Stacy Martin hat Spaß mit Shia LaBeouf in Lars von Triers Nymphomaniac
„Ein Sexfilm!!!“ hallte es durch die Medienlandschaft, immer wenn es um den neuen Film von Lars von Trier ging. Aber wer den Film sieht, darf all diese Befürchtungen relativieren. Einige wenige, wenn auch explizit dargestellte Nacktszenen, in denen u. a. Darsteller wie Stacy Martin und Shia LaBeouf so zu sehen sind, wie Gott sie erschaffen hat – mag man meinen. Aber für die pikanten Körperstellen wurden geschickt Doubles eingesetzt. Also nein, liebe Frauenwelt, das ist nicht LaBeoufs bestes Stück, das sie dort überdimensional groß auf der Kinoleinwand erblicken. Der erste Teil kommt insgesamt doch noch recht züchtig daher, wenn man bedenkt, dass der Film von Lars von Trier inszeniert wurde, der ein Bild von sich neben dem Wort Skandal im Duden stehen haben sollte.
Aber was er hier zeigt ist allerschönstes Erzählkino. Schon zu Beginn, wenn Stellan Skarsgård durch verwinkelte Straßengassen schlendert und eine blutig am Boden liegende Charlotte Gainsbourg – von Triers Muse – entdeckt, zeigt der Regisseur dem Zuschauer wie man wunderschön eine Kamera choreographieren kann. Die Straßen werden zur Theaterbühne, man bekommt den Eindruck inmitten einer Schauspielstätte zu sitzen und die Darsteller vor sich auf der Bühne zu haben. Das allein bewerkstelligt die Kameraarbeit des aus Chile stammenden Manuel Alberto Claro. Schon in der Gestaltung des von Trier Films Dogville und des späteren The Boss Of It All zeigt sich die Nähe zum Theater, in Nymphomaniac mag man diese Nähe nicht inhaltlich wahrnehmen, aber eben durch die Bilder, mit denen der Regisseur arbeitet. Ob nun hier in der anfänglichen Straßenszene, oder dann etwas später, wenn Stellan Skarsgård die Frau, die er dort am Boden findet, zu sich nach Hause mitnimmt und ein Kammerspiel entsteht, das zeitgleich als Rahmenerzählung für das episodenhaft erzählte Leben dieser Frau dient.
Joe (Gainsbourg) mit Seligman (Skarsgård)
Seligman (Skarsgård) lernt diese Frau als Joe (Gainsbourg) kennen, die offenbar zusammen geschlagen wurde. Nun liegt sie bei ihm im Bett und wird gesund gepflegt, erzählt ihm dabei die Geschichte ihres lasterhaften Lebens. Es wird klar, dass Joe schon viele Männer hatte, mal nur so zum Spaß, dann aus purer Sucht. Mal handelte sie beiläufig, mal aus Trauer. Während Joe dieses nymphomanische Verhalten selbst überhaupt nicht gutheißen mag, versucht Seligman sie zu beruhigen – es sei gar nichts Verwerfliches an ihrem Verhalten zu erkennen.
Im ersten Nymphomaniac Teil hat Lars von Trier die Geschichte in fünf Kapitel untergliedert, die geschickt aus der Rahmenhandlung heraus durch kleine Assoziationen in Schwung gebracht werden. Wenn Seligman von seinen Angelausflügen erzählt, gibt das Joe die Gelegenheit davon zu erzählen, wie sie mit ihrer Freundin in Jugendjahren (hier wird Joe nun perfekt von Debütantin Stacy Martin gespielt) auf Männerfang geht: wer die meisten Kerle im Zug vernascht, bekommt als Belohnung einen Beutel voller Süßigkeiten. In weiteren Kapiteln geht es dann um Jerôme (LaBeouf), Joes wirklich große Liebe, der sie einst entjungferte und dem sie immer wieder durch Zufall über den Weg läuft. Die Episode Mrs. H ist derweil Uma Thurmans großer Auftritt als zynische betrogene Ehefrau. Sie ist das Opfer der Liebelei ihres Ehemanns mit Joe, nimmt die Kinder bei der Hand und zeigt ihnen das Bett der Sünde, wo der Papa seinen Spaß haben durfte. Das wirkt oftmals weniger wie ein Sexfilm, sondern viel mehr wie eine Lars von Trier-Komödie. Jedenfalls wird man sich des Öfteren beim amüsierten Schmunzeln ertappen – eine Lehrstunde im Auto einparken entkräftet gewiss das Macho-Männerbild – als dass man sich schockiert die Hände vor den Mund schlagen müsste.
