Review: LEVIATHAN - Russische subversive Filmkunst


                                                                                          Review: LEVIATHAN - Russische subversive Filmkunst
Fakten:Leviathan (Leviafan) RUS. 2014. Regie: Andrey Zvyagintsev. Buch: Andrey Zvyagintsev, Oleg Negin. Mit: Aleksei Serebryakov, Roman Madyanov, Vladimir Vdovichenkov, Elena Lyadova, Sergey Pokhodaev, ua. Länge: 142 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 15. Januar 2016 auf DVD und Blu-Ray erhältlich.
Story:Kolya lebt mit seiner Familie in einem alten Haus am Ufer des Barentssee. Der gierige Bürgermeister der Kleinstadt möchte sein Haus abreißen lassen, um eine Kirche zu errichten und nutzt all seine korrupte Macht, um sein Ziel zu erreichen.
   Meinung: Der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev gilt seit seinem Langfilmdebüt „Die Rückkehr - The Return“ im Jahr 2003 als absoluter Geheimtipp. Nun hat er seinen mittlerweile vierten Film veröffentlicht, der mit seinem Titel „Leviathan“ auf mehrere Ebenen verweist, die hauptsächlich religiöser-mystischer und politischer Natur sind. Über ein Drittel des Filmbudgets wurde vom russischen Kulturministerium gedeckt und der Film wurde ausgewählt, um bei den Oscars 2015 als bester fremdsprachiger Film abzuräumen. Da wurde das Werk jedoch, nach der bescheidenen Meinung dieses Autoren, von einem fast schon mittelmäßigen Film („Ida“) des Sieges beraubt. Was jedoch viel interessanter ist, als die Oscars, sind die Reaktionen, die es auf den Film gab. Während das Lob von Kritik und Publikum einschlägig positiv war, kam große Kritik vom russischen Kulturminister selbst, der dem Film unpatriotisches Gedankengut vorwarf und kurzerhand ein Gesetz erließ, dass das Verbot derartiger Filme vorsieht. Es ist ein letzter bewahrheitender Schlussstrich unter „Leviathan“.

Review: LEVIATHAN - Russische subversive Filmkunst

Schöner wohnen auf die russische Art

Der Film spielt in der Barentssee, ein Teil des Nordpolarmeeres, das an die europäische Küste Russlands grenzt. Es dämmert, gleich wird es ganz dunkel sein. Erst rauscht das Wasser wie in einem letzten Kraftakt in der Brandung, dann liegt es ganz still da und ist nur noch da ganz leise zu vernehmen, wo zahlreiche Gerippe von Booten am Ufer liegen. Die Natur, das Werk Gottes, ist grau, hart, leblos und steht kurz vor der Blässe der Bedeutungslosigkeit. Da, am Ende der Welt, wohnen die Protagonisten von „Leviathan“. Nikolaj, der nur Kolya genannt wird, seine zweite Frau Lilia, sein, aber nicht ihr Sohn Roman wohnen in einem alten Haus, das seine besten Tage wohl nie hatte aber auch nie haben wird. Ein Haus an der Bucht zur See, in einer eigentlich malerischen Gegend, läge nicht ein grauer Schatten über allem. Das alte Haus ist die Heimat von Kolya und seiner Familie, quasi ihr ganzer Besitz und dem Bürgermeister der Kleinstadt ein riesiger Dorn im Auge. Der will das hässliche Gebäude nämlich abreißen und eine schöne große Kirche errichten lassen. Um die Erbarmungslosigkeit des russischen Machtpolitikers Wadim und um den hilflosen Kampf Kolyas wird es hier gehen, eingebettet in die gesellschaftsbezogenen Theorien von Thomas Hobbes, in die Sage des Hiob und garniert mit der Metapher des Leviathan. Dem Wesen Gottes, das zu bändigen nur er im Stande war und dessen Gerippe neben denen der zerstörten Boote liegt.
Zvyagintsev zeichnet ein sarkastisches und zynisches Bild eines Landes, in dem Korruption weit mächtiger und gängiger ist, als der ehrenvolle Blick in den Spiegel oder, Gott bewahre, die Wahrheit. Die Regierung schwelgt nicht nur in Allmachtsphantasien, sie lebt diese. Thomas Hobbes schrieb in seiner staatstheoretischen Schrift, in der er dem mächtigen Staat den Namen des mystischen Wesens gab, davon, dass Gleichberechtigung (und damit innergesellschaftlicher Frieden) nur dadurch zu erreichen sei, dass über dem Volk ein schützendes Oberhaupt stünde, dessen einzige Aufgabe es sei, den Willen des Volkes durchzusetzen. Das Oberhaupt handelt in diesem Fall nie für sich selbst und darf sein eigenes Gewissen et cetera nicht in seine Taten mit einbeziehen. Neid, Habgier und Rachsucht wären damit hinfällig, weil nicht begründbar, bei absoluter Gleichberechtigung. So zumindest die Theorie, was auch Zvyagintsev zu bedenken gibt. Wie treten die Politiker stattdessen in „Leviathan“ auf? Der Bürgermeister wird als dekadenter Mann eingeführt, als gieriger Machtpolitiker, der kein schützendes Oberhaupt ist, sondern ein kleiner Despot, der nichts fürchtet außer Gott und sich selbst. Was seiner Ansicht nach auf das gleiche herauskommt. Wortwörtlich bezeichnet der Bürgermeister Wadim Kolya und seine Familie als Insekten, die in ihrer Scheiße ertrinken. Wenn er in seinem Büro an seinem Schreibtisch sitzt, hängt über seiner rechten Schulter ein Porträt von Wladimir Putin.

