Review: PAINLESS - DIE WAHRHEIT IST SCHMERZHAFT - Thriller muy bien

Erstellt am 22. Juli 2013 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln
                                                                                 
Fakten:
Painless - Die Wahrheit ist schmerzhaft (Insensibles)
ES, 2012. Regie: Juan Carlos Medina. Buch: Luiso Berdejo, Juan Carlos Medina. Mit: Àlex Brendemühl, Tómas Lemarquis, Derek De Lint, Ilias Stothart, Ramon Fontseré, Silvia Bel, Bea Segura, Juan Diego, Felix Gómez u.a. Länge: 102 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Ein Autounfall verändert das Leben von David tragisch. Seine hochschwangere Frau stirbt, sein Kind kann gerettet werden, er selbst erleidet schwere Verletzungen. Bei den Untersuchungen wird festgestellt, dass er an Krebs leidet. Nur eine Knochenmarkspende kann ihn retten. Als er seine Eltern um Hilfe bittet müssen die ihm gestehen, dass er nicht ihr leiblicher Sohn ist. David macht sich auf die Suche nach seinen biologischen Eltern. Dabei stößt er auf ein unfassbares Geheimnis, dessen Wurzeln in einem Sanatorium liegen, in dem während des Franco-Regimes Kinder zu Versuchszwecken weggesperrt wurden, die keine Schmerzen empfinden konnten.

Meinung:
"Papa hat uns doch immer gesagt, dass wir nicht mit Feuer spielen dürfen, weil Feuer weh tut."
Schon seit Jahren kommen die wirklich guten, kreativen Thriller nicht unbedingt aus Hollywood. Während die Traumfabrik im Remake-, Reboot-, und Sequeltiefschlaf vor sich hin wurschtelt, liefern die Asiaten und Europäer (leider selten wir) unglaublich stark ab. Speziell die Spanier dürfen sich inzwischen zu den absoluten Fachleuten im Bereich des Thrillerkinos zählen. "Painless" untermauert diesen Fakt mit aller Deutlichkeit. So etwas gab es aus den USA lange nicht mehr. Zumindest nicht aus eigenem Anbau, ein Remake ist nur eine Frage der Zeit, damit sich ja nichts selbst ausgedacht werden muss.

David auf der Suche nach seiner Identität

Wie schon andere Werke der letzten Jahre bezieht auch der Film von Juan Carlos Medina die dunkle Vergangenheit des Landes mit ein, verwendet sie jedoch in erster Linie als Kulisse bzw. als für die Story wichtigen Baustein, nicht etwar als klassisches Zeitdokument. Damit geht "Painless" einher mit Perlen wie "The Devil's Backbone", "Pans Labyrinth" oder sogar dem schrägen Bad-Taste-Feuerwerk "Mad Circus" von Alex de la Iglesia. Gerade unsere heimischen Filmindustrie sollte das als Beispiel dienen, wo wir doch zugerne das dritte Reich thematisieren, dabei aber uns brav an Fakten und wahren Geschichten langhangeln, anstatt mal das Genrefach zu tangieren. Wie in den angesprochenen Filmen spielt die Zeit des Franco-Regimes und des daraus resultierenden Bürgerkriegs eine entscheidende Rolle. Medina erzählt einerseits einen in der Jetztzeit angesiedelten Handlungsstrang, in dem der an Krebs erkrankte David sich auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern macht, und eben einen aus der Vergangenheit, der das Martyrium kleiner Kinder behandelt, gefangen und unter Verschluss gehalten in einem entlegenen Sanatorium. Ihnen fehlt jegliches Schmerzempfinden und somit gelten sie als potenzielle Bedrohung. Die Zusammenhänge liegen nicht sofort auf der Hand, nur das sie eindeutig mit Davids Suche zu tun haben müssen. Daraus bezieht "Painless" seine Spannung, die hauptsächlich durch das Zusammensetzten des Puzzles besteht. Auch wenn Verdachtsmomente früh bestehen, der endgültige Groschen fällt erst kurz vor Schluss und mündet in einem kurzen, aber wahnsinnig intensiven Finale, konsequent, tief-tragisch und bewegend, wie der gesamte Film.

Keine Schmerzen, keine Haare, kein Gewissen

Merida eröffnet mit einem bösen Paukenschlag, der den Zuschauer sofort darauf einstimmt, sich auf etwas gefasst machen zu müssen. "Painless" erspart sich zwar expliziete Momente, ist jedoch keinesfalls so schmerzlos, wie es sein Titel verspricht. Im Gegenteil. Die Geschichte rund um die verlorenen Kinder schmerzt gewalltig, gerade weil Merida das Thema recht sensibel behandelt, ohne die Genre-Pfade entscheidend zu verlassen. Klar, "Painless" ist in Thriller, erspart sich dabei aber nicht dramatische und emotionale Momente, die wie Faustschläge in den Magen sitzen. Es gibt traurig-rührende Sequenzen, beispielsweise als ein kleiner Junge, eingepfercht in seine trostlose Zelle, die Hände in Richtung des einfallenden Sonnenlichts streckt. Noch viel erschütternder ist das, was in der Folgezeit mit diesem Jungen geschehen wird, was jahrelange Isolation und seelische Qualen mit ihm veranstalten und in was es mündet. Die Suche von David nach seiner Herkunft ist da eher schmückendes Beiwerk, die eigentliche Haupthandlung wird zum Nebenpart degradiert, denn die großen Momente gehören dem Grauen der Vergangenheit. Nicht nur die Story ist außergewöhnlich und im Vergleich zu der üblichen Ware aus dem Land der unbegrenzten Schreibblockade kreativ, die Inszenierung muss sich hinter nichts und niemanden verstecken. Hervorragende Bilder und Kamerafahrten, ein eindringlicher Score, überzeugende Darsteller, ein pessimistisch-düstere Look, "Painless" fährt groß auf und fällt niemals ab. Trotz seiner schicken Optik wirkt es nicht glatgebügelt oder steril, ein weiteres typisches US-Problem und trotz seiner bösen Thematik und den teils drastischen Szenen verfällt es nicht in den emotionslosen Schocker-Modus. Grauen und Gewalt nutzen der Geschichte und der Wirkung, dienen nicht ausschliesslich als einziges Stilmittel, um Einfallslosigkeit zu vertuschen.
"Painless" könnte durchaus, wie viele wenig beworbenen Filme aus Europa, in der Flut der Heimkinoveröffentlichungen untergehen, was eine Schande wäre. So was muss beachtet werden, gerade da die Kinos eher von Durchschnittware überschwemmt werden. Ein absoluter Geheimtipp, leider nur das.
- "Was läuft da raus?"
- "Eine Träne, mein Lieber. Sie laufen aus den Augen, wenn man Schmerz oder Freude empfindet."
- "Was ist Schmerz denn?"
- "Das Gegenteil von Freude."

8 von 10 unnötigen Schmerzmitteln