Uma Thurman
Nur in einer Episode, dem vierten Kapitel von Nymphomaniac, bleibt man still starrend im Kinosessel sitzen. Dann aber hat das absolut nichts mit sexueller Bildlichkeit zu tun, sondern mit Christian Slater, der Joes Vaters spielt und dem wir hier langsam beim Sterben zusehen müssen. Im Delirium liegend verkrampft Slater, um sich in der nächsten Szene in die Hose zu machen. Unbeeindruckt filmt von Trier diese Szenerie, in der die Krankenhausangestellten mit ebenso gleichgültiger Miene die Scheiße aus dem Bett und vom Boden wischen, wie Joe im nächsten Moment einen Krankenhausmitarbeiter aufspürt, der ihr mal eben die nötige Arznei – Sex – verabreicht um diese Situation durchzustehen. Hier liegt Joe dann wie benommen da, lässt das Spiel über sich ergehen, schaut mit glasig-leeren Augen zur Decke. Sex als Heilmittel, als Ablenkung, als Droge – Stacy Martin findet immer das perfekt passende Spiel um jeder Form des sexuellen Miteinanders ein entsprechendes Gefühl einzuverleiben.
Und ganz am Ende, wenn Joe mal wieder bei Jerôme landet, der mit Shia LaBeouf ebenso passend besetzt wurde, da es den Charakter an der nötigen Unausstehlichkeit gewinnen lässt – wo die Liebe hinfällt – schafft es Martin auch noch, dem zwei Stunden langen ersten Teil von Nymphomaniac eine überraschende wahre Sexszene zu geben, bei der die Liebe endlich mal eine Rolle zu spielen scheint. Hier ist der Sex nicht mehr nur als Beiwerk zu betrachten, sondern als innigster Wunsch dieser jungen Frau. Und deswegen darf Nymphomaniac nicht als Sexfilm abgestempelt werden, denn in diesem Genre sind die Darsteller oftmals eben nicht in der Lage, dem Sex – oder gar ihren Dialogen – so viele unterschiedliche Gefühlslagen einzuverleiben wie es hier geschieht.
Noch immer erzählt Joe (Charlotte Gainsbourg) Seligman (Stellan Skarsgård) ihre Geschichte – in Lars von Triers “Nymphomaniac – Teil 2″
Den zweiten Teil von Lars von Triers Nymphomaniac einzuordnen fällt doch etwas schwer. Ist es eine Fortsetzung im klassischen Sinne? Bestimmt nicht. Die Handlung setzt exakt dort ein, wo sie im ersten Teil beendet wurde. Es fehlt das „previously on…“, das Fernsehserien so gerne nutzen um die Zuschauer Up-to-Date zu bringen. Keine Erinnerungen zurück, kein Schwelgen in der Vergangenheit – es wäre möglich gewesen, spielt im zweiten Teil doch die erwachsene Joe, die zuvor nur in Seligmans Bett saß und aus ihrer Jugend erzählte, auch in den eigenen fortgeführten Erzählungen (dieses Mal in vier Episoden aufgeteilt) die Hauptrolle.
Joe, noch einmal kurz von Stacy Martin gespielt, hat ihre Fähigkeit eingebüßt, einen Orgasmus zu bekommen. Derweil wird Seligman, der treue Zuhörer der erwachsenen Joe, als Asexuell geoutet, womit Nymphomaniac – Teil 2 das ausschweifend, eben nymphomanische Sexleben des ersten Teils herum dreht und die Suche oder Neuentdeckung des Liebesspiels in den Vordergrund stellt.