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Russland ist ein schönes Land...

Genau damit nimmt der Film eine Gestalt an, die von der passiv-subversiven blitzschnell zur offenen Kritik wird. Zvyagintsev selbst reagierte auf die Empörung über seine Kritik an Putin und Russland mit dem kurzen Kommentar, er sei verwundert, weshalb man seinen Film als Dokumentation missverstehe. Damit pocht er ganz bewusst auf seine Freiheiten bei fiktionalen Geschichten, sicherlich auch ein Stück weit als Selbstschutz. Aber es scheint in dieser seiner Antwort mehr zu stecken als nur ein müdes Schulterzucken in Richtung der Kritik. Denn zeigt die Rezeption seines Films, vor allem in seinem Heimatland und Spielort des Films, doch auf, wie sehnsüchtig der Film erwartet wurde - wenn auch nur unbewusst. Es heißt, der Film wurde zu seinem Start in Russland mit einem Witz begleitet; man müsse nur seine Haustür aufmachen und schon hätte man den Film gesehen. Eben weil der Film so ehrlich scheint und so realistisch. Russische regierungsnahe Filmkritiker hingegen werfen dem Film vor, absichtlich ein falsches Bild des Landes zu entwerfen, um dem Westen zu gefallen. Eine verfahrene Situation hat der Film also mit sich gebracht, die es einem Außenstehenden wie dem Verfasser dieser Zeilen recht schwer macht, eine „wahre“ Antwort auf die Frage zu finden, welche der Parteien nun eigentlich richtig liegt.
Bevor man sich nun vorschnell dem spekulativen hingibt, sollte man sich weiter mit Zvyagintsevs 140 Minuten starkem Werk beschäftigen. „Leviathan“ könnte man durchaus als überaus schwarze Komödie oder eine sehr stille Groteske ansehen. Wadim, der Bürgermeister, er erscheint fast schon wie ein Bond-Bösewicht, mit einem stillen Schrank von Mann als Bodyguard, der bei jeder kleinsten Berührung dazwischen kommt und mit einem kurzen Blick klarmacht, was hier Sache ist. Wadim aber ist gar nicht die Hauptperson des Films, er ist Gott in einer von Gott verlassenen Welt, oder zumindest ein Mensch, der versucht dessen Stellung einzunehmen. Kolya ist der Protagonist, der schon zu Beginn vor Gericht einen Prozess um sein Haus verliert und sein Untergang damit seinen Lauf nimmt. Interessant ist hier, wie Zvyagintsev mit den Szenen umgeht, in denen über Recht gesprochen wird und Plädoyers/ Rechtssprüche verlautbart werden. Die Richterin/ der Anwalt rattern ihre Sätze absolut emotionslos runter, ein einziger Schwall von zusammenhanglosen Silben wird auf Kolya und den Zuschauer geschüttet. Orientierung ist nicht erwünscht, Identifikation nicht möglich. Die juristischen Instanzen werden hier als komplett emotionslose Wesen inszeniert. Als eine Übermacht, gegen die alle Mittel zwecklos sind, weil der niemand zu verstehen vermag, was sie antreibt.
Zvyagintsev reichert seinen Film überaus vielschichtig an und belohnt sein faszinierendes Drehbuch mit einer überzeugend intelligenten Inszenierung. Viele für den Film essentielle Dinge passieren außerhalb des Bildausschnittes und sind nur durch Ton zu erfahren oder durch logisches Denken zu erahnen. Die Gewalt, die hier immer wieder vorkommt, wird nie wirklich im Bild gezeigt. Man kann sie durchaus erahnen, manchmal wird sie leicht angedeutet, aber es geht dem Regisseur hier in aller Deutlichkeit eher um die Gründe und die Auswirkungen der Gewalt, nicht um die Tat selbst. Die sind eh nur die Spitze des Eisberges. Aber wie steht es denn im Medium Film um die Handlungen, die nicht gezeigt werden? Ist etwas Ungesehenes im Film nicht ein Äquivalent zum Sturz eines Baums, den niemand hört? Direkter ausgedrückt; existiert das Nichtgezeigte für den Zuschauer oder muss es kategorisch angezweifelt werden? Die Antwort liegt nicht im Film, sondern beim Zuschauer. Mit dem Fortschreiten der Laufzeit wird Zvyagintsev immer direkter, immer gnadenloser, was das Schicksal seiner Figuren anbelangt. Kolya wird weiter zerdrückt, er wird ein weiteres zahlenloses Opfer einer Institution, dessen Korruption und Kriminalität sich selbst nähren. Ein Film über Allmacht, beobachtet aus der Froschperspektive.
Gott ist tot. Er hat den Menschen den Rücken gekehrt, vielleicht angewidert, vielleicht ermüdet. Übrig geblieben sind die, die sich als sein Nachfolger stilisieren und meinen, anderen seinen nicht mehr vorhandenen Willen aufzwingen zu müssen. Einiges ist absurd, in diesem großen Film, einige Momente führen zu herzhaften Lachern, zum überwältigenden (und das ist wohl das ehrlichste Adjektiv für diesen Film) Großteil aber erzählt der Film eine tragische Geschichte. Zvyagintsev ist ein überaus guter Regisseur, der mit schlauen Mitteln seinen Gedanken Form und vor allem Wirkung verleihen kann. Verbindet man die genutzten stilistische Mittel mit dem Inhalt des Filmes und der Beziehung zur politischen und gesellschaftlichen Situation in Russland, dann wird vor allem eines deutlich: „Leviathan“ ist unaufgeregte subversive Filmkunst erster Güte.
8,5 von 10 Skeletten
von Smooli

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