Review: ROMANZE IN MOLL - Die Unsterblichkeit der Gefühle im Notenblatt

Review: ROMANZE IN MOLL - Die Unsterblichkeit der Gefühle im Notenblatt
Fakten:
Romanze in Moll
Deutschland. 1942. Regie: Helmut Käutner. Buch: Willy Clever, Helmut Käutner. Mit: Marianne Hoppe, Ferdinand Marian, Paul Dahlke, Siegfried Breuer, Karl Platen, Anja Elkoff, Ethel Reschke, Eric Helgar u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:
Paris um die Jahrhundertwende: Ein kleiner spießiger Buchhalter versetzt die Habseligkeiten seiner aparten Frau Madeleine, die nach einem Selbstmordversuch im Sterben liegt. Mit dem Erlös will er ihr Leben retten. Dabei erweist sich ein vermeintlich wertloses Perlenketten-Imitat als kostbares Original aus der Goldschmiede des ersten Juweliers von Paris. Der Juwelier hat das teure Stück an den weltmännischen Komponisten Michael verkauft, aus dessen Sicht der Weg der Kette nun weiterverfolgt wird. Madeleines Lächeln hat den Komponisten zu einer “Romanze in Moll” inspiriert. Aus Liebe und Dankbarkeit schenkt er ihr die Kette. Zögernd erwidert Madeleine die Liebe des Komponisten und entflieht dadurch ihrem duldsamen bürgerlichen Leben. Weil sie ihren pflichtbewussten, soliden Ehemann trotzdem noch achtet, verschweigt sie ihm die Affäre und führt ein Doppelleben. Viktor Martin, der neue Vorgesetzte ihres Mannes, erkennt in Madeleine die Geliebte seines Freundes Michael und verliebt sich in sie. Rasend vor Leidenschaft nutzt Viktor seine Mitwisserschaft aus und erpresst Madeleine, sich ihm hinzugeben. Um die Ehre ihres Mannes zu schützen, nimmt Madeleine Gift, legt die Kette um und stirbt in Gedanken an ihren Geliebten Michael.

Meinung:
Ich kenne nur wenige Titel in der Filmwelt, die so allumfassend ihren gesamten Inhalt ins prägnante Licht rücken können. Alleine daraus kann man sich hier ja schon vorstellen: es wird romantisch und sicherlich tragisch. Aber weil's von Käutner ist, steckt die musikalische Deutung wohlweislich auch im Film selbst und in den Beziehungen seiner Charaktere, wie schon bei seiner vorherigen Regiearbeit 'WIR MACHEN MUSIK'. Deren Tragik eröffnet sich uns bereits in den ersten Minuten nach einem dahin wabernden, meisterhaften Schwenk über düstere Häuserdächer hinein in eine der wenigen, doch einvernehmenden Kulissen, wobei auch die Äußerlichkeiten zum Gesamtkomplex dazu gehören, wie sich später herausstellt. Denn in jenen Mauern wartet die tief schlafende Madeleine (Marianne Hoppe), welche sich mit Schlaftabletten scheinbar fatal ausgeknockt hat, während bereits die wehleidigsten, traurigsten Töne über die Tonspur gleiten - ihren Ursprung und ihre Bedeutung für unsere Sterbende werden wir noch früh genug erfahren. Ihr Mann (Paul Dahlke, bezeichnenderweise ohne Rollennamen) ist jedenfalls aufgebracht, kann sich diese Selbstmordaktion nicht erklären, es war doch immer alles in Ordnung. Er findet jedoch in ihren Besitztümern sodann eine teure Halskette vor und versucht zu ergründen, woher sie die hatte - die Eifersucht wird zunächst seine Begleiterin, da er in dem Zusammenhang oft zu hören kriegt: 'Man(n) ist galant und gibt Geschenke'.

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Stalking. Eine deutsche Erfindung aus dem Jahre 1942

