Fakten:
Jim Carroll – In den Straßen von New York (The Basketball Diaries)
USA. 195. Regie: Scott Kalvert. Buch: Bryan Goluboff, Jim Carroll (Vorlage). Mit: Leonardo DiCaprio, Lorraine Bracco, Ernie Hudson, Mark Wahlberg, Bruno Kirby, Juliette Lewis, James Madio, Michael Imperioli, Brittany Daniel, Alexander Chaplin u.a. Länge: 90 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:
Nach einer wahren Geschichte. New York in den 1960er Jahren: Teenager Jim Carroll lebt für den Basketball. Er gilt als talentierter Spieler, doch noch mehr als der Sport wird er und seine Teamkameraden von Drogen angezogen. Und so gerät Jim immer mehr in einen Strudel aus Sucht und Verbrechen.
Meinung:
Wenn Jim Carroll, inzwischen längst in den Klauen der Abhängigkeit gefangen, wieder mal vollkommen benebelt von der letzten Line in der Badewanne liegt und dabei krampfhaft versucht, seine Augen irgendwie offenzuhalten, um in seinem Tagebuch die letzten Zeilen seines gegenwärtigen Gefühlszustands zu dokumentieren, kommt es zu einem memorablen Augenblick von ungemein symbolischer Natur: Der Junge aus Manhattan, der sein geliebtes Basketballtraining aufgrund des Drogenkonsums aufgeben musste, der von seiner katholischen Schule geflogen ist und sich auch von seinem letzten familiären Bezugspunkt, seiner Mutter, abwendete, der quasi alles verloren hat, schliddert mit geweiteten Pupillen langsam seinem Ende entgegen. Doch seine Passion, die Rhetorik, die Poesie, die Kunst im Allgemeinen, will ihn nicht loslassen, rüttelt ihn in mahnender Manier immer wieder wach, fleht um seine Besinnung, schreit nach Vernunft, kämpft freimütig gegen Windmühlen.
Voll am Arsch: Jim Carroll
Diese Kunst hat ihm zwar letztlich nicht das Leben gerettet, seine Erlösung, die ihm den entscheidenden Entzug ermöglichte, tritt schließlich in einer ganz anderen Form auf, sie machten ihn und seine in der Literatur hochgeschätzten Basketball Diaries aber zu einer abschreckenden, aufklärenden und auch hoffnungsvollen Referenz für all die, die sich in einer ebenso ausweglosen Situation wie einst Carroll in seiner Jugend befanden und den Glauben an sich selbst und die Welt verloren haben. Dass das Drehbuch die autobiographische Vorlage nun aus den 1960er Jahren hebelt und in 1990er Jahre verpackt, büßt gewiss einen Bruchteil an realitätsbezogener Authentizität ein, tut der filmischen Narration aber keinen Abbruch, weil sie sich dennoch genau auf die elementaren Aspekte konzentriert, die für ihre Entfaltung keinen festen zeitlichen Rahmen beanspruchen: „Jim Carroll“ ist sowohl Milieu- als auch eine Charakterstudie, aber kein konkretes Zeitportrait.
Scott Kalvert und Bryan Goluboff gelingt es, die signifikante Botschaft Carrolls zu vermitteln, ohne sich aber in überstilisierten Melodramatik oder falscher Glorifizierung seiner Charaktere, vor allem natürlich Jim Carroll, zu wälzen. Obgleich man „Jim Carroll“ gerne in die Sparte des obligatorischen Drogenfilms einquartieren möchte, ist Scott Kalvert doch eher an einem Film gelegen, der sich nicht allein auf den Konsum und Entzug fokussiert, sondern seinem titelgebenden Protagonisten ein facettenreiches Innenleben verleiht, in dem den Drogen und Carrolls schrecklichen Exzessen natürlich eine große Rolle zu Teil wird, der emotionale Ursprung hingegen, seine Entwicklung und das Verlangen nach Ablenkung und Verdrängung, genauso zentriert wie honoriert. „Jim Carroll“ geht letzten Endes allerdings nur deshalb so gut auf, weil er mit Leonardo DiCaprio einen herausragenden Hauptdarsteller vorzuweisen hat, der sich nach „This Boys Life“ und „Gilbert Grape“ erneut in schauspielerische Höhenlagen katapultiert und bereits mit diesem Auftritt in seiner noch so jungen Karriere bewiesen hat, dass er ein absoluter Ausnahmeperformer ist. Groß.
7 von 10 Tagebucheinträgen
von souli