Jamie Bell als K (rechts) greift gerne zu härteren Mitteln in Sachen Sex
Lars von Trier hat dem Gesamtwerk seiner letzten Filme, bestehend aus Antichrist, Melancholia und nun Nymphomaniac, den Titel „Depression-Trilogy“ gegeben, immer mit Charlotte Gainsbourg an seiner Seite, die das entsprechende Bild der Depression immer überzeugend zu spielen vermag. In Antichrist erfuhr dies bislang wohl die brutalst-anmutende Manifestation – zumindest für die Männerwelt – in Melancholia wechselt sich Gaisbourg mit Kirsten Dunst ab, im Angesicht des Weltuntergangs in Depressionen zu verfallen.
Bei Nymphomaniac ist es diese zweite Hälfte des Films – oder eben der zweite Teil – bei der die Depression in den Vordergrund gestellt wird. Joe, die Sex in allen Lebenslagen und mit unzählbar vielen Männern genossen hat, ist der Orgasmus abhanden gekommen und nun versucht sie diesen für sich wieder zu entdecken. Hierfür nimmt sie den sexuellen Kontakt mit zwei Afroamerikanern auf, die sie im Doppel besteigen sollen, mit dem äußerst gewaltfreudigen K (Jamie Bell), der einer Arztpraxis gleich, Frauen quasi bei sich in Behandlung nimmt, um ihnen mit Sado-Maso-Spielchen die verlangten Lüste zu gewähren, oder sie schließt im Auftrag von L (Willem Dafoe) Freundschaft mit der jungen Waise P (Mia Goth), woraus sich eine homosexuelle Liebeserfahrung entwickelt.
Mia Goth (links) spielt P, mit der Joe eine homosexuelle Beziehung versucht
Wenn hier also die Depressionen in den Vordergrund treten, müssen die im ersten Teil noch anwesenden Momente des Schmunzelns verabschiedet werden. Es mag zwar lustig anmuten, wie die beiden Afroamerikaner sich nicht darüber einig werden, wer seinen Penis nun in welche Körperöffnung Joes einführen darf, aber das ist hier nun auch wirklich das höchste Amüsement. Das macht Nymphomaniac – Teil 1 sicherlich unterhaltsamer, mindert aber nicht den Schauwert des Nachfolgers. Und überhaupt muss man die Wirkungen, die der Film entfaltet, eigentlich ja eh im Gesamtzusammenhang betrachten, als gäbe es keine Trennung von Teil 1 und Teil 2. So ist es ja nun einmal auch von Lars von Trier intendiert.
Und ein Aufreger, ein Pöbel und gegen den Strich-Mensch wie es von Trier nun einmal einer ist, schafft er es am Ende auch noch, uns in der Schwärze des Bildes, nur mit Ton, einen Filmabschluss vor die Füße zu werfen, der uns aufregt, von dem wir uns verspottet fühlen, angepöbelt, der und ganz und gar gegen den Strich geht. Aber bei Lars von Trier endet die Depression nun einmal weder in Antichrist noch in Melancholia mit einem erlösenden, den Zuschauer mit einem Happy-Ending nach Hause schickenden, Abschluss. Warum also hier? Es werden Welten durcheinander gebracht oder beendet. Damit fügt sich Nymphomaniac nun als Komplettfilm hervorragend in von Triers „Depression-Trilogy“ ein.
alle Bilder © Concorde Home Entertainment
Nymphomaniac wäre eine herrliche Gelegenheit für ein ungewöhnliches Weihnachtsgeschenk. Der Film ist seit dem 20. November 2014 auf DVD und auf Blu-ray zu haben, sowohl in einer normalen Edition, als auch als Director’s Cut. Also wie wäre es mit Nymphomanischen Weihnachten im trauten Heim? Natürlich als reines Filmvergnügen gemeint. Lars von Trier bietet die perfekte Möglichkeit hierfür.