Beim Juwelier dann erschließen sich die ersten Details jenes Umstandes in einer Rückblende, in welcher Madeleine vorm Schaufenster erstmals den Komponisten Michael (Ferdinand Marian) trifft, dem auf ihr scheues Lächeln basierend der Initiator für eine Melodie zur nächsten Komposition einfällt. So nahm die Sache ihren Anfang - den Rest der Geschichte aber erfahren wir von Michael selbst, der bei seinem Bruder unterkommt, da er einen Mann ermordet hat. Ein weiteres Mysterium, doch auch das läuft wie alles auf Madeleine zurück, weshalb wir daraufhin noch weiter zurückblicken. Seit jenem Treffen strebt er nämlich nach ihr, kauft die Perlenkette, welche sie so sehnsüchtig erblickte und schmeißt sich ganz gewitzt und charmant an sie ran, wie bereits Hans Söhnker in Käutners 'AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA!' und 'GROSSE FREIHEIT NR. 7' - Frechheit siegt auch hier. Erst widerwillig erscheint sie nach seinem gelungenen Schauspiel als mysteriöser Dieb der Kette (eine gewisse, hämische Anspielung auf Marians sonstiges Rollen-Schema) in seiner Behausung, wo er sich ihr gegenüber endlich als wohlhabender Komponist entpuppt. Sie tut zunächst so, als ob sie nur kurz bleiben könnte, doch offensichtlich gefällt ihr seine verschmitzte, 'galante' Art. Den feurigen Impuls gibt aber erst sein Klavierspiel der noch unfertigen Melodie, die beiderlei Schicksale verbindet, weshalb sie den entscheidenden Vorschlag macht, diese in Moll umzuschreiben, um so den Fluss der Melodie zu vollenden. Dadurch verwandelt sich die Romanze auch in einen zwiespältigen Abschied und Madeleine meint auch, dass sie nicht seine Geliebte sein kann, nimmer zurückkommen wird. Doch ihr Lächeln beweist sich erneut als bejahende Geste zu dieser neuen Beziehung.

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Willkommen im Club der Herren

Doch der Moll-Ton bleibt angeschlagen, denn sie kann sich nur im Geheimen mit ihm treffen, während ihr Mann scheinbar gar nichts von ihrer innerlichen Lage mitbekommt - er bezeichnet es später schlicht als 'Nervosität' - und nur über seine Erlebnisse als Buchhalter berichtet, anstatt ihr Zuneigung zu geben. Geschickter Weise taucht in seinen Auftritten dann auch kaum bis gar keine Musik auf. Sie lebt weiß Gott nicht schlecht in der großen Wohnung beider, doch wie bei ihrem kleinen Vogel im Käfig am offenen Fenster ist ihr Leben eine eindrückende Zelle, welche die wahre Freiheit von sich abgrenzt, da ringsherum stets ihr Mann verkehrt, u.a. bei der örtlichen Kneipe Karten spielt. Aus dem Grund lässt er sie meistens Dienstags allein und denkt sich nichts dabei - selbst als er auf Geschäftsreise geht, stellt er für sie lediglich in Aussicht, ein Buch zu lesen oder den Knopf an seiner Weste wieder anzunähen, denn mehr traut er dieser seiner treuen, natürlich-ergiebigen Ehefrau nicht zu. In jenen Momenten vollführt Käutner sodann pointierte Parallelschnitte, die deutlich aufzeigen, dass sie stattdessen nun wirklich nicht allein ist. Schließlich unterhält sie ihr Doppelleben als Muse und Geliebte Michaels, welches nach dem Glück strebt und dem auch zum Greifen nahe ist, aber wie die Romanze in Moll erstmal nicht erfüllt werden kann, wenn das überhaupt jemals gelingen sollte. Solange es aber währt, in jenen kurzen Zeiträumen, ist es auch gut. Eine Befreiung aus dem biederen Alltag war zwar zu jener Entstehungszeit des Films im dritten Reich durchaus die Aufgabe des allgemeinen Unterhaltungsfilms, hier aber steht wie so oft bei Käutner der Wunsch des individuellen Glücks fernab gängiger Familienvorstellungen und Gesellschaftskonventionen (u.a. vertreten durch die Meinung des Mannes, dass man betrügenden Frauen nie verzeihen dürfe) an vorderster, empathischer Stelle - was natürlich alles andere als gewöhnlich in der damaligen NS-Filmindustrie war.

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Ein echter Gentleman aus Deutschland

