Review: RUSSIAN ARK – Eine beeindruckende Zeitreise

Erstellt am 15. August 2015 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln

Fakten:
Russian Ark - Eine einzigartige Zeitreise durch die Eremitage (Russki Kowtscheg)
RUS, GER. 2002. Regie: Alexander Sokurov. Buch: Anatoli Nikiforow, Boris Chaimski, Swetlana Proskurina. Mit: Sergei Dreiden, Maria Kuznetsova, Leonid Mozgovy, Mikhail Piotrovsky u.a. Länge: 96 min. FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung. Auf DVD erhältlich.

Story:
Ein namenloser russischer Erzähler wandelt gemeinsam mit dem französischen Adligen Marquis de Custine durch den Winterpalast in St. Petersburg. Auf ihrem 35 Räume umfassenden Weg durchwandern sie 300 Jahre russische Geschichte und treffen auf die unterschiedlichsten Figuren der russischen Historie. Hauptsächlich als Beobachter unterwegs diskutieren und kommentieren die beiden Hauptcharaktere die verschiedenen Ereignisse und damit verbunden die russische Kultur.


Meinung:
Obwohl Russland nie zu den großen Nationen der Filmgeschichte zählte, so hat das Land mit seiner bewegten Vergangenheit doch den ein oder anderen Meister seines Faches hervorgebracht. Man denke an Sergei Eisenstein, der mit Filmen wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Streik“ zur damaligen Zeit revolutionäre und wegweisende Werke geschaffen hat. Obwohl er immer wieder gegen die Zensur der sowjetischen Regierung zu kämpfen hatte, gelang es ihm das Kino nachhaltig zu verändern. Oder an Andrei Tarkowski, der durch seine völlig eigene Bildsprache noch immer von vielen Fans des Kinos als einer der größten Regisseure aller Zeiten verehrt wird. Doch gerade dessen Auswanderung und der Zusammenbruch der Sowjetunion sorgten für einen Tiefpunkt der russischen Filmkultur und einer rasch fallenden Anzahl an eigenen Produktionen. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts schien sich das russische Kino wieder zu erholen und im Laufe der letzten Jahre lässt sich eine stark positive Tendenz erkennen. Ein Film, der sich mitverantwortlich für den Wiederaufstieg des modernen russischen Kinos zeigt, ist die russisch-deutsche Koproduktion „Russian Ark“, die 2002 vom Regisseur Aleksandr Sokurov gedreht wurde.

Stillgestanden für besten Filmgenuss

Schon ein Blick auf die Produktionsgeschichte macht deutlich, dass es sich bei „Russian Ark“ um einen höchst interessanten Film handelt. Mit nur einer einzigen, ca. 95-minütigen Einstellung gefilmt, führt der Film den Zuschauer durch die Räume und Hallen des Winterpalastes (ein beeindruckendes Gebäude des russischen Barocks), der heute in der Eremitage, einem der größten Kunstmuseen der Welt, steht. Es war das erste mal seit den Tagen Eisensteins, das eine Drehgenehmigung für den gewaltigen Gebäudekomplex erteilt wurde. Durch Umbauten und technische Beschränkungen war nur ein zweistündiges Zeitfenster für den Dreh offen, die Kamerafahrt, die über 30 Räume und mehr als zweitausend Schauspieler einfangen sollte, musste daher auf Anhieb gelingen. Obwohl nie an originalen Sets geprobt werden konnte, gelang es dem Team um den deutschen Kameramann Tilman Büttner diese gewaltige Herausforderung zu bewerkstelligen und damit einen Film zu schaffen, der schon allein von seinen Bildern her einzigartig ist. Trotz der enormen Schwierigkeiten bleibt die Kamera stets ruhig und dynamisch, scheint wie ein Pfad durch die Räume und Hallen zu fließen. Ungeachtet dieser Kontinuität verliert man sich als Zuschauer schnell in den beeindruckenden Bildern, obwohl alles logisch miteinander verknüpft ist fühlt sich der Film stellenweise traumähnlich und surreal an.

Schade, dass es (noch) keine Blu-ray vom Film gibt

Die Kamera bewegt sich aber nicht nur auf räumlicher Ebene durch die Eremitage, sondern springt gleichzeitig auch durch die Zeit. So spielen sich die Geschehnisse der unterschiedlichen Räume auch zu unterschiedlichen Zeiten ab, 300 Jahre russische Geschichte behandelt Sokurov damit und präsentiert dem Zuschauer gleichermaßen reale wie auch erfundene Figuren aus der Vergangenheit. Im Zentrum steht dabei ein namenloser Erzähler, aus dessen Perspektive die komplette Geschichte erzählt wird. In Kombination mit der subjektiven Kamera gelingt es dem Regisseur dadurch den Zuschauer in die Rolle des Erzählers und somit auch in den Mittelpunkt zu setzen. Obwohl der Film im direkten Sinne über keinen dramaturgischen Aufbau verfügt, ist er inhaltlich trotzdem alles andere als langweilig. Durch die unterschiedlichen Epochen entsteht Abwechslung und auch die Gespräche zwischen französischen Adligem und Erzähler lockern die Stimmung auf. So haben diese oftmals unterschiedliche Ansichten zu bestimmten Themen und diskutieren ihre Standpunkte auf amüsante Art und Weise aus. Durch den kompletten Verzicht auf einen Spannungsbogen bricht „Russian Ark“ mit den gängigen Sehgewohnheiten und erfordert deswegen zu Beginn auch etwas an Sitzfleisch. Wenn der Zugang jedoch gelingt, dann fällt es schwer sich der enormen Anziehungskraft der Bilder zu entziehen.

„Russian Ark“ ist gleichermaßen subjektives Erlebnis wie historisch fundierte Geschichtsstunde. Eine optisch beeindruckende Zeitreise durch die verschiedenen Epochen und somit auch ein filmisches Gefäß für russische Kunst und Geschichte. In erster Linie ist es die optische Komponente, die den Zuschauer abholt und mit außergewöhnlichen Bildern fesselt und beeindruckt. Doch auch inhaltlich kann der Film, trotz Verzicht auf eine klassische Handlung, überzeugen. Wer sich also für die technischen Aspekte eines Films begeistern und auf einen dramaturgischen Aufbau verzichten kann, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren

8 von 10 Führungen
von Vitellone