Fakten:RazorbackAUS, 1984. Regie: Russell Mulcahy. Buch: Everett De Roche, Peter Brennan (Vorlage). Mit: Gregory Harrison, Arkie Whiteley, Bill Kerr, Chris Haywood, David Argue, Judy Morris, John Howard, John Ewart, Don Smith u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:Die TV-Journalistin Beth Winters will in Australien über das Abschlachten von Kängurus berichten und verschwindet spurlos. Ihr Ehemann Carl reißt aus New York an, um ihr Schicksal aufzuklären. Die Spur führt natürlich zu den Wilderern, aber der alte Jäger Jake Cullen hat seine eigene Theorie: Vor zwei Jahren wurde er des Mordes an seinem Enkel angeklagt, aber nicht verurteilt. Laut ihm war ein gigantisches Wildschwein, ein Razorback, für dessen Tod verantwortlich. Seitdem jagt er die Bestie und nun scheint sie wieder aufgetaucht zu sein.
Meinung:Das Subgenre des Tierhorrors genießt allgemein nicht den besten Ruf, schon vor der billigen CGI-Welle von der Asylum-Trümmertruppe, obgleich einige der besten Genrefilme überhaupt ihnen zuzuordnen sind (z.B. „Die Vögel“, „Der Weiße Hai“ und im weitesten Sinne auch „Phase IV“). Neben den Perlen existiert einfach zu viel Schrott, es wird oft zu wenig Herzblut investiert oder erst gar nicht versucht, diesen oft simplen Prämissen irgendwas abzugewinnen, was sich vom Einheitsbrei abhebt. Viel mehr mag man auf den ersten Blick auch nicht von „Razorback“ erwarten. Ein gigantisches Wildschwein wütet im australischen Hinterland. Was soll man da schon groß draus machen?
Traumhafte Sonnenuntergänge wecken albtraumhafte Kreaturen.
Wer mit dieser (durchaus verständlichen) Einstellung an das Spielfilmdebüt von Russell Mulcahy („Highlander“) herangeht, dürfte schon nach dem Opener positiv überrascht werden. Bereits hier gelingt ihm eine beeindruckende Sequenz, wenn die untergehende Sonne das Szenario blutrot färbt. Ein alter Mann bringt seinen Enkel ins Bett, nur Sekunden später rast ein lediglich schemenhaft zu erkennender Koloss wie ein Berserker durch das Farmhaus, der verzweifelte Mann rennt schreiend und flehend durch die Nacht, während hinter ihm sein Leben praktisch niederbrennt. Wow, was ein Einstieg und „Razorback“ macht genau da weiter. Natürlich erzählt der Film oberflächlich eine ganz schlichte Geschichte, in deren Mittelpunkt ein monströses Wildschwein steht, das wie die wilde Wutz im Outback wütet. Doch wie das Ganze geschieht, sowohl erzählerisch und insbesondere inszenatorisch, ist weit ab vom gängigen Tierhorror-Rhythmus. Mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass „Razorback“ die Verfilmung einer Romanvorlage ist, was in diesem Sujet eher selten ist. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt deutlicher auf den Figuren, nicht unbedingt auf der Action, was nicht immer ein Vorteil ist, bezogen auf die Effektivität in 90 Minuten. Um dann auch gleich einen Kritikpunkte abzuhandeln: Manchmal wirkt die Story sprunghaft, das Handeln der Charaktere nicht immer schlüssig, was eventuell der komprimierten Form zu Grunde liegt. Dem Tempo und dem Fluss der Handlung steht das gelegentlich im Wege, narrativ holpert es schon, keine Frage.Nicht nur Schweinchen Babe kommt aus Australien...
Dem gegenüber stehen gleichzeitig auch daraus resultierende Vorzüge. Es wird zunächst der alte Jäger als vermeidlicher Protagonist eingeführt, kurz darauf die investigative Tierschützerin, die anschließend selbst auf die mutierten Hauer genommen wird. Erst jetzt kristallisiert sich deren Ehemann Carl als eigentlicher Held der Geschichte heraus, fast schon ein abgeschwächtes Schachspiel wie bei Hitchcocks „Psycho“, der seine Dame überraschend früh opferte. Das sind aber nur kleine Randnotizen, seine große Kraft entfesselt „Razorback“ ganz klar durch seine sagenhaften Bilder, seine gespenstische Atmosphäre, die das Outback als gottverlassenen Vorhof zu Hölle darstellen. Dies ist natürlich dem Auge von Regisseur Mulcahy zu verdanken (was er merkwürdigerweise in dieser Brillanz später nie mehr präsentierte), aber auch Skript-Autor Everett De Roche, einem großen Namen des australischen Genrefilms. Die Beiden verleihen der Schweinerei einen ungewöhnlich-surrealen Touch, der sich speziell in einer famosen Situation niederschlägt. Wenn Carl verlassen durch das bedrohlichen Nirgendwo taumelt, braucht der Killer-Keiler nur ganz kurz als Silhouette am dunklen Horizont dargestellt werden, um die Furcht, Hilflosigkeit und Verlorenheit darzustellen, begleitet von den Klängen der Natur, was schon an den Klassiker „Long Weekend“ erinnert, ebenfalls von De Roche geschrieben. Die grandiose Bildsprache und Stimmungsmache des Films ist hier auf einem Höhepunkt, wo andere Kollegen zwingend etwas Handfestes passieren lassen müssten, um das Publikum nicht zu verlieren.De facto muss der „Razorback“ gar nicht zu oft in Erscheinung treten, die Rolle der Bedrohung und Gefahr wird bewusst auf mehrere Schultern verteilt. Die schäbigen Hinterwäldler-Brüder als menschliche Antagonisten sind nicht minder brutal und skrupellos. Die Gewalt wird verlagert, das eigentliche Ungetüm kann sich etwas zurücknehmen und nur gezielt in Erscheinung treten, dafür dann mit einer Wucht, die ganze Häuser auseinanderreißt. Generell wird die Bestie in erprobter „Der Weiße Hai“-Tradition nie in seiner vollen Pracht abgebildet, mit den gleichen Vorteilen. Das macht die Auftritte nicht nur interessanter und reizvoller, es lässt die handgemachte Attrappe niemals albern oder billig erscheinen. Wie ein böser Geist der Wildnis, ein unbesiegbarer Dämon kommt der „Razorback“ zur Geltung. So effizient er dadurch verwendet wird, etwas mehr hätte nicht geschadet, auch da die menschlichen Bad Guys etwas zu überzogen dargestellt werden und sich letztlich nur als asoziale Feiglinge entpuppen. Gerade das Finale, egal wie toll es in Szenen gesetzt ist, könnte ausgiebiger sein. Als actionorientierter Beitrag ist „Razorback“ sicher nicht die alle erste Wahl, aber macht das locker durch seine verblüffende, sogar künstlerisch wertvolle Inszenierung wett. Gepaart mit einem gewissen B-Movie-, Genre- und Australienbonus – auch im Vergleich mit der direkten Konkurrenz – ist dieser Film zwar objektiv aufgrund des verschleppten Drives immer noch klar zu kritisieren, dennoch eine sehr interessante Variation des oft einfallslosen Subgenres. Kein sauspannender, aber ein enorm ästhetischer Film.
6,5 von 10 wütenden Borstentieren