Eine Anspielung darauf findet sich sodann in einem Kurzauftritt Käutners, der als hochgeborener Dichter Inspirationen für eine Liebesgeschichte sammelt und auf Madeleines & Michaels Vorschläge, die sie natürlich insgeheim aus ihrer eigenen Liebschaft schildern, nur entgegnet, wie unrealistisch (sprich: offiziell nicht vertretbar) diese doch seien. Ernüchternder Weise holt die Realität bald auch Madeleine wieder ein, da sie von einem ebenfalls in sie verliebten Freund Michaels, Viktor (Siegfried Breuer), bedrängt und erpresst wird, als dieser der neue Bankdirektor und Chef ihres Ehemannes wird. Nun versucht sie gezwungenermaßen Zeit mit ihrem Mann zu verbringen, um die Stunden herumzukriegen und ihrem Verehrer aus dem Weg zu gehen - was aber auch allmählich ihre Seele erstickt. So hat sie keine andere Wahl, als sich ihrem Peiniger zu ergeben. Doch auch die Beziehung zu Michael rückt in eine psychologische Ferne, scheinbar ebenso von der ewig-währenden Entstehung der Romanze in Moll geleitet. Als ihr stets unwissender Mann sie zu einem Konzert von Michael einlädt, findet die Melodie aber dann doch ihre sehnsüchtige und pessimistische Erfüllung - da setzt sich der Ehemann neben sie, fragt mit verschränkten Armen und gelangweilten Blick 'Hab ich was versäumt?' und dann geschieht es: Die Kamera fokussiert sich auf ihr trübseliges Gesicht, bei dem sich dank der Premiere dieser Komposition, an welcher sie mitgewirkt / dieser Romanze, an welcher sie mitgeliebt hat, die einschlägigsten Bilder ihrer Liebe mit Michael, ihren Tiefpunkten mit Viktor und ihren Gleichgültigkeiten mit ihrem Mann als geisterhafte Rückblende (die dritte, erschütterndste im ganzen Film) abspielen, weshalb sie nur in Tränen ausbrechen kann - ihr folgenschwerer Entschluss wird eingeleitet, die Romanze verwandelt sich in einen Abschied.

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Von oben herab

Vorher teilt sie ihrem Michael noch die ganze Geschichte per Brief mit, weshalb es zu einem Duell zwischen ihn und Viktor kommt, wobei Michael wie erwartet 'gewinnt'. Seine Liebe hat er dennoch für immer verloren, möchte sich auch der Polizei stellen, sieht es jedoch als seine Pflicht an, vorher noch den Ehemann zu benachrichtigen, der nun die volle Wahrheit erfährt und sich noch immer nichts erklären kann. Stattdessen meint er nur 'Erledigt, erledigt, es tut nicht einmal mehr weh...' in einer Art abweisender Enttäuschung über die Handlungen seiner Frau, doch auch er bricht apathisch zusammen - die Gefühle und die Einsicht lassen sich letztendlich doch nicht verleugnen, denn auch der Vogel im Käfig verstirbt zuletzt. Schließlich erblicken wir auch zum letzten Mal Madeleine auf dem Totenbett - Michael überreicht ihr als letzte Geste die Perlenkette, Auslöser und durchgehendes Symbol ihrer Romanze, als dann Käutner seine letzte, erlösende Blende, von denen er im Film mehrere virtuose Varianten für narrative Übergänge, hier nun als Schlusspunkt seiner filmischen und emotionalen Komposition einsetzt. Das Liebesleiden endet in purer Tragik - sein Frauen-Melodram erweist sich aber insgesamt als ruhiges, süß-poetisches Plädoyer für das Verständnis nach der wahren Liebe anhand der offensichtlich-ergänzenden Harmonie, welche von Anfang an weiß, dass sie eigentlich zum Scheitern verurteilt ist, deshalb in Moll wirkt und dennoch in den ärgsten Stunden noch mit letzten Kräften die Hoffnung wünscht, bis es nicht mehr gelingen kann - quasi die bittere Antithese zum gutgelaunt-rebellischen 'WIR MACHEN MUSIK'.

Zu stark erwürgen sie nämlich die hart-kontrastreichen Räumlichkeiten, welche dem Film einen starken Kammerstück-Charakter verleihen und mit beengender Aussicht die Glückseligkeit versperren; mit jeder Perspektive aufspringen, die des Öfteren auch mit Spiegelbildern erschlossen werden - sowie der Ehemann, dem es trotz aller Leichtlebigkeit nicht gelingen mag, seine Madeleine wirklich verstehen zu wollen. Sein lockerer Umgang kommt bei ihr erst mit der wahren Liebe zum Vorschein und da öffnet sich 'ROMANZE IN MOLL' auch zeitweise einer Unbeschwertheit in Wort, Bild und innigen Blicken, dass man jene Töne für immer halten möchte. Doch die Gewissheit, dass das Notensystem jenen Ton nicht beibehalten kann, macht dem Moll in bitterer Konsequenz alle Ehre. Leider muss es so enden, doch solange die Hoffnung zumindest einmal auffällig nach oben ragt, zeigt sich schon ein Stück vom Himmel. Die Hoffnung darauf verleiht diesem Film sodann seine tragischste und auch erbauendste Kraft - eben vollends dem Titel entsprechend eine 'ROMANZE IN MOLL'.

8 von 10 bedeutsamen Halsketten

vom Witte

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