Review: KAP DER ANGST - Remake nach Maß

Erstellt am 27. Oktober 2013 von Die Drei Muscheln @DieDreiMuscheln


 

Fakten:Kap der Angst (Cape Fear)USA, 1991. Regie: Martin Scorsese. Buch: Wesley Strick. Mit: Robert De Niro, Nick Nolte, Jessica Lange, Juliette Lewis, Joe Don Baker, Robert Mitchum, Gregory Peck, Martin Balsam, Illeana Douglas, Fred Dalton Thompson u.a. Länge: 123 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:Vor 14 Jahren unterschlug Anwalt Sam Bowden entlastendes Material für seinen Mandanten Max Cady, um Strafmilderung für den brutalen Vergewaltiger zu verhindern. Nun ist Cady wieder auf freien Fuß und hat nur ein Ziel vor Augen: Vergeltung. Doch statt eines blinden Rachefeldzugs geht er weitaus geschickter vor. Er konfrontiert Bowden direkt mit seiner Anwesenheit, verfolgt ihn und seine Familie, bedroht und terrorisiert sie, jedoch so geschickt, dass er strafrechtlich nicht zu belangen ist. Die Bowdens leben in Todesangst und der Psychopath zieht die Schlinge immer fester um ihren Hals immer fester. Sam sieht nur noch einen Ausweg: Er muss Cady ausschalten, um seine Familie zu schützen.
  
Meinung:"Sie lernen noch, was Verlust heißt..."
Remakes, das täglich Brot des heutigen Hollywood-Kinos, oft nicht mehr als plan- und kreativlose Strohhalme, um aus guten Ideen der Vergangenheit nochmal Bares zu machen. Zumindest in den letzten Jahren - selbst mit guten Willen - eine kaum zu leugnende Tatsache. Nicht nur die Anzahl der eu aufgekochten Geschichten nervt, vielmehr ist es die Motivation für sie und die Art und Weise, wie sie oft Fans des Originals eher verärgern ob der Lieblosig- und Gleichgültigkeit, mit der sie dahin gerotzt werden. Sinnvolle Neuinterpretationen gab es wenige. Aber es gab sie. Eines der besten Beispiele dafür ist Martin Scorsese's "Kap der Angst", das Remake des Thriller-Klassikers "Ein Köder für die Bestie" (im Original beide: "Cape Fear") von 1962. Sicher spalten sich auch hier die Lager: Musste das sein? Braucht es ein Remake dieses Films? Auf diese Fragen könnte zwar eigentlich mit nein geantwortet werden, doch wenn ein Remake, dann bitte so. Hier wird ein Klassiker nicht mit Füßen getreten, im Gegenteil, es wird sich vor ihm verneigt und eine Frischzellenkur auf aller höchstem Niveau verpasst.
 

Da ist der Stress noch verhältnismassig klein

Scorsese lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er das Original schätzt und erweist ihm in mehrerer Hinsicht Referenzen. So wurde der durch Mark und Bein gehende Titelstück von Bernard Herrmann auch in seiner Version verwendet, nur leicht abgewandelt. In kleinen Gastauftritten sind die Stars des Original zu sehen, ironischerweise mit einem Seitenwechsel. Gregory Peck, im Original Anwalt Sam Bowden, ist zwar wieder ein Strafverteidiger, steht diesmal jedoch auf der Seite von Max Cady. Ex-Cady Darsteller Robert Mitchum wird im Remake vom Psychopath zum Bullen, und Ex-Bulle Martin Balsam ist als Richter zu sehen. Speziell zu Beginn bedient sich Scorsese sogar gelegentlich eher altmodischen Schnitten und Überblenden, wenn auch nur an gewissen Punkten und ohne die im Grunde modernen Inszenierung aus den Augen zu lassen. Das sind nur kleine Momente, die jedoch sehr wohl als Hommage an das Original wie das klassische Thriller-Kino verstanden werden können und wohl auch sollten.

Hush little baby

Was "Kap der Angst" letztendlich zu einem ausnahmslos gelungen Remake macht, ist seine hochkarätige Inszenierung, seine treibende Spannung und sein famoser Cast. In vorderster Front glänzt Scorsese-Liebling Robert De Niro als selbstgerechter Racheengel Max Cady, mit einer bestialischen Aura auf dem schmalen Grat zwischen primitiven, triebgesteuerten Ungeheuer und wohlüberlegt handelnden Sadisten, der sich bei seinen perfiden Spielchen nie zu weit aus der Reserve locken lässt und dennoch sein Opfer an den Rand des Wahnsinns treibt. Statt roher, planloser Gewalteruptionen zermürbt er Bowden und seine Familie, säht geschickt Zwietracht und sorgt für innere Krisenherde in der oberflächlich so heilen Vorzeigefamilie, reißt mühsam geflickte Wunden erneut auf und zerreibt sie von außen wie innen. De Niros Spiel ist stellenweise atemberaubend und kaum schwieriger umzusetzen, da er einen riskanten Drahtseilakt vollzieht. Oft verlangt die Rolle die Grenzen des Overactings zu tangieren, doch ein De Niro in Bestform nimmt die Hürde spielend und steigert sich im Verlauf des Films immer weiter, bis er im nervenzerrenden Finale dem puren Bösen so nahe ist und in Perfektion verkörpert, wie es nur wenige vor und nach ihm geschafft haben. Nick Nolte in der Rolle von Anwalt Sam Bowden, Jessica Lange in der seiner Ehefrau und Juliette Lewis als leicht naives Töchterchen können da mithalten, obgleich die Show natürlich eindeutig De Niro gehört.
 
"Heute Abend wirst du lernen wie ein Tier zu sein...wie ein Tier zu leben und wie ein Tier zu sterben." 

 

Ein Familienausflug voller Freude

Martin Scorsese zieht seinen Hut vor dem Kino der alten Schule und zelebriert gleichzeitig modernes Hochspannungskino mit einer knüppeldicken Atmosphäre, hochwertigen Bildern, effizienten Adrenalin-Pushern und teilweise brillanten Einstellungen und Einzelsequenzen. Neben dem bereits erwähnten Herzschlagfinale, in dem der Terror wie Wahnsinn seinen Höhepunkt erreicht, sei besonders die eher unspektakuläre Szene in der Schule genannt, in der Cady die junge Danielle so geschickt umgarnt und manipuliert. Der Zuschauer kann sich nicht sicher sein, welchen Plan Cady verfolgt, ob er plötzlich über das Mädchen herfällt oder nicht, ob das Tier in ihm zum Vorschein kommt, bis er wie der böse Wolf wieder in der Wald-Kulisse der der Theaterbühne verschwindet. Ein grandioser Moment. So grandios wie der gesamte Film.

 
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Remakes werden immer umstritten sein, oft zu recht, doch es geht auch anders. Selbst große Filme müssen nicht automatisch verschandelt werden, wenn die richtigen Leute beteiligt sind. Das ist dann wohl der springende Punkt. Hier werden Superstars durch Superstars ersetzt, einer der besten Regisseure seiner Zeit hat das Zepter in der Hand, alles bekommt einen zeitgemäßen Anstrich und leugnet dennoch nicht seine Herkunft. So gehört sich das. Chapeau.9 von 10 Bootsausflügen