgendwie geregelt, aber unterschwellig brodelt es unentwegt: kalter Krieg, Affären, Betrügereien, plakativer Enthusiasmus, angebliche UFOs und Verschleierungen/Verzerrungen der Wahrheit. Er findet auch folgerichtig keinen Halt, keinen festen Sinn fürs Dasein ("This hair...it just keeps growing...") und wird daher, auch von sich selbst, unbarmherzig zum Geist deklariert, fernab einer biederen und einfältigen Gesellschaft.Immer im Hintergrund: der Mann, der nicht da war
Die einzige Heimat findet er bei abendlichen Klavierstunden der jungen Birdy Abundas (Scarlett Johansson), deren Vater er schon seit längerem kontinuierlich besucht. Bei ihr versucht er sodann auch, eine gewisse Aufgabe für sich zu finden, ihr Talent zu fördern, was ihr persönlich eigentlich völlig Schnurz ist, aber wofür er keine Kosten und Mühen scheut - sogar das einzige Mal im Film wirklich nervös erscheint, weil das vielleicht noch seine letzte Chance, auch auf Wiedergutmachung, ist. Was er und die Anderen nämlich nicht alles schon im Vornherein angestellt haben, um sich in diese nicht nur psychologisch missliche Lage zu bringen: für eine Investition in das Gebiet der Trockenreinigung erpresst er unter Pseudonym den Liebhaber seiner Ehefrau Doris (Frances McDormand), Big Dave Brewster (James Gandolfini), muss sich in der Verzweiflung der Beiden zig Verheimlichungen anhören, bevor er doch noch von Dave entlarvt wird und ihn im Kampfgemenge umbringt, woraufhin man aber seine Frau dafür anklagt, für die er schließlich doch noch ein entlastendes Geständnis ablegen will, das aber ebenso wenig überzeugend klingen würde wie ihr unausgereiftes Alibi.Jung und schwarzweiß: Scarlett Johansson
Staranwalt Freddy Riedenschneider (Tony Shalhoub) mag in dem Fall wirkend zwar nicht gerade der ehrenvollste Faktor sein, so zynisch und egozentrisch-kaltschnäuzig er nach Gegenargumenten der Anklage sucht, aber in seinem Ehrgeiz erkennt er doch noch als eine der wenigen Figuren im Film die ernüchternde Realität der Geschichte, auch wenn er sie als sensationalistisches Emotions-Werkzeug ausbeutet: es gibt immer Zweifel in der Evaluierung der Wahrheit und wenn diese nicht direkt objektiv (nicht subjektiv!) vorliegt, beweisbar ist, kann man schlichtweg kein Urteil fällen. Doch bevor hier ein Urteil gefällt werden kann, nimmt sich Doris schon aus dem Nichts das Leben. Ist diese Handlung ihrerseits irrational oder gerade die pure Rationalität? Schließlich ist sie im Gegensatz zu ihrem unentschlossenen Barbier diejenige, die Initiativen ergreift, Halsabschneider und Vertreter von ihrem Grundstück schmeißt und kein Blatt vor dem Mund nimmt, wenn ihr etwas nicht passt (siehe ihren verachtenden Suff bei der Redneck- Hochzeitsfeier und ihr Anschnauzen des weinenden Mädchens im Gefängnis). Natürlich hat sie ihre Geheimnisse und "Sünden", wie jeder Mensch, aber sie scheint ab- und aufgeklärter, kennt sich selbst und das System, in dem sie lebt und auch für sich manipuliert. Unser Barbier dagegen, dieser selbsternannte Geist, ist schlicht unsicher, ziellos, zwar von Grund auf methodisch, aber auch mechanisch, umso tollpatschiger. Eben der "moderne Mann", wie ihn Riedenschneider verteidigend (und wissend) darstellt, in einem Menschenpool, der von oben beherrscht wird und glaubt, er könne von alleine fließen.Er ist der tendenzielle Wandler zwischen den Welten, ein Systemfehler von zugleich offenbar überdurchschnittlichem Wissen/Selbstbewusstsein (alà Doris) und unbedachter Inkompetenz, der jede Situation gründlich erfassen, sogar voraussehen könnte, aber dennoch (im Nachhinein betrachtet) die falschen Entscheidungen trifft. Über allem steht trotzdem irgendwie noch immer das Unbekannte, die höhere Macht, die gegen ihn arbeitet, sich einmischt und jeden gemachten Schritt zunichte macht, mehr noch als der Barbier es von alleine könnte. Eine schwierige Sache, auch für den Zuschauer, da einen plausiblen Schluss zu ziehen, denn das System des Lebens lässt sich eben auch nicht so einfach entschlüsseln, antwortet letzten Endes immer plump mit dem Tod - da lässt der Film reichlich Zweifel, aber eben auch reichlich Denkwürdiges übrig; in einer durchweg eleganten, stimmungsvoll-enigmatischen Fassung, die zunächst Schwarzweißmalerei vermittelt, aber immerzu über den Kopf wirft. Die Coens können "Realität" nun mal nicht anders behandeln, dafür kann man dankbar sein.
8 von 10 Frisuren
vom Witte