Fakten:
Stalker (Сталкер)
Sowjetunion. 1979. Regie: Andrei Tarkowski. Buch: Arkadi Strugazki (Vorlage), Boris Strugazki (Vorlage). Mit: Alexander Kaidanowsi, Alissa Freindlich, Anatoli Solonizym, Natsha Abramowa, Nikolai Grinko u.a. Länge: 165 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:
Um der Tristesse der Stadt zu entfliehen, führt der Fremdenführer einen Professor und einen Autor in die „Zone“, einen unwirklichen Ort, in dem einst ein Meteorit eingeschlagen war. Dort, so sagt man, sollen Wünsche in Erfüllung gehen. Es beginnt eine existentielle Reise.
Meinung:
Da wo sich nebulöse Dunstschwaden aus den keuchenden Schlickgruben der grünbrauen Wiesen erheben, wo enthemmte Ranken aus dem sumpfigen Morast empor steigen und die vom Ölfilm verpesteten Wasserlachen über den Boden schleichen, da findet der Mensch die existenzielle Balance seiner selbst. Die tiefe Sehnsucht nach einem (Projektions-)Ort inmitten der Zone, in der sich alle Wünsche erfüllen dürfen, in der Träume ihrer erwartungsvollen Verwirklichung entgegentreten, ist eine mittels humaner Begierde erschaffene Illusion. Das Zimmer ist nicht die Lokalität, in der der Mensch auf seine formvollendete Glückseligkeit trifft, obgleich die mystische Atmosphäre die ehrfürchtige Stagnation bis ins Herz des Rezipienten spült. Der Mensch wird sich auf und nach seiner Reise durch die Natur, die sich ihren erstrangigen Platz in der von Raffgier gezeichneten Industrietobsucht zurückerkämpft hat, von Grund auf verändern. Der Mensch, ob nihilistisches Ungetüm oder wegweisender Samariter, wird am Mythos der Zone zerschellen, durch die von Schrecken und Zuversicht dirigierte Odyssee aber den innerseelischen Pfad zur introspektiven Selbsterkenntnis finden. Ohne Kummer, keine Zuversicht.
In der "Zone" verändern sich die Menschen
Dabei ist die Reise zurück zum meditativen Ursprung, die sowohl die Konflikte zwischen Mensch und Natur in postapokalyptischer Tristesse verdeutlicht, als auch die symbolische Reflexion über den postindustriellen Status des Seins, eine Expedition der fokussierten Grundelemente, dominiert vom stillstehenden, stürzenden und fließenden Wasser, die nicht nur die Charakteristik der Individuen repräsentiert, sondern auch den Schrei nach kollektiver Freiheit, nach einer lohnenswerte Perspektive disponiert. Erfüllung finden die drei Männer nicht durch die Kraft der Zone, sondern durch die eigenverantwortliche Entfaltung in der Konfrontation konträrer Ideologien, die nur durch ihre antithetische Paradigmen zur spirituellen Kohärenz führen. Und auch wenn der Weg, auf den „Stalker“ den Zuschauer weist, ein steiniger, diffiziler ist, der philosophische Diskurs mit dem menschlichen Geist, dem organisch-artifiziellen Derivat der Wahrnehmung des natürlichen Terrain, die sich bei der Ankunft im enigmatischen Zimmer von selbst revidiert, sind der Film natürlich ohne Frage wert.Dazu kommt die unumstößliche Tatsache, dass Andrei Tarkovsky genau das vollzogen hat, was einen Film zu meisterhafter, unnachahmlicher Kunst werden lässt: Er gewährt dem Zuschauer die autonome Freiheit, um auf Fragen zu antworten, die der Film bewusst offenlässt. Wer dieses Angebot der Eigeninitiative, gepaart mit Tarkovskys beeindruckendem Sinn für Ästhetik, heutzutage nicht mehr zu schätzen weiß, der ist dem Medium Film und seinen facettenreichen, perzeptiven Möglichkeiten genauso fremd, wie Tarkovsky der Anbiederung von konventionellen Sehgewohnheiten - Ob im narrativen oder visuellen Kontext. Wer die innere Revision der drei Protagonisten auf seinen persönlichen Stand bei der Konsumierung von „Stalker“ beziehen möchte, der kann es, genau wie im Film, so verlauten lassen, dass es nicht die oberflächlichen Bilder sind, nicht die eigentlichen Ziele, die die Menschen zum Nachdenken anregen, sondern das, was sie hintergründig verlauten wollen, all das, was sich zwischen zerrissenen Botschaften in dumpfen Gewässern, gefluteten Spiralgängen in kantigem Geröll und modernden Schlammschichten an den Stiefeln verbirgt. „Stalker“ und das subjektive Echo in der zivilistischen Ruine der dystopischen Gegenwart finden keinen gemeinsamen Nenner - Und das ist auch gut so.
8,5 von 10 schwarzen Hunden aus dem Nebel
von souli