Fakten:
Ich seh, ich seh (Goodnight Mommy)
Österreich. 2014. Regie und Buch: Veronika Franz, Severin Fiala. Mit: Susanne Wuest, Elias Schwartz, Lukas Schwartz, Elfriede Schatz u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: noch keine Freigabe. Ab 9. Juni 2015 im Kino.
Story:
Die Zwillinge Lukas und Elias warten auf die Rückkehr ihrer Mutter, die sich einer Beauty-OP unterzogen hat. Als sie zurückkehrt, scheint sie eine andere Person zu sein, nicht nur wegen ihres verbundenen Gesichts. Die Mutter entfremdet sich immer mehr von ihren Kindern, was diese wiederrum stark verängstigt.
Ein konzentriertes Kraftbündel vom Horror, die eigene Mutter nicht mehr wieder zu erkennen. Dabei lockt einen der Film von Veronika Franz und Severin Fiala per meisterhafter Suggestion gerne auf die falsche Fährte; konstruiert in ländlicher Lage bewusst ein Designer-Eigenheim der Klaustrophobie, in dessen Dunkelheit sich so manche Geheimnisse lagern lassen - bis sie dann doch im reißenden Licht der Furcht entdeckt werden. Die Erlösung in Maisfeldern, Hagelkörnern und Trampolinen währt dabei auch nur von kurzer Haltbarkeit, da hierin ebenso mentale wie auch physische Mauern aufgebaut werden.
Mutti hat sich verändert
Das fängt mit kleinen abwegigen Anzeichen an und verstärkt sich zu arretierenden Eskalationen, welche die Zelle der Familie in den Schlund der Vermutung, Kontrolle und Frustration hinein wirft. Ein wahr gewordener Alptraum zieht auf, wie auch die soziale Verklärung keine Gegenwehr anbieten möchte - sind ja schließlich noch Kinder, die sich in die von außen hin abstruse Angst hineinsteigern. Es trifft den Zuschauer aber hart im Herzen und im Gewissen, wenn die Normalität der Fürsorge unberechenbare Tiefen einzugehen droht. Doch was sich zunächst im Kopfkino ausbreitet und nach Entlastung sehnt, wird in der schlussendlichen Heimzahlung der Wahrheitsfindung noch verstörender und grausamer - wohlgemerkt mit kleinen und unscheinbaren Elementen des Haushalts, wie auch schon die Provinz des Umfeldes schlicht mit schweigsamem Druck den Atem anhalten lässt. Die dazugehörigen Bilder und Stimmungen schneiden sich dabei wie die ebenfalls präsente Zahnseide konkret und dominant ins Fleisch, jedoch auch nur deshalb, weil sich das kleine Ensemble wahrhaftig gegenseitig erledigt.Ohne zuviel verraten zu wollen, sei gewiss, dass sich die Mutter und ihre Kinder hier mächtig kaputtmachen können - bis hin zum eruptivsten Schrei, vor dem man sich seit Langem mal wieder im Kino fürchten darf. Beim kontinuierlich beengenden Psychogramm des Films kommt man eben ins Schlottern, ohne den künstlichen Schreck zu erfahren. Urängste mütterlicher Abhängigkeit und kindlicher Unschuld reiben hier unnachgiebig aneinander; sind zwar bestimmten Genre-Tropes nicht abgeneigt, legen aber einen fesselnd finsteren Impuls frei, der trotz aller Kompromisslosigkeit noch die Hoffnung in der Flucht des Geistes sieht. Dafür muss erst alles brennen, doch in der darauffolgenden Dunkelheit lässt sich auch alles wiederfinden. Kein Happy-End natürlich, aber insgesamt eine spannende Schock-Spezialität aus österreichischen Landen.
8 von 10 brennenden Katzen
vom Witte