Review: HANNIBAL RISING – WIE ALLES BEGANN – Demontage eines kultivierten Psychopathen

Review: HANNIBAL RISING – WIE ALLES BEGANN – Demontage eines kultivierten Psychopathen
Fakten:
Hannibal Rising – Wie alles begann
USA, UK, Frankreich, Tschechien, Italien. 2007. Regie: Peter Webber. Buch: Thomas Harris (Vorlage). Mit: Gaspard Ulliel, Gong Li, Dominic West, Rhys Ifans, Kevin McKidd, Aaran Thomas, Ivan Marevich, Stephen Walters, Richard Brake u.a. Länge: 126 Minuten (Unrated Fassung), 116 Minuten (Kinofassung). FSK: freigegeben ab 18 Jahren (beide Fassungen). Auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Story:
Die Geschichte von Hannibal Lecter. Wie wurde aus dem Sohn wohlhabender, guter Eltern solch ein Monstrum?


Meinung:
Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ von 1991 darf sich nicht nur als cineastisches Grundwissen titulieren lassen, sondern auch als ein Klassiker, der selbst den Menschen ein klarer Begriff ist, die ihre Filmaffinität nicht rund um die Uhr ausleben - oder als reine Attitüde exponieren. Hannibal Lecter ist eine Ikone des Psycho-Horrors, eine fiktive Kunstfigur, die literarisch genauso begehrt auftritt, wie sie es auch auf der Leinwand tut. Mit der Stilsicherheit eines Michael Manns („Heat“) im Schlepptau entpuppte sich der filmische Franchise-Auftakt mit „Blutmond“ 1986 als echtes Meisterwerk des Suspense-Kinos, welches dem allseits gefeierten Nachfolger „Das Schweigen der Lämmer“ sogar noch einen kleinen Schritt voraus ist. Danach ging es allerdings immer weiter bergab: „Hannibal“ von Ridley Scott war zu zäh und erklärte die Gore-Szenen zu Spannungsklimaxen, während „Roter Drache“ - eine Neuauflage von „Blutmond“ - noch durch seine exzellenten Schauspieler (Ralph Fiennes als Zahnfee!) überzeugte, darüber hinaus aber zunehmend in der Beliebigkeit versank.

Review: HANNIBAL RISING – WIE ALLES BEGANN – Demontage eines kultivierten Psychopathen

Bevor jetzt Fragen kommen: Nein, das ist nicht souli

Derzeit sorgt auch die qualitativ äußerst volatile NBC-Serie „Hannibal“ für Furore, in der der dänische Mime Mads Mikkelsen („Michael Kohlhaas“, „Die Jagd“) dem kultivierten Serienkiller ein Gesicht verleiht. „Hannibal Rising – Wie alles begann“ von 2007 jedoch manifestiert den absoluten Tiefpunkt der Reihe und lässt sich ohne Mühe als pure, unverschämte Geldmacherei entlarven. Analog zur Filmproduktion nämlich schrieb Thomas Harris das Drehbuch zum Film, merzte dem nach Sensation lechzenden Publikum wegen jedwede Subtilität im Umgang mit Lecter aus und degradierte ihn zum austauschbaren Psychopathen von der Stange. Harris ist es gelungen, sein personifiziertes Opus magnum im (anti-)künstlerischen Sauseschritt zu demontieren. Alles beginnt zur Zeit des zweiten Weltkrieges, in dem Hannibals Eltern bei einem Fliegerangriff in den litauischen Wäldern zu Tode kommen und ihn mit seiner Schwester Mischa in einer abgelegenen Jägerhütte zurücklassen. Wenn sich dann ein Trupp Marodeure zu ihnen gesellt, beginnt die psychologische Simplifizierung seiner Person.

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souli, äh, Hannibal findet in seiner Tante eine Vertraute

Woher sein kannibalischer Trieb kommt, kann „Hannibal Rising“ uns nicht erklären, er lässt nur Andeutungen im hanebüchenen Stil anklingen und dann hinten raus im Nirgendwo versacken. Woher die Kultiviertheit Hannibals kommt, bleibt ebenso fraglich, irgendwann jedenfalls ist er mitten in seinem Medizinstudium und obduziert Leichen. Hier wird ein Setting eingeführt, welches einzig dazu dient, Hannibal einen klischeesierten Spielraum für weitere Schweinereien zu bieten. Hannibal nämlich ist nun von Rache getrieben, möchte die Männer zur Schlachtbank führen, die einst seine kleine Schwester im illustrer Runde verspeisten und kennt dabei in seinem Sadismus keine Grenzen: Erst singt er Kinderlieder, dann dreht er ihnen den Hals um. Wer dieser Mensch wirklich ist? Das steht in den Sternen, aber nicht im Drehbuch. Zwischen platten psychologischen Signalen und mehr als unterforderten Darstellern, wird eine Thriller-Farce der minderwärtigen Klasse herausgearbeitet. Gaspard Ulliel als Hannibal darf finster gucken, bekam aber wohl keinerlei Anweisung, wohin denn überhaupt genau, Gong Li drischt permanent Phrasen, während Rhys Ifans einfach nur den Antagonisten gibt und nur böse Dinge tun muss (Kinder essen, Frauen schlagen und verkaufen, diese Dinge eben).

Bis Hannibal dann seinen alttestamentarischen Racheplan vollzogen hat und das Drehbuch ihm seine langersehnte Katharsis spendiert, vergehen viele nichtssagende und einige blutige Augenblicke. Schmerzhaft für jeden Fan der Reihe ist, wie wenig Interesse das Skript an der Figur des intelektuellen Monsters zeigt, wie wenig Aufmerksamkeit es für zwischenmenschliche Nuancen und sublime Entwicklungen es zollt. „Hannibal Rising“ kursiert einzig um das Plakative, um das Reißerische, geht jeder Inhärenz aus dem Weg und ist dramaturgisch nicht mal für den Anfängerkurs in Sachen 'Wie schreibe ich ein Drehbuch' akzeptabel. Thomas Harris beschmutzt Hannibal Lecter, zeigt sich profitgierig und fern einen jeden beruflichen Ethos. Eine Schande.

3 von 10 seltsamen Grübchen

von souli

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